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Hamas

© AFP

Nahost-Konflikt: "Hamas gehorcht nicht Al Qaida“

Ein israelischer Historiker warnt vor einer Fragmentierung der arabischen Welt. Der im Irak und im Libanon gärende Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten könnte den ganzen Nahen Osten erfassen.

Von Frank Jansen

Berlin - Der Streit unter seinen Feinden müsste, so wäre zu vermuten, dem Staat Israel nutzen. Kurzfristig sei das auch richtig, sagt Emmanuel Sivan, nach dem Prinzip „let dogs eat dogs“. Doch auf lange Sicht könne die „Fragmentierung“ in der arabischen Welt „keineswegs in unserem Interesse sein“, betont der altgediente israelische Historiker und Fundamentalismus-Experte, der an der Hebräischen Universität Jerusalem lehrt und einst prominente Politiker wie Jitzchak Rabin, Schimon Peres und Mosche Dajan beriet. Sivan, derzeit auf Vortragsreise in Deutschland, sorgt sich vielmehr, der im Irak und im Libanon gärende Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten könnte den ganzen Nahen Osten erfassen. Und Israels Hoffnungen auf stabile Verhandlungspartner zerstören.

Die Gefahr sei größer, als der Westen sie wahrnehme, sagt Sivan. Die Konfrontation zwischen Sunniten und Schiiten sei für die nächsten Jahre „der dominierende Konflikt im Nahen Osten“. Im Irak habe es der Al-Qaida-Anführer Abu Mussab al Sarkawi mit einer Strategie der schrittweisen ethnischen Säuberung geschafft, Sunniten und Schiiten aufeinander zu hetzen. Und im Libanon stünden sich die schiitische Hisbollah und die einst mit ihr im Bürgerkrieg verbündeten Sunniten gegenüber.

Die von Syrien und Iran unterstützte Hisbollah versucht, die libanesische Regierung zu blockieren, zu der die meisten Sunniten und Christen halten. Je länger die Konflikte im Irak und im Libanon anhielten, desto stärker würden andere arabische Staaten mit schiitischen Minderheiten belastet, warnt Sivan und nennt Saudi-Arabien sowie das Ölscheichtum Bahrein. Außerdem verstärke die Angst vor einer Ausweitung sunnitisch-schiitischer Konflikte die Skepsis der arabischen Eliten gegenüber einer Demokratisierung ihrer Gesellschaften.

Nicht ganz so dramatisch sieht Sivan die Entwicklung in den Palästinensergebieten, trotz der jüngsten Kämpfe zwischen Hamas und Fatah. Auch wenn dieser Konflikt ein Beispiel für die Zerrissenheit der Araber sei, bleibe die Gefahr einer Instrumentalisierung durch Al Qaida gering. Die Hamas werde es nicht zulassen, dass sich die Terrorvereinigung im Gazastreifen einnistet, glaubt Sivan. Die jüngste Videobotschaft von Al-Qaida-Vizechef Aiman al Sawahiri, der zur Unterstützung der „Mudschahedin innerhalb der Hamas“ aufrief, wird nach Sivans Ansicht wirkungslos bleiben – obwohl die Vertreibung der Fatah aus dem Gazastreifen gezeigt habe, dass die von Sawahiri gemeinten jungen, militanten Hardliner der Hamas stärker seien als die pragmatische Fraktion um den früheren palästinensischen Ministerpräsidenten Ismail Hanija. Doch auch die Radikalen wollten einen starken Hamas-Staat, meint Sivan. Die international agierende Al Qaida hingegen hoffe auf „failed states“ wie den Irak und Somalia, um anarchische Verhältnisse zur Einrichtung von Trainingscamps für das weltweite Terroristennetz zu nutzen.

Sivan deutet an, dass die Hamas auch ohne Al Qaida schon Mühe hat, den Gazastreifen zu stabilisieren. Ein Indiz: Die Hamas sei nicht in der Lage, einen kriminellen Familienclan mit hunderten Bewaffneten zu zwingen, den entführten britischen Journalisten Alan Johnston freizulassen, sagt Sivan.

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