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Keine Perspektive. Der italienische Premierminister Matteo Renzi will offenbar möglichst baldige Neuwahlen im Land durchsetzen.

© Filippo Monteforte/AFP

Nach dem Referendum in Italien: Kein Kandidat, kein Gesetz, kein Termin

In Italien macht sich Katerstimmung breit. Staatspräsident Mattarella muss nach dem gescheiterten Referendum alles daran setzen, ein Chaos vermeiden.

Nicht, dass die Sieger der Referendumsabstimmung dem Noch-Premier Matteo Renzi nun plötzlich groß nachtrauern würden. Aber dennoch hat sich in Rom nach der abgelehnten Verfassungsänderung eine leichte Katerstimmung ausgebreitet, nicht nur bei den Verlierern. Es ist einfach zu vieles ungeklärt: der Wahltermin, die Ausgestaltung des noch zu schreibenden neuen Wahlgesetzes – und nicht zuletzt auch die Frage nach dem neuen politischen Leader, also nach dem Sinn des Ganzen.

Im Grunde ist nicht einmal richtig klar, was das nun ist in Rom. Eine Regierungskrise? Eine solche ist laut Definition formal dann gegeben, wenn die Regierung ihre Mehrheit im Parlament verliert – normalerweise durch eine verlorene Vertrauensabstimmung. Renzi wurde aber nicht vom Parlament das Vertrauen entzogen, sondern vom Volk. Die Regierungsmehrheit im Parlament existiert unverändert. Renzi könnte sich die Sache mit dem Rücktritt theoretisch sogar noch anders überlegen.

Hauen und Stechen in der Regierungspartei

Was er natürlich nicht tun wird: Der Gesichtsverlust wäre zu groß. Es heißt, Renzi habe am Montag beim Staatspräsidenten auf möglichst baldige Neuwahlen gedrängt, um dann als Spitzenkandidat seines sozialdemokratischen PD anzutreten und mit einem Sieg ein glanzvolles Comeback zu feiern. Dieser Optimismus und Kampfgeist ehrt den großen Verlierer vom Wochenende – aber erst einmal muss Renzi das große Hauen und Stechen im PD überstehen, das in der gespaltenen Partei nach dem Desaster beim Referendum begonnen hat. Er kann sich nicht einmal sicher sein, in diesem Machtkampf mit der Parteilinken seinen Posten als PD-Chef zu behalten.

Eine prickelnde personelle Alternative haben Renzis parteiinterne Gegner bisher freilich auch nicht aus dem Hut gezaubert. Noch dramatischer stellt sich die K-Frage im bürgerlichen Lager, das immer noch – man wagt es kaum noch zu schreiben – von Silvio Berlusconi beherrscht wird. Der mit einem Ämterverbot belegte 80-jährige Ex-Premier hat in seiner langen Karriere diverse mögliche Nachfolger präsentiert, um diese jeweils nach kurzer Zeit wieder abzuservieren – statt möglicher neuer Führungsfiguren gibt es rund um den Cavaliere nur verbrannte Erde.

Bleiben – neben der Lega Nord, die aber zu schwach ist, um bei Neuwahlen zu gewinnen – die „Grillini“. Die Protestbewegung des Genueser Ex-Komikers wird ihren Kandidaten vermutlich wieder per Internet-Abstimmung küren – wie bei den Bürgermeisterwahlen in Rom im vergangenen Sommer. In der Drei-Millionen-Metropole ist die zuvor völlig unbekannte Virginia Raggi mit 1764 Mausclicks von Sympathisanten als Spitzenkandidatin bestimmt worden, gewann die Wahl, und versucht seither, die Ewige Stadt zu regieren. Was in der Hauptstadt auf lokaler Ebene klappte, könnte auch bei nationalen Wahlen funktionieren: Beppe Grillo, der eigentliche Sieger beim Referendum, drängt am lautesten auf sofortige Neuwahlen.

Es braucht ein neues Wahlgesetz

Staatspräsident Sergio Mattarella wird diesem Drängen kaum nachgeben. Objektiv gesehen gibt es keinen Grund, das Parlament aufzulösen – es existiert, wie erwähnt, immer noch eine parlamentarische Mehrheit, die eine Übergangsregierung stützen könnte. Zweitens muss erst ein neues Wahlgesetz her: Würde mit den aktuellen Regeln gewählt, ergäben sich im Senat und in der Abgeordnetenkammer mit großer Wahrscheinlichkeit völlig unterschiedliche Mehrheiten. Und damit ein noch größeres Chaos. Über die Art der erforderlichen Wahlrechtsreform bestehen im Parlament aber unterschiedliche Vorstellungen – es droht erst einmal ein langwieriges und mühsames Gefeilsche.

Keine Kandidaten, kein Wahlgesetz, kein Wahltermin: Staatspräsident Mattarella hat ein kompliziertes Puzzle vor sich. Aber der Sizilianer hat dem Land schon einmal den Weg aus einer Krise gezeigt: Nach dem Schmiergeldskandal „Tangentopoli“ war er der geistige Vater eines neuen Wahlgesetzes gewesen, des sogenannten „Mattarellum“. Es galt von 1993 bis 2005, bis sich der damalige Premier Berlusconi vom Parlament ein neues Wahlgesetz auf den Leib schneidern ließ. Ein leicht angepasstes „Mattarellum 2.0“ gilt heute als oft genannter möglicher Ausweg aus der Sackgasse, in die sich die italienische Politik wieder einmal manövriert hat.

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