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Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS, ist unzufrieden mit dem Status quo der EU.

© Reuters/Kacper Pempel

Nach dem Brexit-Referendum: Osteuropäer gegen "übereilte Integration" der EU

Mehrere Staaten Osteuropas sehen die von Berlin und Paris angestrebte vertiefte Integration der EU kritisch. Sie wollen nicht mehr, sondern weniger Europa.

Berlin - Bei Deutschlands osteuropäischen Nachbarn stieß die Einladung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf Befremden. Kaum war die Nachricht vom Ausgang des Brexit-Referendums bekannt geworden, berief er ein Treffen der sechs europäischen Gründerstaaten ein. Nicht nur Estland fühlte sich übergangen, in Polen konnte die Nachricht diejenigen bestärken, die sowieso glauben wollten, die EU werde von Berlin aus regiert. Am Montag fuhren nun Steinmeier und sein französischer Amtskollege Jean-Marc Ayrault nach Prag, um mit den Außenministern Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns über die Lage der EU nach dem britischen Referendum zu beraten. „Wir stimmen überein, dass die Debatte über die Zukunft der EU auf einer Plattform stattfinden muss, die alle 27 EU-Staaten umfasst“, sagte der tschechische Außenminister Lubomir Zaoralek nach dem Treffen.

Am selben Tag veröffentlichte das Auswärtige Amt ein von Steinmeier und Ayrault verfasstes Papier zur Zukunft der EU. Die beiden Minister sprechen sich für eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Migration, Sicherheit und Verteidigung aus und fordern „weitere Schritte in Richtung einer Politischen Union in Europa“. Dabei könnte eine kleine Gruppe von Staaten vorangehen.

Die vier Außenminister der sogenannten Visegrad-Staaten jedoch haben entgegengesetzte Vorstellungen von der Zukunft Europas. So warnte Gastgeber Zaoralek davor, die europäische Integration schnell voranzutreiben. „Die falsche Antwort wäre eine übereilte Integration.“ Allerdings wäre es ebenfalls falsch, nun so zu tun, als sei nichts passiert.

Den vier osteuropäischen Staaten ist gemeinsam, dass sie sich Veränderungen innerhalb der EU wünschen. Der slowakische Regierungschef Robert Fico mahnte nach dem Referendum, die EU müsse möglichst rasch auf das Ergebnis reagieren. Er forderte „grundsätzliche Änderungen“ der europäischen Politik – und meinte damit vor allem die Flüchtlingspolitik. Fico zählt gemeinsam mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban zu den schärfsten Gegnern der Zuwanderung nach Europa. Eine Aufnahme von Muslimen in seinem Land lehnt der Sozialdemokrat Fico kategorisch ab. Ab Freitag hat das Land die EU-Ratspräsidentschaft inne. Ungarn wiederum hat ein Referendum über die EU-Quoten zur Verteilung der Flüchtlinge angekündigt und will auch nach dem Brexit-Votum daran festhalten. Es sei noch nie so wichtig gewesen, das Volk zu befragen, sagte ein Regierungssprecher.

Die Veränderungen, die sich die Staaten der Visegrad-Gruppe wünschen, zielen nicht auf mehr, sondern auf weniger Europa. So sprach sich der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, am Montag für einen neuen europäischen Vertrag aus: „Die Union muss sich radikal verändern.“ Sie solle eine Supermacht sein, in der aber die Nationalstaaten ihre Autonomie bewahrten. Kaczynski fordert seit Langem ein Europa der Nationalstaaten und kritisiert, dass Deutschland zu viel Macht in der EU habe. Aus Sicht der polnischen Regierungspartei verliert Polen mit einem Austritt Großbritanniens aus der EU einen wichtigen Verbündeten, der der angenommenen deutschen Übermacht etwas entgegensetzen könnte und der ebenfalls eine weitere Integration mit Skepsis sieht. Kaczynski sprach sich daher für ein zweites Referendum in Großbritannien aus.

Der Parteichef machte EU-Ratspräsident Donald Tusk, seinen alten innenpolitischen Widersacher, für das Brexit-Votum verantwortlich und forderte seinen Rücktritt. Das gelte auch für die gesamte EU-Kommission. Der tschechische Außenminister Zaoralek forderte indirekt den Rücktritt von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Er habe zu wenig für den Verbleib Großbritanniens in der EU getan und sei vor dem Referendum nicht nach Großbritannien gereist. Daher sei Juncker „nicht der richtige Mann für den Job“. Claudia von Salzen

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