zum Hauptinhalt

Naher Osten: Radikaler als die Hamas erlaubt

Die Palästinenserorganisation geht im Gazastreifen gegen islamische Fundamentalisten vor. Hamas-Polizisten stürmen ein Gotteshaus. Ein heftiger Schusswechsel folgt. Die Bilanz: 24 Menschen sterben.

Die rund hundert bewaffneten Männer in der Ibn-Tahmed-Moschee im „Brasilien-Viertel“ von Rafah brachen in Jubel aus. „Wir rufen heute im Gazastreifen ein Islamisches Emirat aus“, rief Anführer Abdel Latif Mussa ihnen am Ende seiner rauflustigen Freitagspredigt zu. Eingerahmt wurde der 47-jährige gelernte Kinderarzt mit langem Bart und roter Robe dabei von vier schwarz vermummten Kämpfern mit Kalaschnikows.

Doch plötzlich sprangen die Türen auf und Hamas-Polizisten stürmten das Gotteshaus. Heftige Schusswechsel folgten. Bis zum frühen Samstagmorgen dauerten die Kämpfe, alle Straßen in Rafah wurden abgeriegelt, die Grenzstadt zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Augenzeugen berichteten von mehreren Explosionen rund um die Moschee. Am frühen Morgen stürmte die Polizei das Haus des Predigers, in dem er sich mit einem Teil seiner Anhänger verschanzt hatte. Am Ende waren 24 Menschen tot und über 150 verletzt – der bisher schwerste Zwischenfall seit der Machtübernahme der Hamas 2007 im Gazastreifen.

Nach Angaben des Innenministeriums in Gaza-Stadt sind unter den Toten der Prediger der radikalen Splittergruppe Jund Ansar Allah, aber auch der Hamas-Militärchef des südlichen Gazastreifens und sechs Ordnungshüter. Ein 11-jähriges Mädchen und ein unbeteiligter Passant kamen ebenfalls ums Leben sowie zwölf der Gotteskrieger, die sich in der Moschee aufgehalten hatten – darunter auch ein syrischer Staatsbürger.

Der Mann gehört wahrscheinlich zu militanten Islamisten aus Afghanistan und dem Irak, die in letzter Zeit in den Gazastreifen eingesickert sein sollen. Vierzig Anhänger von Mussa, der der Ideologie von Al Qaida nahesteht, wurden festgenommen. Die Feuergefechte waren so heftig, dass sogar auf ägyptischer Seite der Grenzstadt ein Junge durch einen Querschläger verletzt wurde.

Jund Ansar Allah („Krieger der Freunde Gottes“) waren vor zwei Monaten erstmals offiziell in Erscheinung getreten, als sich die Gruppe zu einem Anschlag zu Pferde bekannte, den drei ihrer Mitglieder auf israelische Soldaten versucht hatten. Alle Attentäter, die mit ihren langen Bärten aussehen wollen wie der Prophet Mohammed, wurden getötet. Die Gruppe kämpft für die Einführung des Scharia-Rechts im Gazastreifen und verurteilt die Politik der Hamas als sittlich zu liberal. Sie soll für Attacken auf Restaurants, Internetcafés und Hochzeitsgesellschaften verantwortlich sein. Im Juli verhaftete die Hamas drei Mitglieder von Jund Ansar Allah und warf ihnen vor, auf der Hochzeitsfeier einer bekannten Fatah-Familie eine Bombe gelegt zu haben, durch die 52 Menschen verletzt wurden.

Hamas-Sprecher Taher al-Nunu forderte am Samstag alle Anhänger Mussas dazu auf, sich den Behörden zu stellen und die Waffen abzugeben. Die Regierung werde „eine Rückkehr des Sicherheitschaos in den Gazastreifen unter keinen Umständen zulassen“. Die Anhänger des Predigers bewegten sich, so al-Nunu, außerhalb des „nationalen und islamischen Konsens“.

Nach eigenen Angaben untersuchen die Sicherheitskräfte auch den Abschuss von elf Raketen auf ägyptisches Territorium, durch die am Freitag ein junges Mädchen verletzt wurde. Fünf der Geschosse detonierten nicht.

Die Hamas ist bereits im letzten Herbst gegen eine andere Gruppe, die der Al Qaida nahesteht, mit Gewalt vorgegangen. Bei zweitägigen Gefechten zwischen dem im Südwesten von Gaza-Stadt ansässigen Daghmash-Clan und Hamas-Polizisten wurden damals elf Menschen getötet. Der Clan mit seinen 3500 Angehörigen gehört zu den mächtigsten bewaffneten Gruppen im Gazastreifen. Er macht große Geschäfte im organisierten Verbrechen, jahrelang entzogen sich seine Mitglieder einer Verhaftung durch Waffengewalt.

Auch am Samstag, als Hamas-Polizisten einen der Clanchefs festnehmen wollten, wurden sie von einem Kugelhagel empfangen. Bei dem Einsatz wurde der Gesuchte erschossen. Ein Teil der Daghmash-Großfamilie soll Al Qaida nahestehen und gilt als verantwortlich für die viermonatige Entführung des BBC-Korrespondenten Alan Johnston im Jahr 2007.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false