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Nach der Wahl in Niedersachsen: Hätte, wäre, könnte

Haarscharf gewonnen, knapp verloren – und irgendwie hatten sich alle alles anders vorgestellt. Es regiert der Konjunktiv.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Manchmal reicht ein kurzer Satz, um eine lange Geschichte zu erzählen. Der Satz rutscht Sigmar Gabriel heraus, als die Lautsprecher abgestellt waren im Willy-Brandt-Haus. Der Sieg ist verkündet, die Blumen überreicht an den künftigen niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil, da wendet sich Gabriel halblaut zu seinem neuen Mann in Hannover: „Vielen Dank für die heilenden Worte zu Peer!“

Heilende Worte? Es ist keine Sensation, die Weil kurz zuvor verkündet: „Die Bundeskanzlerin hat die Landtagswahlen mit verloren nach meiner Auffassung“, sagt der siegreiche SPD-Spitzenkandidat und wendet sich dann zur Seite, dorthin, wo der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück inmitten der Parteiprominenz bescheiden neben der Bühne steht. „Ich freue mich, Peer, dass wir die Landtagswahlen gemeinsam gewonnen haben.“

Auf einmal wird klar, wie schwer verwundet sich Peer Steinbrück in den letzten Tagen vor der Landtagswahl in Niedersachsen gefühlt hat, wie sehr er fürchtete, seiner eigenen Partei zur erdrückenden Last zu werden. Aber „gemeinsam gewonnen“ – das holt ihn zurück in die Mitte der Partei. Vergeben, vergessen.

Gabriels Satz verrät aber auch, und mehr noch als sein entspanntes Gesicht, wie viel Angst die SPD-Führung hatte. Noch wenige Stunden vor Schließung der Wahllokale in Niedersachsen hätte kaum jemand in der Parteispitze darauf gewettet, dass es klappt. Zu klar deuteten die Umfragen auf ein Desaster; zu sehr schien das Bild vom gescheiterten Kanzlerkandidaten alles andere zu überlagern. Steinbrücks Miene wurde immer mürrischer in diesen Tagen. Wie Wackersteine beschwerte den Kanzlerkandidaten die Vorstellung, er könne durch die Kanzlergehalt-Debatte einen rot-grünen Wahlsieg verhageln. So viel einfacher wäre es gewesen, hat er wichtigen Genossen zerknirscht anvertraut, wenn er bloß ein paar Sätze nicht gesagt hätte oder wenigstens ein bisschen anders.

Aber der Schaden hat sich in Grenzen gehalten, haarscharf. Der Wahlsieg von Hannover räumt einen Weg frei zum Comeback. Hatte Steinbrück nicht vorausgesagt, die „politische Mechanik der Republik“ werde sich ändern, wenn Rot-Grün die Regierung David McAllister stürze? In den Augen der Sozialdemokraten hat sich die Prognose erfüllt. Der Nimbus der unbesiegbaren Kanzlerin ist gebrochen, im Bundesrat haben sie an Einfluss gewonnen und obendrein das Gefühl, dass sie mit ihren inhaltlichen Angeboten rund um das Thema soziale Gerechtigkeit Erfolg haben können.

Die CDU hat auch das vorletzte der westdeutschen Flächenländer verloren

Ein paar Kilometer weiter bei der CDU regiert an diesem Tag hingegen klar der Konjunktiv: Hätte, wäre, könnte. David McAllister sieht aus wie eine wandelnde Leiche, blass, rotgeränderte Augen, die Mundwinkel rutschen weg bei jedem Versuch zu lächeln. „Am Ende waren’s einige wenige tausend Stimmen hin oder her“, sagt er, als er sich nach der Sitzung der Spitzengremien mit Angela Merkel auf das Podium quält, „sonst würde es heute hier ganz anders aussehen.“ Stimmt: Sie würden das Lied von der schwarz-gelben Eintracht anstimmen und bissige Bemerkungen fallen lassen über einen gewissen Kanzlerkandidaten. Hätte, wäre, könnte.

Ist aber nicht. Die CDU hat auch das vorletzte der westdeutschen Flächenländer verloren. Die Frage, ob McAllisters verdeckte Leihstimmenkampagne für die FDP die Sache schlimmer gemacht hat oder nicht, wird in den Spitzengremien so wenig erörtert wie andere Ursachen: „Die Ansage war: Man redet nicht darüber“, sagt ein Vorstandsmitglied. Merkel beschränkt die Wahlanalyse auf einen Spruch, der ihr in dem allgemeinen Trübsinn gefallen hat: „Wir haben schon ganz anders verloren“, hat drinnen die Gewerkschafterin Regina Görner gesagt.

Trotzdem wissen alle, dass sich in dieser Nacht etwas verändert hat. Man weiß jetzt: Beliebtheitswerte garantieren keinen Sieg. Und: Ein schwacher Partner kann den starken kannibalisieren. Zornig – nein, zornig auf die FDP sind sie nicht. „Die haben ihre Chance genutzt“, sagt ein Vorständler. „Es hat in der Summe nicht gereicht“, hält Merkel nüchtern fest. Aber noch einmal derart aussaugen lassen will sich auch keiner. Vielleicht, sagt Merkel, herrsche ja jetzt „insgesamt nicht mehr so ’ne Angst, dass die FDP von der Bildfläche verschwindet“. Im Bund werde die CDU um jede Stimme kämpfen – und zwar für sich.

Das muss sie jetzt auch: kämpfen. Denn Steinbrück ist wieder da, Philipp Rösler ist immer noch da, David McAllister ist weg. Gut, das soll nicht so bleiben. „Er is’n junger Mann im Vergleich zu mir“, sagt Merkel, „insofern gehört ihm die Zukunft.“ Die hätte dem 42-Jährigen bei einem Sieg erst recht gehört, als Favorit für eine Zeit nach Merkel. Aber auch das bleibt nun im Konjunktiv. Er wird fürs Erste bestenfalls, was er sich selbst als Etikett im Wahlkampf siegessicher an die Brust geheftet hat: Merkels Mac.

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