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Demonstranten gegen einen Militärschlag vor dem Weißen Haus in Washington.

© dpa

Update

Nach dem britischen "Nein" zu Militärschlag: Ein schwerer Schlag für David Cameron und die Verbündeten

Nicht nur für Premier Cameron kam die Ablehnung einer Militäraktion gegen Syrien durch das Unterhaus völlig unerwartet. Was hat die Entscheidung für Folgen auch für die USA und Frankreich?

Zur Wochenmitte sah es aus, als stünde ein Militärschlag gegen das syrische Regime unmittelbar bevor. Die USA, Großbritannien und Frankreich schienen fest entschlossen, möglicherweise schon nach Rückkehr der UN-Waffeninspekteure loszuschlagen. Nach dem „Nein“ im britischen Unterhaus zu einem Waffengang bröckelt die Front.

Wie reagieren die USA auf das Nein des Unterhauses zum Militärschlag gegen Syrien?

Nach der überraschenden Entscheidung in Großbritannien rüstet sich die US-Regierung nun offenbar für einen Alleingang. Am Freitagabend erklärte US-Präsident Barack Obama zwar, er hätte es bevorzugt, wenn die internationale Gemeinschaft mit im Boot gewesen wäre. Aber offenbar scheint der US-Präsident notfalls auch bereit zu sein, ohne Großbritannien zu handeln.

Zuvor hatten sowohl Obama als auch sein Verteidigungsminister Chuck Hagel im Verlauf der Woche immer wieder betont, man werde nur gemeinsam mit Verbündeten agieren. Am Freitag war Obama aber auf sich allein gestellt, als er ankündigte, „einen begrenzten Einsatz“ in Syrien zu erwägen. Inzwischen geht man in Washington davon aus, dass die angekündigte Vergeltung für den Chemiewaffeneinsatz sogar direkt nach Abreise der UN-Inspektoren an diesem Samstag erfolgen könnte.

Weil aber die internationale Unterstützung bröckelt, sucht die US-Regierung daheim mehr Rückendeckung. Am Donnerstagabend, kurz nach der Erklärung des britischen Premiers, kam Obama den immer lauter werdenden Forderungen nach, den Kongress stärker einzubeziehen. In einer 90-minütigen Telefonkonferenz unterrichtete das Weiße Haus führende Abgeordnete über die Beweislage zum Giftgasangriff durch das Assad-Regime. Zuvor hatte Obama mit dem Sprecher des Repräsentantenhauses, dem Republikaner John Boehner, telefoniert. Auch der Mehrheitsführer im Senat, der Demokrat Harry Reid, wird laufend informiert.
Eine Mehrheit der Amerikaner lehnt ein militärisches Eingreifen in Syrien ab. Bereits mehr als 200 Abgeordnete haben der „Washington Post“ zufolge schriftlich an den Präsidenten appelliert, eine Zustimmung des Kongresses für einen Schlag gegen Syrien einzuholen. Obwohl der Kongress weitreichende Kompetenzen bei der Frage eines Militäreinsatzes hat, ist es in der Praxis aber der „Commander in Chief“, der die Entscheidung trifft. Und bislang hatte die Obama-Administration deutlich gemacht, dass der Präsident diese Befugnis auch zu nutzen gedenkt.

Hat Londons Enthaltung bei der Militäraktion gegen Syrien eine militärische Bedeutung für die Amerikaner?

Barack Obama, Außenminister John Kerry, Verteidigungsminister Chuck Hagel, unisono ist in der US-Regierung eine Linie klar: Die angekündigte Aktion gegen Syrien soll ein reiner Vergeltungsschlag für den Einsatz der weltweit geächteten Chemiewaffen sein. Ein Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg steht nicht zur Diskussion. Unter dieser Prämisse brauchen die USA keine militärische Unterstützung aus Großbritannien.

Zwar sind die USA weiter auf eine Zusammenarbeit bei der geheimdienstlichen Aufklärung militärischer Ziele angewiesen, die aber steht mit der britischen Entscheidung nicht zur Disposition. Die Frage bleibt, was nach einem Vergeltungsschlag passiert. Sollte das Assad-Regime entgegen den Erwartungen erneut mit Chemiewaffen gegen das eigene Volk vorgehen oder einen einmaligen Angriff der USA militärisch beantworten, dann könnte dem britischen Rückzug eine größere als nur diplomatische Bedeutung zukommen.

Was folgt direkt aus der Entscheidung für die Briten?

