zum Hauptinhalt
Bei Razzien in Brüssel wurden in der Nacht zum Freitag sechs Verdächtige festgenommen.

© imago/Reporters

Nach den Anschlägen von Brüssel: Nicht die EU versagt, sondern die Nationalstaaten

Nach den Anschlägen von Brüssel stellen sich ernsthafte Fragen - unter anderem zum Aufklärungswillen der belgischen Ermittler und zum Schutz der EU-Außengrenzen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Europa kann nur in der Gemeinschaft stark sein. Deshalb müssen die einzelnen Länder sich vertrauen. Deshalb muss die eigene Souveränität in der EU gebündelt werden. Wann wird das von allen begriffen werden? Wann wird europäisch gedacht?

schreibt NutzerIn hadi

Die ersten, die den Doppelanschlag von Brüssel für ihre Zwecke instrumentalisiert haben, waren Europas Rechtspopulisten. Unmittelbar nach den Attentaten retweetete der Chef der EU-feindlichen britischen Ukip-Partei, Nigel Farage, einen Tweet der „Telegraph“-Kolumnistin Allison Pearson, in dem sie Brüssel als die „dschihadistische Hauptstadt Europas“ bezeichnete. Sie warf dem britischen Regierungschef David Cameron und allen, die vor dem Referendum am 23. Juni für einen Verbleib in der EU werben, vor, fälschlicherweise zu behaupten, dass die Briten in der EU sicherer seien als außerhalb der Gemeinschaft.

Für die Ukip und alle anderen, die einen „Brexit“ vorantreiben wollen, kommen die Attentate in der EU-Hauptstadt wie gerufen. Aber wer behauptet, „die EU“ versage angesichts der beiden Pariser Anschläge vom vergangenen Jahr und dem neuen Schlag der Dschihadisten vom 22. März bei der Terrorbekämpfung, der sollte vielleicht etwas genauer hinschauen. Eher sind es die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die vor allem bei der geheimdienstlichen Zusammenarbeit nicht auf der Höhe der Zeit sind.

Ein Fluggastdaten-Register ist kein Allheilmittel

Die EU-Innenminister, die am Donnerstag in Brüssel zusammenkamen, wissen das. Und weil sie auch wissen, dass sie den nationalstaatlichen Egoismen der Nachrichtendienste so schnell kein Ende setzen können, bekräftigen sie viele altbekannte Forderungen, wie sie auch schon nach den Pariser Attentaten laut geworden waren. Einige sind gerechtfertigt, andere nicht unbedingt zielführend.
So stellt sich die Frage, ob die Schaffung eines europäischen Fluggastdaten-Registers (PNR) nach amerikanischem Vorbild tatsächlich einen Mehrwert bei der Terrorbekämpfung bringen würde. Wenn die Europaabgeordneten, wie von den Innenministern gefordert, tatsächlich im kommenden Monat eine Richtlinie zur Fluggastdaten-Erfassung verabschieden würden, trägt das möglicherweise zur Beruhigung der Öffentlichkeit bei. Wenn sich allerdings Gefährder wie die belgischen Staatsbürger Najim Laachraoui sowie die Brüder Ibrahim und Khalid El Bakraoui, auf deren Konto die Anschläge von Brüssel gehen, bereits in der EU befinden, dann bietet eine Fluggastdaten-Erfassung auch keinen umfassenden Schutz. Von daher ist es durchaus verständlich, dass das Europaparlament ein politisches Tauschgeschäft vorschlägt: Wenn die Abgeordneten der Fluggastdaten-Richtlinie zustimmen, sollen die Mitgliedstaaten ihrerseits den Datenschutz EU-weit verbessern.

Identifizierung gefälschter Pässe sollte Vorrang haben

Dringlicher als die Schaffung eines europäischen PNR-Registers sind allerdings andere Maßnahmen. Zum Beispiel: Die Behörden der Staaten an den Außengrenzen des Schengen-Raums müssen in die Lage zu versetzt werden, Dschihadisten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ zu identifizieren, die mit gefälschten Pässen unterwegs sind. Das Schengen-Informationssystem, das auch zur Identifizierung von Gefährdern an den EU-Außengrenzen dienen soll, muss intensiver genutzt werden. Und im Inneren der EU gehört es selbstverständlich zur präventiven Polizeiarbeit, radikalisierte Jugendliche, die möglicherweise in den Dschihad ziehen wollen, zu überwachen – was natürlich immer auch eine Frage der finanziellen Ressourcen ist.

Es stellen sich Fragen zum Aufklärungswillen der belgischen Fahnder

Apropos Polizeiarbeit im Innern: Dass es Versäumnisse bei den belgischen Behörden vor den Anschlägen vom 22. März gegeben hat, legen nicht nur die Rücktrittsangebote der beiden Brüsseler Minister für Inneres und Justiz, Jan Jambon und Koen Geens, im Zusammenhang mit der Einreise des Attentäters Ibrahim El Bakraoui nahe. Wenn nämlich Medienberichte zutreffen, dass der mutmaßliche Drahtzieher der Pariser Anschläge, Salah Abdeslam, zwischen seiner Festnahme vor einer Woche und den Attentaten vom 22. März von den Ermittlern gerade einmal 60 Minuten lang verhört wurde, dann zeugt das nicht vom Aufklärungswillen der belgischen Fahnder. Die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, wie er von der Opposition im belgischen Parlament gefordert wird, ist überfällig.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false