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Anton Hofreiter (Bündnis90/Die Grünen).

© dpa/Michael Kappeler

Update

Massive Kritik nach EU-Kompromiss: Hofreiter verlangt von der Grünen-Führung, die Asylrechts-Verschärfung zu verhindern

Die Grünen müssen einen weiteren Kompromiss eingehen: Mit ihrer Beteiligung beschließen die EU-Staaten eine Verschärfung der Asylregeln. Das stößt einigen übel auf.

| Update:

Nach der Zustimmung der Bundesregierung zur geplanten Verschärfung der europäischen Asylregeln zeichnen sich hitzige Diskussionen bei den Grünen ab.

Kaum hatten die EU-Innenministerinnen und -minister die Einigung ihrer Staaten in Luxemburg mit Applaus besiegelt, da meldeten sich die Doppelspitzen sowohl der grünen Partei- als auch Fraktionsführung mit je zwei unterschiedlichen Bewertungen zu Wort.

Nachdem die Grünen als Teil der Ampel-Regierung mit SPD und FDP den schwierigen europäischen Kompromiss zugelassen haben, distanziert sich ein Teil des Führungspersonals öffentlich davon – ein bemerkenswerter Vorgang.

Neue Asylregeln: Was beschlossen wurde

Die Asylverfahren in der EU sollen angesichts der Probleme mit illegaler Migration deutlich verschärft werden. Eine ausreichend große Mehrheit an Ministern stimmte in Luxemburg für umfassende Reformpläne. Vorgesehen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive.

So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen.

Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.

Die Bundesregierung hatte sich in den Verhandlungen nachdrücklich dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Auch Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck (beide Grüne) meldeten sich in diesem Sinne zu Wort. Um den Durchbruch zu ermöglichen, mussten sie allerdings letztlich akzeptieren, dass dies doch möglich sein könnte.

Faeser: Bundesregierung will sich weiter für Ausnahmen einsetzen

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte nach der Entscheidung allerdings, dass sich die Bundesregierung gemeinsam mit Portugal, Irland und Luxemburg weiter für Ausnahmen einsetzen werde.

Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat.

© dpa/Kay Nietfeld

Denkbar ist auch, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht und wird in den kommenden Monaten mit Vertretern der EU-Staaten über das Projekt verhandeln.

EU-Asylrecht: Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, muss zahlen

Zudem sehen die am Donnerstag beschlossenen Pläne auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen vor. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein.

Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden. Länder wie Ungarn stimmten deswegen gegen den Plan.

Nach Angaben der zuständigen Kommissarin Ylva Johansson vom späten Donnerstagabend können abgelehnte Asylbewerber künftig grundsätzlich auch in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden.

Einzige Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben. Wie diese aussehen muss, soll im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten liegen, die für das jeweilige Asylverfahren zuständig sind.

Die Bundesregierung hatte sich eigentlich dafür starkgemacht, einen reinen Transitaufenthalt in einem Drittstaat nicht als Verbindung anzuerkennen, sondern nur zum Beispiel durch im Land lebende Familienangehörige. Diese Forderung musste allerdings am Donnerstag im Laufe der Verhandlungen aufgegeben werden, um eine Einigung auf die Pläne für die Asylreform zu ermöglichen.

Parteiinterne Kritik: Die vielstimmigen Grünen

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Führende Grünen mühten sich nach der offensichtlich schmerzhaften Entscheidung um eine gemeinsame, wenn auch nicht einheitliche Kommunikation.

So meldete sich Co-Parteichef Omid Nouripour mit einer Serie an Tweets zu Wort, in denen er das Für und Wider abwog, mit dem Ergebnis: „In der Gesamtschau komme ich zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen.“

Über die Ausgestaltung der Ergebnisse müsse aber noch strikt verhandelt werden. „Das ist eine Ausgestaltungssache, über die wir noch sehr, sehr hart miteinander sprechen müssen innerhalb der Europäischen Union“, sagte er am Freitag im Deutschlandfunk.

„Wir haben stets gedrängt, dass Familien komplett ausgenommen werden, dass schutzbedürftige Gruppen nicht in diese Grenzverfahren reinkommen. Das ist nicht erreicht worden“, führte er aus.

Der Kompromiss werde dem „Leid an den Außengrenzen nicht gerecht und schafft nicht wirklich mehr Ordnung“, schrieb die Co-Parteivorsitzende Ricarda Lang am Donnerstagabend auf Twitter.

Zwar gebe es gewisse Verbesserungen, zentrale Forderungen seien aber nicht erreicht worden. „So wird es keine grundsätzliche Ausnahme von Kindern bei Grenzverfahren geben und auch ein verpflichtender Verteilmechanismus konnte, trotz Fortschritten bei Solidarität und Verteilung, nicht erreicht werden“, kritisierte Lang.

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„Deshalb komme ich zu dem Ergebnis, dass Deutschland bei dem Vorschlag zur GEAS-Reform im Rat heute nicht hätte zustimmen dürfen“, so die Co-Parteivorsitzende.

