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Asseburg

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Nahost: "Die Hamas ist kaum in Mitleidenschaft gezogen worden"

Barack Obama verspricht, den Nahost-Konflikt "aktiv und aggressiv" anzugehen. Ist das eine Kehrtwende der USA im Verhältnis zu Israel? Tagesspiegel.de spricht mit Dr. Muriel Asseburg über Erwartungen an die neue US-Regierung und die Finanzkraft der Hamas.

Barack Obama hat den Nahost-Konflikt auf seine Agenda gesetzt. Wird sich grundsätzlich an der pro-israelischen Politik der USA etwas ändern?

Während der Zeit der Bush-Regierung war das Hauptproblem, dass die Amerikaner nicht genug versucht haben, den Friedensprozess zu führen und zu gestalten. Ich habe Hoffnung, dass sich das unter dem neuen Präsidenten Barack Obama ändern wird. Zumindest hat Obama angekündigt, dass er sich gleich engagieren will. Er hat den krisenerfahrenen früheren Nordirland-Vermittler George Mitchell als neuen Nahostbeauftragten ernannt und damit ein Zeichen gesetzt. Früher war es in der Regel so, dass amerikanische Präsidenten sich erst gegen Ende der zweiten Amtszeit im Nahen Osten engagiert haben.

Welche konkreten Maßnahmen könnte Obama denn einleiten? Könnten die USA den Geldhahn zudrehen oder die Militärhilfe einstellen?

Das sollte im Augenblick nicht im Vordergrund stehen. In erster Linie geht es nicht darum, Sanktionen zu verhängen, sondern die beiden Parteien aktiv in einem neuen Friedensprozess zu begleiten. Der sehr fragile Waffenstillstand muss in einen dauerhaften umgewandelt werden. Dazu bedarf es aktiver und konsequenter Vermittlung. Erst dann kann ein neuer Friedensprozess entstehen.

Welche Maßnahmen sind sofort notwendig?

Zuallererst muss die Bevölkerung im Gazastreifen versorgt werden. Dazu aber müssen die Grenzübergänge für Waren und Personen geöffnet werden.

Da dürfte sich Israel quer stellen; die dortige Regierung will geschlossene Grenzen, um den Waffenschmuggel zu unterbinden.

Es geht kein Weg daran vorbei, die beiden Übergänge für Personen und für Waren offen zuhalten, sowohl zwischen Gaza und Ägypten als auch zwischen Gaza und Israel - sonst kann die Bevölkerung nicht versorgt werden, kein Wiederaufbau stattfinden und die Wirtschaft nicht wieder in Gang kommen. Die Grenzübergänge müssen also wieder geöffnet und bemannt werden. Dazu braucht man aber zunächst ein Abkommen zwischen den Palästinenser-Gruppen, unter anderem darüber, wer die Grenzposten stellt - Hamas oder Fatah.

Was wäre der zweite Schritt, wenn die Grenzen tatsächlich offen wären?

Als nächstes muss man Israels Sicherheitsbedürfnis ernst nehmen und versuchen, den Waffenschmuggel durch die Tunnel zu unterbinden. Dazu sind auch schon Maßnahmen zwischen Israel und Ägypten vereinbart worden. Aber es wäre sinnvoll, dies durch eine internationale Beobachter-Mission auf der ägyptischen Seite zu begleiten.

Glauben Sie, dass Obama einer UN-Friedensmission zustimmen würde?

Momentan ist die Diskussion über eine UN-Friedensmission verfrüht. Internationale Truppen ergeben nur dann einen Sinn, wenn es darum geht, ein Abkommen umzusetzen. Dann könnten solche Truppen die Umsetzung begleiten und einen endgültigen Status zwischen Israel und den Palästinensern sichern helfen. Meines Erachtens wäre es jetzt ganz falsch, im Gazastreifen Truppen zu positionieren.

Welches sind die Voraussetzungen, um ein neues Abkommen zu treffen?

