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Nach Krawallen in Hamburg: Gefahrengebiet wird verkleinert

Hamburgs Einwohner sind genervt von den Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Aus den bisherigen Gefahrengebieten, welche die Polizei am vergangenen Samstag auswies, werden jetzt Inseln. Die nächste Großdemonstration ist schon in Sicht.

Warnungen der US-Botschaft für amerikanische Bürger, Berichte im türkischen Staatsfernsehen und britische Journalisten, die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei filmen und fotografieren: Die von der Hamburger Polizei seit vergangenem Samstag ausgewiesenen Gefahrengebiete in Teilen der Innenstadt erregen Aufmerksamkeit weit über die Elbmetropole hinaus. Nach sechs Tagen gab es am Donnerstag eine Reaktion – das Gefahrengebiet wird deutlich verkleinert. Aus bisher großen Gebieten in Altona, St. Pauli und im Schanzenviertel, in denen die Polizei bisher jeden Bürger verdachtsunabhängig kontrollieren konnte, werden nun kleinere Flächen. Dabei handelt es sich um sogenannte Gefahreninseln rund um drei Polizeiwachen. Das bestätigte am Donnerstag ein Polizeisprecher.

Das Thema der umstrittenen Gefahrengebiete ist im Stadtstaat quasi über Nacht zum Politikum geworden. Die allein regierende SPD will das Politikfeld der inneren Sicherheit nicht zu einer offenen Flanke werden lassen und womöglich Ohnmacht demonstrieren. Das Gefahrengebiet war nach schweren Krawallen und Angriffen auf Polizeiwachen mit teils schwer verletzten Beamten ins Leben gerufen worden. Die verdachtsunabhängigen Kontrollbefugnisse der Polizei scheinen die linke Szene allerdings noch zusätzlich zu stimulieren. Viele Hanseaten sind dagegen nur noch genervt von den Protesten und der erhöhten Polizeipräsenz.

Spuren der Krawalle aus der Vorweihnachtszeit noch immer zu sehen

Die Abende und Nächte gestalten sich seit Tagen zu einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Aktivisten aus der linksalternativen und autonomen Szene auf der einen Seite und der Polizei auf der anderen Seite. Kleingruppen von Demonstranten versammeln sich spontan und ziehen durch verschiedene Straßenzüge im Kiez und im Schanzenviertel.

Der Einsatzbericht der Nacht zum Donnerstag scheint die Argumente der Befürworter des Gefahrengebiets zu bestätigen: Es gab bei rund 350 Demonstranten 112 Personenkontrollen, 34 ausgesprochene Aufenthaltsverbote mit Betretungsuntersagung des Gefahrengebietes, drei Ingewahrsamnahmen, einen Platzverweis und eine vorläufige Festnahme. Als ein Bauzaun auf die Straße gezogen werden sollte, kam es zum Schlagstockeinsatz der Polizei. Die Nerven einer Blumenhändlerin am Neuen Pferdemarkt liegen blank: „Mich kotzt das an, wegen Demonstranten und Polizei habe ich seit zwei Stunden nichts mehr verkauft.“ Zudem fühlen sich Einwohner zum Teil durch Polizeikontrollen bei selbst offensichtlich szeneuntypischer Bekleidung schikaniert.

Im gesamten Gefahrengebiet sind noch die Spuren der Krawalle aus der Vorweihnachtszeit zu sehen. Geschäfte und Filialen der Hamburger Sparkasse haben ihre eingeworfenen Scheiben nur notdürftig mit Klebeband gesichert. Wer sich als Autofahrer von Protesten oder Transparenten ablenken lässt, riskiert einen Auffahrunfall.

Neue Belastungsprobe schon in Sicht

„Der Senat agiert gerade sehr ungeschickt“, sagt Henning Bunte, der das „St. Pauli Tourist Office“ betreibt. Die Ausweisung von Gefahrengebieten vergleicht er mit „Öl, das ins Feuer gegossen wird“. Rolf Jürgens sieht es anders. Er zeigt Verständnis für die umstrittene Maßnahme. Polizei und Rechtsstaat könnten bei der zuletzt so massiv ausufernden Gewalt nicht tatenlos zusehen. Er hat sein Fahrrad am Spielbudenplatz nahe den jetzt wegen der Baufälligkeit zwangsweise geräumten sogenannten Esso-Häusern abgestellt. Die jahrzehntelang vernachlässigte Immobilie samt Tankstelle und einiger Geschäfte ist in solch marodem Zustand, dass eine weitere Nutzung behördlich verboten wurde. Ohne eine Nachfolgewohnlösung wurden die Bewohner ausquartiert. Viele suchen billigen Wohnraum. Das Thema birgt sozialen Sprengstoff und betrifft viele Alt-Hamburger.

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) verteidigt die inzwischen zu Inseln geschrumpften Gefahrengebiete. Ziel sei es, damit weitere Gewalttaten zu verhindern. Auf Facebook solidarisieren sich unterdessen mehr als 55.000 Menschen mit verletzten Polizeibeamten. Am 18. Januar müssen sich Polizei und Innensenat womöglich einer neuen Belastungsprobe stellen: Dann soll es eine Großdemonstration gegen das Gefahrengebiet im Stadtteil St. Pauli geben.

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