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Politik: Nationalistisch und links

Die SNP will die Wahl in Schottland gewinnen – und dann die Bürger über die Unabhängigkeit von London abstimmen lassen

Von Markus Hesselmann

East Kilbride - Großer Auflauf im alten Ortskern von East Kilbride, ein paar Kilometer südlich von Glasgow. Alex Salmond ist da. Zwei Tage vor der Regionalwahl mischt sich der Chef der Scottish National Party (SNP) unter das Volk und wirbt um Stimmen – mitten im Kernland der Labour-Partei. Die SNP will an diesem Donnerstag stärkste schottische Partei werden und plant dann eine Volksbefragung zur Unabhängigkeit. Aus dem Regionalparlament in Edinburgh, das Tony Blairs Labour-Regierung 1999 ins Leben rief, um den Schotten mehr Autonomie zuzugestehen, soll ein nationales Parlament mit allen Vollmachten werden.

Die Umfragen sprechen für Alex Salmond. Seine Partei führt. Andererseits sind noch viele Wähler unentschlossen. Salmond will die Leute deshalb nicht mit Lautsprecherei in Sachen Unabhängigkeit erschrecken. „Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Wahlkampagne“, sagt er. „Doch wir werden das Volk entscheiden lassen.“ Die schottischen Nationalisten wollen sich Zeit nehmen. Das Referendum ist für 2010 geplant. Salmond ist in diesen Tagen so vorsichtig, dass er sogar ernsthaft vorschlug, Schottland könne ja nach einer Zeit der Unabhängigkeit dem Vereinigten Königreich wieder beitreten.

Der Wahlkreis East Kilbride ist für die SNP wichtig, denn die Labour-Hochburg könnte zu den Nationalisten wechseln. East Kilbride liegt in der alten Industrieregion Lanarkshire. Linda Fabiani kandidiert hier für die SNP für das schottische Parlament. Die 50-Jährige geht von Haus zu Haus. Wenn sich die Türen öffnen, hört sie häufig dasselbe, sinngemäß: „Wir wählen traditionell Labour, das war in unserer Familie schon immer so. Doch diesmal sind wir uns nicht sicher.“ Nach zehn Jahren Tony Blair, dem Krieg im Irak und einigen Affären wenden sich viele Wähler von ihrer Partei ab. Hinzu kommt das eher unbestimmte Gefühl, dass es Schottland vielleicht doch alleine schaffen kann trotz all der Warnungen aus London vor dem wirtschaftlichen Niedergang. Die SNP-Frau schöpft daraus die Hoffnung, dass sie Labour den Wahlkreis abjagen kann. Doch auch sie bleibt defensiv, redet auf niemanden ein. Sie will ihre Partei als Alternative anbieten, aber niemanden erschrecken.

Die SNP ist nicht rechts, trotz des „national“ im Namen. Ihr schottischer Nationalismus definiert sich nicht über die Herkunft ihrer Anhänger, sondern über die Idee der Unabhängigkeit von London. Linda Fabiani hat italienische Vorfahren, die Mutter des SNP-Wahlkampfleiters Angus Robertson ist Deutsche. „Ich bin Schotte und Europäer“, sagt Robertson. Bei Salmonds Auftritt in East Kilbride hat sich ein sehr gemischter Wahlkampftrupp versammelt: Männer und Frauen jeden Alters, vom Taxifahrer bis zum Geschäftsmann, in Anzug oder Sportjacke. Sie eint der Wunsch nach einem eigenständigen Schottland – sowie die Abneigung gegen Tony Blair und dessen designierten Nachfolger, den Schotten Gordon Brown, der alles andere will als die Unabhängigkeit seiner Heimat.

Während sich die alte Arbeiterpartei Labour unter Blair und Brown als New Labour immer stärker in Richtung Mitte bewegte, vertritt die SNP klassisch-linke Positionen: Gegen den Irakkrieg, gegen neue Atomwaffen, gegen die Ausweisung von Flüchtlingen – und gegen die Privatisierungswelle in der Wirtschaft, die mit der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher begann und die Blair fortgesetzt hat. „Viele Labour-Leute, mit denen ich früher gegen die Tories protestierte, vertreten heute dasselbe wie unsere früheren gemeinsamen Gegner“, sagt Linda Fabiani.

Tony Blair ist derweil in Schottland unterwegs. In der kommenden Woche will er den Termin seines Rücktritts bekanntgeben. Kurz vorher versucht er, noch so viele Leute wie möglich durch seinen persönlichen Charme zu überzeugen. Dem verblassenden Bambi-Image des Premiers begegnet der leicht untersetzte Salmond, indem er den verschmitzten Bären gibt. „Tony Blair ist der Aktivposten unserer Kampagne“, sagt der SNP-Chef. „Jedes Mal, wenn er nach Schottland kommt, steigen unsere Umfragewerte.“

Den Irakkrieg erwähnt Salmond besonders gern, obwohl die Situation in Nahost mit der regionalen Wahl eher wenig zu tun hat. Aber Schottland soll auch irgendwann keine Region mehr sein, sondern ein Land mit eigener Außenpolitik. Der SNP-Chef sieht sich jedenfalls längst auf Augenhöhe mit dem Premier. Und moralisch deutlich höher. Unlängst forderte er Blair süffisant auf, seine letzte Chance zu nutzen und sich beim schottischen Volk für den Irakkrieg zu entschuldigen.

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