Es geht kein Weg daran vorbei, dass Hamas eingebunden wird. Sonst sind die aktuellen Herausforderungen - Festigung des Waffenstillstands und Einstieg in einen neuen Friedensprozess - nicht zu lösen. Denn ohne die Hamas wird man die Frage der Grenzsicherung des Gazastreifens nicht lösen können, man wird aber auch Wahlen in den palästinensischen Gebieten nicht vorbereiten können. Bislang haben Vermittlungsbemühungen der Ägypter und der Saudis mit Unterstützung der Arabischen Liga zwischen Hamas und Fatah unter anderem deshalb keine Früchte getragen, weil Israel, die USA und Europa klar signalisiert haben, dass sie mit einer palästinensischen Regierung, die Hamas-Mitglieder enthält, nicht kooperieren werden.

Noch eine Frage zu den USA. Wir haben jetzt eine Außenministerin Hillary Clinton, die über wenig Erfahrung verfügt. Welche Rolle kann sie spielen?

Es könnte sich durchaus positiv auswirken, dass Bill Clinton während seiner Amtszeit in dem Konflikt vermittelt hat. Im Dezember 2000 hat er Prinzipien einer Konfliktregelung, die sogenannten Clinton-Parameter, vorgelegt, die als Grundlage für weitere Verhandlungen dienten. Auf diese Positionen kann nun zurückgegriffen werden. Hillary Clinton könnte also durchaus positive Impulse für den Friedensprozess geben.

Wie sehr ist denn die Organisationsstruktur der Hamas durch den Militäreinsatz Israels geschwächt worden?

Wir sind nicht vor Ort, insofern ist es schwierig, die Lage zu beurteilen. Aber nach allen Nachrichten, die man derzeit aus dem Gazastreifen bekommt, ist die Organisationsstruktur von Hamas fast gar nicht in Mitleidenschaft gezogen worden und auch nur wenige Kämpfer und Führungsfiguren sind getötet worden. Die Fähigkeit der Hamas, weiter zu regieren scheint ungebrochen. Allerdings ist die Organisation unter Druck. In der öffentlichen Meinung trägt Israel zwar die Hauptschuld für den Militäreinsatz, aber auch der Hamas wird Verantwortung zugeschrieben.

Hat es eine Radikalisierung der palästinensischen Bevölkerung durch den Militäreinsatz gegeben? Kann die Hamas davon profitieren?

Ja, es hat eine Radikalisierung gegeben. Es sind heute noch weniger Palästinenser als vor dem Krieg davon überzeugt, dass Frieden mit Israel möglich ist. Man muss abwarten, ob der Rückhalt für die Hamas tatsächlich geschwächt wird, da kaum eine politische Alternative besteht. Es ist durchaus möglich, dass sich viele Bewohner des Gazastreifens radikaleren, dschihadistischen Gruppierungen zuwenden.

Die Hamas hat angekündigt, dass sie den Hinterbliebenen von Todesopfern 1000 Euro zukommen lassen will. Familien, deren Haus zerstört wurde, will sie sogar 4000 Euro zahlen. Wenn man bedenkt, dass 22.000 Gebäude zerstört wurden, ist das eine beträchtliche Summe. Woher kommt dieses Geld?

Die Hamas vertraut darauf, dass sie einen Großteil des Geldes aus Iran bekommen werden. Wahrscheinlich hat die Organisation, bevor sie die Zusage gemacht hat, sich bereits der Unterstützung Teherans versichert. Darüber hinaus haben arabische und westliche Staaten Geld zugesagt, um humanitäre Hilfe zu leisten und den Wiederaufbau zu finanzieren.

Bei der israelischen Militäraktion sollen 70 Prozent der Toten zivile Opfer gewesen sein. Droht Israel jetzt eine Klagewelle vor dem Internationalen Gerichtshof?

Es dürfte tatsächlich eine Prozesswelle geben, da Vertreter von Menschenrechtsgruppen versuchen werden, vor verschiedenen Gerichten zu klagen, mit dem Ziel, israelische Offizielle und Militärs zur Rechenschaft zu ziehen.


ZUR PERSON
Dr. Muriel Asseburg leitet die Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Sie beschäftigt sich mit dem israelisch-arabischen Konflikt und Friedensprozess, europäischer und amerikanischer Nahostpolitik, politischem Wandel im Nahen Osten und politischem Islam.

Interview von Amir El-Ghussein

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