Großbritannien wird an keiner Militäraktionen gegen das Assad Regime teilnehmen. Das versicherte Premier David Cameron nach seiner überraschenden Abstimmungsniederlage Zuvor hatte er leidenschaftlich dafür plädiert, die vor fast 100 Jahren auch auf Betreiben Großbritanniens verabschiedete Konvention zum Verbot von Chemiewaffen aufrecht zu erhalten und den Giftgasattacken in Syrien nicht „tatenlos zuzusehen“.

Nach der Niederlage sagte er: „Mir ist klar, dass das britische Parlament, das den Willen des britischen Volkes reflektiert, einen britischen Militäreinsatz ablehnt. Das habe ich begriffen und die Regierung wird sich daran halten.“ Verteidigungsminister Philip Hammond ergänzte in der BBC: „Wenn ein Angriff stattfindet, wird Großbritannien nicht dabei sein. Assad wird heute Abend etwas ruhiger schlafen”. Laut „Times“ war es das erste Mal seit 1772, dass ein britischer Premier eine Abstimmung über eine Militäraktion verloren hat.

Ganz aus der Syrienpolitik zurückziehen wird sich London aber nicht. Cameron will weiter für eine „robuste Antwort” auf die Lage in Syrien eintreten und mit den USA Druck auf Assad machen. Der konservative Chef des Außenausschusses, Richard Ottowa, schloss sogar eine Rückkehr in die Militärdebatte nicht ganz aus. Falle der Bericht der Waffeninspekteure „ernster aus, als die Menschen bisher dachten, müssen wir die Situation möglicherweise neu einschätzen”.

Welche Folgen ergeben sich für die „Special Relationship“ mit den USA und für Großbritanniens Außenpolitik?

David Cameron hatte US-Präsident Obama wochenlang zu einer entschlosseneren Syrienpolitik gedrängt. Nach der Giftgasattacke in einem Vorort von Damaskus meldete sich Obama bei Cameron und forderte dessen Unterstützung ein. Aber nun kann Cameron nicht liefern. Militärisch wäre die Hilfe der Briten bedeutungslos gewesen, aber die politischen Folgen ihres Fehlens sind enorm. Erstmals verweigert sich Großbritannien seiner historischen Rolle als Widersacher von Diktatoren und Tyrannen und lässt seine traditionellen Verbündeten bei dieser Aufgabe im Stich.

„Dies wird die Special Relationship belasten“, konstatierte Verteidigungsminister Philip Hammond in der BBC. Auch wenn Cameron versicherte, Großbritannien arbeite weiter eng mit den USA zusammen, und Washington eilends bestätigte, die special Relationship bleibe intakt. Aber Großbritanniens Verlässlichkeit als Partner der USA ist in Frage gestellt. Es ist auf einen Schlag ein bisschen mehr wie Deutschland, europäischer geworden. Der frühere Chef der Liberaldemokraten Menzies Campbell befürchtet sogar ein weiteres Schwinden amerikanischen Interesses an Europa und Folgen für die geplante europäisch-amerikanische Freihandelszone.

Wirtschaftlicher Druck hat Großbritanniens Militärkapazitäten schrumpfen lassen, der Einsatzwille der Bevölkerung ist erlahmt, nun hat das Parlament die Fähigkeiten eines Premiers, die Außenpolitik auch mit militärischen Mitteln zu gestalten, drastisch eingeschränkt. „Ist dies ein guter Tag für das Parlament? Wahrscheinlich“, kommentierte Lord Ashdown, der frühere Bosnienbeauftragte. „Ist es ein guter Tag für Großbritannien? Mit Sicherheit nicht.“ George Osborne, Schatzkanzler und einer der engsten Verbündeten Camerons sprach von einer „Denkpause“ und „Selbstprüfung“. Das Land müsse sich fragen, ob es weiter eine so gewichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung spielen und eine große, offene Handelsnation bleiben wolle. „Ich hoffe, dies ist nicht der Moment, wo wir allen Problemen der Welt den Rücken kehren“.

Haben Irakkrieg und Afghanistaneinsatz die Londoner Debatte beeinflusst?

Cameron wurde auch für die Politik des früheren Premiers Tony Blair abgestraft. Der Erinnerung an die Unterhausdebatte vom 18. März 2003, zwei Tage vor Beginn des Irakkriegs, lag am Donnerstag wie ein schwerer Schatten über dem Parlament. Viele Redner warnten vor den unabsehbaren Konsequenzen eines Waffenschlags im Nahen Osten. Parlamentarier beriefen sich auf Warnungen und Kriegsmüdigkeit ihrer Wähler. Aber es ging nicht nur darum, dass die Briten von Irak und der Afghanistankampagne erschöpft sind. Parlamentarier, die sich durch Tony Blair und sein aufgesextes Dossier über Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen in die Irre geführt sahen, wollten diesen Fehler nicht noch einmal machen. Wie 2003 hatte die Regierung auch diesmal eine Geheimdienstanalyse veröffentlicht, die Assad mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ für den Chemiewaffeneinsatz verantwortlich macht. Die Abgeordneten aber forderten bessere Beweise.

