zum Hauptinhalt

Politik: Nahost-Krise: Die giftigen Früchte des Zorns. Neue Eskalation in Nahost

Wie konnte es zu dieser Spirale der Gewalt kommen, die in einen allgemeinen Krieg zwischen Israelis und Palästinensern zu münden droht? Die Provokation, die der Besuch des israelischen Hardliners Ariel Sharon auf dem Vorplatz der Al-Aqsa-Moschee für Palästinenser darstellte, war lediglich der Auslöser für den Aufstand in den Palästinensergebieten.

Wie konnte es zu dieser Spirale der Gewalt kommen, die in einen allgemeinen Krieg zwischen Israelis und Palästinensern zu münden droht? Die Provokation, die der Besuch des israelischen Hardliners Ariel Sharon auf dem Vorplatz der Al-Aqsa-Moschee für Palästinenser darstellte, war lediglich der Auslöser für den Aufstand in den Palästinensergebieten. Die Palästinenser sind zutiefst frustriert darüber, dass sich ihr Alltag seit Beginn des Friedensprozesses nur sehr wenig verbessert hat. Die meisten können noch immer nicht zwischen West-Bank und Gaza-Streifen hin- und herreisen. Der wirtschaftliche Aufbau in den zerstückelten Territorien kommt nicht voran. Dieser Volkszorn nährte sich weiter durch die ausbleibenden Fortschritte in den Endstatusverhandlungen der letzten Monate, in denen es um die Kernfragen Jerusalem, Flüchtlinge und israelische Siedlungen geht, die mit großen Emotionen und Erinnerungen verbunden sind - für beide Seiten.

Die Palästinenser empfinden den Friedensprozess als asymmetrisch: Sie haben Israel anerkannt, ohne dass ihr Recht auf einen eigenen Staat anerkannt wurde. Sie haben akzeptiert dass die entscheidenden Fragen erst am Ende einer Interimsphase, in der die Palästinenser sich bewähren sollten, besprochen werden. Dies ist die Logik des Oslo-Prozesses. In diesen Kernfragen bewegt sich Israel tatsächlich nicht genug - obwohl Barak in Camp David weiter gegangen ist als jeder andere israelische Regierungschef: Er hat die Debatte über Jerusalem überhaupt zugelassen. Und er hat den Palästinensern eine gemeinsame Verantwortung für bestimmte kommunale Bereiche von Ost-Jerusalem vorgeschlagen, das als Ganzes jedoch vollständig unter israelischer Souveränität bleiben soll. Das reicht den Palästinensern nicht, die ihrerseits bereits die israelische Hoheit über den besetzten Westteil der Stadt akzeptiert haben.

Der Eindruck des Westens, hier stünden sich zwei gleich starke Partner gegenüber und müssten sich irgendwo in der Mitte treffen, hat wenig mit den wahren Kräfteverhältnissen zu tun. Die Palästinenser sehen sich ohnmächtig der geballten Stärke Israels und der USA gegenüber - was den blinden Zorn zumindest teilweise erklärt, der Väter dazu bringt, ihre Söhne in einen aussichtslosen, vielfach tödlichen Kampf ziehen zu lassen. Die Zerstörung des Josefsgrabs in Nablus war wohl eine Rache für Sharons Besuch auf dem Tempelberg. Doch sie hat Israel zunächst darin bestätigt, dass es nur selbst seine Heiligtümer beschützen kann. Denn Palästinenserpräsident Arafat lässt dem Zorn freien Lauf und schürt ihn noch, weil er sich so des Rückhalts im Volk versichert. Damit will er Ehud Barak zeigen, dass er auf die israelischen Vorschläge nicht eingehen kann. Doch ist schon fraglich, ob er das überhaupt wollte.

Auch der israelische Premier hat sich in dieser Auseinandersetzung zu äußerster Härte entschlossen. Barak, der bald ohne Regierungsmehrheit dasteht, will seinen Landsleuten beweisen, dass er nicht nachgiebig ist - so waren seine Vorschläge zu Ost-Jerualem von israelischer Seite vielfach ausgelegt worden. Die Unverhältnismäßigkeit der Mittel, mit denen die israelische Armee vor allem in den ersten Tagen vorging und die Drohung, den Verteidigungszustand auszurufen, haben ihren Ursprung in dem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis der Israelis, das durch die jetzigen Auseinandersetzungen wieder einmal bestätigt scheint.

Zwei Lichtblicke gibt es: Die Palästinenser haben mit dem Wiederaufbau des Josefsgrabes begonnen. Die Zerstörung jüdischen Heiligtums wird nicht hingenommen. Das ist inmitten des Hasses ein ermutigendes Zeichen des Respekts für die Gegenseite und für unterzeichnete Verträge. Gleichzeitig könnte die UN-Resolution Wunder wirken: Überraschend haben die USA es mit ihrer Enthaltung ermöglicht, dass eine der seltenen israel-kritischen Resolutionen verabschiedet wurde. Dies ist keine Abkehr der USA von ihrer Unterstützung Israels, aber es zeigt den Palästinensern, dass auch ihre Leiden gesehen werden. Diese momentane Unterstützung können sie allerdings nur in bare Münze verwandeln, wenn sie ihren Zorn jetzt zügeln.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false