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Die Bildkombo zeigt die vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Fahndungsfotos.

© dpa

Update

Nach Terroranschlag in Berlin: Haftbefehl gegen Kontaktmann Amris - wegen Sozialbetrugs

Ein 26 Jahre alter Tunesier hat am Vorabend der Lkw-Attacke von Berlin mit dem mutmaßlichen Attentäter gesessen. Amri besaß 14 verschiedene Identitäten, teilte die Polizei mit.

Der Islamist Anis Amri ist nach dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz offenbar von einer Kamera am nahen Bahnhof Zoo aufgezeichnet worden. Man gehe davon aus, dass der Mann auf dem Video der Tunesier sei, sagte Frauke Köhler, die Sprecherin der Bundesanwaltschaft (GBA), am Mittwoch in Karlsruhe. Der 24-jährige, seit Jahren polizeibekannte Amri sei sich der Aufzeichnung wohl bewusst gewesen. Er habe den unter Muslimen symbolisch bedeutsamen Zeigefinger gehoben und zur Kamera gestreckt - diesen Gruß nutzen nicht nur Anhänger des "Islamischen Staates", zu dem sich Amri bekannte. Die für Terrorermittlungen zuständige GBA hatte, wie berichtet, das IS-Bekennervideo zum Anschlag in Berlin als echt eingestuft. Amri posiert in dem Clip in Berlin-Moabit.

70 Beamte durchsuchten das Heim in der Motardstraße

Der Tunesier soll GBA-Sprecherin Köhler zufolge noch am Tattag, dem 19. Dezember 2016, in der umstrittenen Fussilet-Moschee in Moabit gewesen sein. Am Vorabend des Anschlags hatte er mit einem 26 Jahre alten Tunesier in Gesundbrunnen zu Abend gegessen. Deshalb hatte es in der Nacht zu diesem Mittwoch auch zwei Razzien in Berlin gegeben, eine davon mit rund 70 Beamten in dem Asylbewerberheim in der Motardstraße in Berlin-Spandau, in dem die Polizisten das Zimmer des 26 Jahre alten Tunesiers durchsuchten. Der Mann wurde vorläufig mitgenommen, da der Verdacht bestehe, dass er „von den Anschlagsplänen wusste und möglicherweise Anis Amri geholfen hat”, sagte Köhler.

Dieses von der italienischen Polizei veröffentlichte Bild soll beweisen, dass die in Berlin und Mailand gefundenen Kugeln aus derselben Waffe abgefeuert worden sind.
Dieses von der italienischen Polizei veröffentlichte Bild soll beweisen, dass die in Berlin und Mailand gefundenen Kugeln aus derselben Waffe abgefeuert worden sind.

© AFP

Für einen Haftbefehl reichte es dann aber doch nicht. Der Mann sitzt nun allerdings als Berliner Untersuchungshäftling ein. Gegen den Beschuldigten, der auch unter zwei Aliaspersonalien auftrat, ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft: Der Mann soll von April 2015 bis November 2015 in Leipzig, Mettmann und Berlin insgesamt 2500 Euro "wissentlich zu Unrecht" bezogen zu haben. Der Berliner Haftbefehl erging wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Leistungsbetrugs. Eine Straftat, der übrigens auch Amri in Nordrhein-Westfalen verdächtigt worden ist.

Dieselbe Schusswaffe in Berlin und Mailand eingesetzt

Fast zeitgleich zu der Wohnung des Tunesiers durchsuchten Beamte in der Berliner Innenstadt eine Privatwohnung in Gesundbrunnen. Auch dabei waren die Beamten auf der Suche nach einem Bekannten Amris. Woher der Mann stammt, ist noch nicht bekannt. Amri hatte GBA-Sprecherin Köhler zufolge bei ihm gewohnt.

Ebenfalls am Mittwoch wurde bekannt, dass Amri den polnischen Lastwagenfahrer Lukasz Urban mit derselben Waffe erschossen hat, mit der er in Italien auf Polizisten feuerte. Das teilte die italienische Polizei am Mittwoch mit. Amri hatte auf der Flucht aus Berlin in der Nähe von Mailand auf zwei Polizisten gefeuert, die ihn schließlich erschossen. Geprüft werde nun, ob die Waffe auch anderswo in Europa eingesetzt wurde - Amri war in Italien und Deutschland als Krimineller aktiv, bevor er am 19. Dezember auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz zwölf Menschen tötete und mehr als 50 verletzt haben soll.

Geklärt ist damit der Fall Amri aber nicht: Unklar ist, an wen Amri unmittelbar vor dem Anschlag aus dem geraubten Truck eine Sprachnachricht und ein Foto versendet habe. Ein dazu Verdächtigter aus Berlin-Tempelhof ist kürzlich freigelassen worden. Und dann wäre da noch die Stationen der Flucht. Wo hat sich der mutmaßliche Mörder ab dem 20. Dezember, also dem Morgen nach der Tat, aufgehalten? Es gebe Erkenntnisse, wonach er nach der Tat über Nordrhein-Westfalen reiste, sagte GBA-Sprecherin Köhler. Am 21. Dezember soll er dann über die Niederlande nach Frankreich gereist sein.

Amri soll in Deutschland mindestens 14 verschiedene Identitäten genutzt haben. Das teilte die Polizei in einer Sitzung des NRW-Innenausschusses zum Berlin-Attentat mit. "Er verhielt sich konspirativ und nutzte verschiedene Personalien", sagte Landeskriminaldirektors Dieter Schürmann am Donnerstag in einer Sondersitzung des Ausschusses. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) versprach Aufklärung zu der Frage, ob den Behörden Fehler unterlaufen sind. Mehr zum Innenausschuss lesen Sie hier.

Eine Reportage zu Amris krimineller Karriere in Berlin lesen Sie in der Tagesspiegel-Donnerstagausgabe auf Seite 3, im E-Paper oder im digitalen Kiosk Blendle.

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