Auch Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge erklärte, in den Verhandlungen seien zwar „Verbesserungen“ erreicht worden. „Aber für mich werden sie dem Anspruch auf Solidarität und Humanität in Europa nicht ausreichend gerecht.“

Massive Kritik kam auch von Europaparlamentariern der Grünen. „Die EU-Mitgliedsstaaten haben ihren moralischen Kompass verloren“, monierte der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen. „Es ist beschämend, dass auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser mit Zustimmung der Ampel-Koalition diesem Vorschlag zugestimmt hat.“

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Die Einigung der EU-Innenminister habe einen zu hohen Preis. Die gute Nachricht sei, dass diese Einigung noch nicht Gesetz sei. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Terry Reintke, monierte: „Die Position des Rats widerspricht europäischen Werten wie den Grundrechten und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit.“ Die Fraktion lehne den Beschluss des Rats ab.

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Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck verteidigten den Kompromiss unter Verweis auf die Notwendigkeit einer Einigung in Europa. „Ich habe hohe Achtung vor denen, die aus humanitären Gründen zu anderen Bewertungen kommen“, sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur. „Ich hoffe, sie sehen auch, dass es Gründe gibt, dieses Ergebnis anzuerkennen.

Eine Hoffnung, die an diesem Abend nicht nur er ausdrückte. Zustimmung kam in ersten Wortmeldungen eher von Vertretern des Realo-Flügels, Ablehnung von linken Grünen.

Baerbock wirbt von Kolumbien aus für EU-Kompromiss

Baerbock strich bei ihrem Besuch in Kolumbien am Donnerstag einen Teil ihres Programms, um in Videoschalten in Partei und Fraktion für den Kompromiss zu werben. Schnell nach der Einigung machte sie dann von Cali aus ihre Linie auch öffentlich klar.

„Zur Ehrlichkeit gehört: Wenn wir die Reform als Bundesregierung alleine hätte beschließen können, dann sähe sie anders aus“, teilte sie mit. „Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird.“

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, verteidigt den Kompromiss.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Im Klartext: Hätte man in Luxemburg die Außengrenzen-Länder Italien und Griechenland überstimmt und nicht im Kompromiss mitgenommen, würde der angestrebte Dreiklang aus Registrierung, Verteilung und Grenzverfahren ohnehin kaum klappen. Die Bereitschaft Roms oder Athens, bei der Registrierung mitzumachen, wäre dann wohl gegen null gegangen - und das ganze Konzept gescheitert.

Auch um unser Europa ohne Kontrollen an den Binnengrenzen zu erhalten, war dieser Kompromiss nötig.

Außenministerin Annalena Baerbock

Baerbock hatte schon in ihrer Mitteilung drastisch klargemacht, was für sie in der Abwägung Regierungsverantwortung bedeutet: Hätte Deutschland etwa mit Polen und Ungarn gegen den Kompromiss gestimmt, „wäre eine gemeinsame europäische, solidarische Asylpolitik auf Jahre tot“.

All jene, die in Europa ohnehin nationale Mauern wieder hochziehen wollten, hätten einen Freifahrtschein. „Auch um unser Europa ohne Kontrollen an den Binnengrenzen zu erhalten, war dieser Kompromiss nötig“, ergänzte sie.

In einem Brief an die Grünen-Bundestagsfraktion warb Baerbock für die Einigung der EU-Innenminister. Die Entscheidung sei ihr „als Außenministerin, als Grüne und auch persönlich sehr schwergefallen“, schrieb Baerbock.

Sie halte die Einigung dennoch für richtig, weil sich der Status Quo für viele Geflüchtete dadurch verbessern werde. Der Brief, über den zuvor die „Bild“ berichtete, lag der Deutschen Presse-Agentur am Freitag vor.

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Bundesfamilienministerin Lisa Paus bezeichnete die Einigung als „sehr problematisch“. „Leider war die pauschale Ausnahme für Kinder sowie ihre Familienangehörigen im Rahmen der Verhandlungen mit den anderen Mitgliedstaaten nicht zu erreichen“, sagte die Grünen-Politikerin am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. „Der gefundene Kompromiss ist für mich daher sehr problematisch“, fügte sie hinzu.

Asylrechtsverschärfung „menschenrechtlich problematisch“

Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter appellierte an die Parteiführung, die Verschärfung des Asylrechts in dieser Form zu verhindern.

„Angesichts des höchst problematischen Asylkompromisses muss man von der gesamten Grünen-Führung jetzt erwarten, dass sie ihr Möglichstes tut, damit die Asylrechtsverschärfung in dieser Form nicht kommt“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Freitag.

Die beschlossene Verschärfung sei nicht nur menschenrechtlich problematisch, sondern schade auch dem Ansehen Deutschlands und Europas in sehr vielen Ländern dieser Welt, sagte der Grüne. „Deshalb ist sie angesichts der Weltlage auch geostrategisch falsch.“

Zuvor hatte Außenministerin Annalena Baerbock in einem Brief an die Grünen-Bundestagsfraktion für die Einigung geworben.

Geradezu entgeistert äußerte sich das Führungsduo der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend, Timon Dzienus und Sarah-Lee Heinrich. Dzienus schrieb über den Kompromiss auf Twitter: „Das ist unmenschlich und ich werde das so nicht akzeptieren“.

Heinrich schrieb: „Ich bin fassungslos. Abschottung sorgt nicht dafür, dass weniger Menschen fliehen. Es bedeutet, dass mehr Menschen leiden.“ Hunderte Grüne hatten zuletzt in einem Schreiben an Spitzenvertreter ihrer Partei vor den Asylplänen gewarnt. (dpa)

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