Hält Frankreich am Militärschlag gegen Syrien fest?

Frankreich ist auch nach der Weigerung Großbritanniens, gegen Syrien vorzugehen, zu einer Militäraktion entschlossen. Es gehe nicht um eine Intervention zur „Befreiung Syriens oder zum Sturz des Diktators“, sagte Präsident Francois Hollande der Zeitung „Le Monde“. Aber ein chemisches Massaker könne und dürfe nicht ungestraft bleiben. „Es ist nötig, dem syrischen Regime, das seiner Bevölkerung unheilbaren Schaden zufügt, Einhalt zu gebieten.“

Frankreich wünsche eine „angemessene und feste Aktion“ gegen das Regime in Damaskus. Noch am Freitag wollte Hollande sich mit US-Präsident Barack Obama telefonisch beraten. An der Verantwortung des Regimes für den Giftgaseinsatz vom 21. August gibt es für den französischen Präsidenten keinen Zweifel: „Wir verfügen über eine Bündel von Indizien“. Hollande will vor einer Entscheidung aber die Informationen abwarten, die die UN-Waffeninspekteure aus Syrien mitbringen. Eine Intervention vor deren Rückkehr an diesem Wochenende schloss er aus. Die Sondersitzung des französischen Parlaments am kommenden Mittwoch müsse aber nicht abgewartet werden.

Anfang der Woche hatte Hollande erklärt, dass der Einsatz von Chemiewaffen im syrischen Bürgerkrieg nicht ohne Folgen bleiben dürfe und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Dieser Haltung des sozialistischen Präsidenten hatte der Chef der konservativen Oppositionspartei UMP, Jean-Francois Copé, „ohne Abstriche“ zugestimmt. Die „Nationale syrische Opposition“, deren Vorsitzender Ahmed al-Jarba Hollande am Donnerstag empfangen hatte, genießt in Paris viel Unterstützung. Im Juni 2012 hatte Paris eine „Konferenz der Freunde Syriens“ organisiert und als erste Hauptstadt überhaupt die Vertreter der syrischen Opposition als legitime Sprecher des syrischen Volkes anerkannt.

Nach dem Luftkrieg gegen Libyens Diktator Gaddafi und der Intervention in Mali wäre ein Eingreifen in Syrien die dritte Militäraktion Frankreichs innerhalb von drei Jahren in der islamischen Welt. Während die früheren Operationen bei den Franzosen breite Unterstützung fanden, wird die mögliche Aktion in Syrien nach einer jüngsten Umfrage von 58 Prozent der Befragten abgelehnt.

Wie sieht die Beweislage für einen Giftgaseinsatz aus?

Wie sieht die Beweislage für einen Giftgaseinsatz des syrischen Regimes aus?

Seit einigen Tagen schon hieß es, die US-Regierung werde Geheimdienstmaterial veröffentlichen zum Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime – den Grund für einen Militärschlag. Denn das Colin-Powell-Syndrom sitzt tief, nicht nur in den USA. 2003 hatte der damalige US-Außenminister Powell bei den Vereinten Nationen Abhörprotokolle, Fotos und Zeugenaussagen vorgebracht, die die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak belegen sollten. Die Präsentation stand im Gegensatz zu den Erkenntnissen der UN-Experten. Wenig später marschierten US-Truppen, unterstützt durch eine multinationale Koalition, im Irak ein. Später stellte sich heraus, dass die Beweise keine waren. Entsprechend skeptisch fragen Politiker in den USA seit einer Woche das Weiße Haus nach der Beweislage. Am Freitag nun hat die US-Regierung ihre Erkenntnisse öffentlich gemacht. Die Raketen mit den chemischen Kampfstoffen, heißt es, seien aus einem durch das Militär kontrollierten Gebiet abgeschossen worden. Audio-Protokolle gäben zudem Einblick in die Kommunikation zwischen Vertretern der Regierungstruppen, die das Ausmaß der Zerstörung wägten und bestätigten, dass solche Waffen benutzt worden sind.. Ein Geheimdienstbericht weist deshalb die Schuld dem Assad-Regime zu.

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