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Trauer an der Promenade des Anglais in Nizza. 18 Opfer des Anschlags sind noch in Lebensgefahr.

© Ian Langsdon/dpa

Nach Anschlag von Nizza: Auf der Suche nach den Motiven des Täters

Islamistisch oder psychisch-gestört: Über die Beweggründe des Attentäters von Nizza wird weiterhin gerätselt. SMS schüren den Verdacht, dass er Helfer hatte.

War er ein „einsamer Wolf“, wie islamistische Terroristen genannt werden, die sich unbeobachtet von den Sicherheitskräften radikalisieren und dann auf eigene Faust zur Tat schreiten? Oder ein psychisch Gestörter, der sich durch eine wirre Wahrnehmung der Realität zu seinem Tun inspirieren lässt? Bei dem blutigen Terroranschlag von Nizza vor drei Tagen kamen 84 Menschen ums Leben, Hunderte wurden verletzt. 18 Menschen befinden sich immer noch in Lebensgefahr.

Die Ermittler haben aus der Befragung von Zeugen, der Vernehmung von Personen aus seinem Umfeld sowie der Auswertung von Computerfestplatten und Telefondaten ein atypisches Profil des Attentäters erstellt.

Im Mittelpunkt steht die Frage, wie der 31-jährige Mohamed Lahouaiej-Bouhlel vom zu cholerischer Gewalt neigenden Kleinkriminellen ohne Bezug zur Religion zu einem Massenmörder werden konnte, der zu seinem Tun durch den extremistischen Islamismus getrieben worden sein soll. Sieben Personen aus dem Umfeld Lahouaiej-Bouhlels, unter ihnen seine Ex-Frau und Mutter seiner drei Kinder, wurden von den Ermittlern zur Vernehmung in Polizeigewahrsam genommen. Aus den Aussagen soll laut Zeitungsberichten hervorgegangen sein, dass der Täter sich in jüngster Zeit gewandelt habe.

Was die Nachbarn sagen

Zeugen wie seine Nachbarn hatten ihn bisher als gewalttätig und ausgesprochen unfreundlich beschrieben. Er habe Schweinefleisch verzehrt und sei oft angetrunken gewesen. „Er trug keinen Bart, schlug seine Frau, war verschlossen und erwiderte nie einen Gruß“, lautete eine Aussage. In der nahe gelegenen Moschee sei er nie gesehen worden. Jetzt soll von Zeugen aus seinem Bekanntenkreis den Ermittlern zu Protokoll gegeben worden sein, dass er sich seit Kurzem nicht mehr rasiert, dem Alkohol abgeschworen und sich mit extremistischen Reden hervorgetan habe. Dieser Wandel habe sich vor etwa zwei Wochen vollzogen.

Möglicherweise sind es solche Aussagen, auf die Innenminister Bernard Cazeneuve am Wochenende die überraschende Mitteilung stützte, dass der Täter „eine sehr rasche Radikalisierung“ durchgemacht habe. Die Ansicht, dass es sich bei Lahouaiej-Bouhlels Tat um einen islamistischen Terrorakt handelte, war von Staatspräsident François Hollande und Premierminister Manuel Valls sofort vertreten worden. Zahlreiche Experten hatten dies jedoch wegen fehlender Islam-Verbindungen des Attentäters, der auch nie etwa nach Syrien gereist war, angezweifelt. Am Wochenende bekannte sich aber die Terrormiliz „Islamischer Staat“ zu der Tat.

Dass Lahouaiej-Bouhlel sich innerhalb kürzester Zeit zu einem radikalen Moslem gewandelt hätte, erscheint allerdings einem Islam-Spezialisten wie dem Soziologen Farhad Khosrokhavar zweifelhaft. „Die Konversion zum radikalen Islam dauert bei einem Erwachsenen mehrere Monate“, sagte er der Zeitschrift „L’Express“. Zwei Wochen erschienen ihm da doch sehr ungewöhnlich. Dieser Fall gehöre eher ins Fach der Psychiatrie als in das religiöser Ideologie.

Der Vater meldete sich zu Wort

Dass Lahouaiej-Bouhlel psychische Probleme hatte, wurde von mehreren Seiten bestätigt. Dem BBC-Fernsehen sagte der in Tunesien lebende Vater des Täters, sein Sohn sei psychisch krank gewesen. Er habe Nervenzusammenbrüche erlitten und bei Gewaltausbrüchen alles um sich herum zertrümmert.

Eine namentlich nicht genannte Person mit Einblick in die laufenden Ermittlungen wurde jetzt von der Zeitung „Le Journal du Dimanche“ mit den Worten zitiert, bei dem Täter habe es sich um „eine gewalttätige, instabile Persönlichkeit, mit einem niedrigen Intelligenzquotienten, morbiden Faszinationen und Drogen- und Alkoholsucht“ gehandelt.

SMS und ein leeres Konto

Diese Abhängigkeiten haben Lahouaiej-Boulhel offensichtlich nicht daran gehindert, seine Tat wie ein Profi minutiös in Szene zu setzen. Eine Woche vorher löste er sein Bankkonto auf. Das Guthaben, angeblich 100 000 Euro, überwies er, wie sein Bruder der englischen Zeitung „Daily Mail“ sagte, an seine Familie in Tunesien. Am 13. Juli verkaufte er sein Auto. Vorher hatte er mit dem am 11. Juli gemieteten Kühlwagen bei zwei Probeläufen die Strecke über die Promenade des Anglais erkundet, die am 14. Juli zum Schauplatz seiner Amokfahrt werden sollte.

Und es stellt sich die Frage, ob er Helfer hatte. Kurz vor der Tat hatte er in mehreren SMS „mehr Waffen“ verlangt, wie der Fernsehsender BFMT berichtete. Die SMS soll er an einen der Männer geschickt haben, die nach der Tat festgenommen wurden.

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