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Hochrisikoprodukt. Herzschrittmacher sind inzwischen weit verbreitet.

© Kitty Kleist-Heinrich

Neue EU-Verordnung für Medizinprodukte: AOK: Risiko für Patienten bleibt

Nach dem Skandal um ausgelaufene Brustimplantate wollte die Politik schärfere Vorgaben für die Hersteller von Medizinprodukten. Nach langem Streit gibt es nun eine EU-Verordnung - doch die geht Kritikern nicht weit genug.

Nach den Skandalen um ausgelaufene Brustimplantate und schnell brechende Hüftgelenke haben sich das Europäische Parlament und der Ministerrat am Mittwochabend auf eine neue EU-Verordnung für Medizinprodukte geeinigt. Doch wirklich abgesichert sind die Patienten damit im Schadensfall auch künftig nicht. Eine Haftpflichtversicherung wird den Herstellern beispielsweise nicht vorgeschrieben.

Haftpflicht ist auch weiterhin keine Vorschrift

Vorgesehen ist in den neuen Bestimmungen lediglich, dass die Produzenten „angemessene Rücklagen“ für Haftungsansprüche durch fehlerhafte Produkte bilden sollen. Deutschen Krankenversicherern ist das zu wenig. „Wenn Patienten unter den Folgen fehlerhafter Medizinprodukte leiden, dürfen sie nicht auch noch finanziell im Regen stehen“, sagte der Chef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. Sollte es dabei bleiben, müsse Deutschland „dringend eine eigene Pflichtversicherung für Hochrisikomedizinprodukte schaffen“.

Der gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Peter Liese (CDU) warnte davor, den Kompromiss schlecht zu reden. Bei der Einigung handle es sich um einen „Riesenfortschritt für die Patienten“, sagte Liese dem Tagesspiegel. „Das sollten auch die Kassen würdigen“. Gleichzeitig räumte er ein, dass sich das Parlament mit der Forderung nach einer verbindlichen Haftpflichtversicherung gegenüber den Regierungen der Mitgliedsstaaten nicht durchsetzen konnte.

Schon froh, dass Deutschland mitmacht

Die neue Verordnung sei noch nicht in trockenen Tüchern, sagte Liese, die Europäische Kommission müsse noch zustimmen. Er sei „schon froh, dass nun wenigstens unser Land mit im Boot ist“. Ursprünglich, so der Gesundheitsexperte, sei der deutschen Regierung sogar das jetzt Beschlossene zu weit gegangen.

Geeinigt haben sich Parlament und Europäischer Rat im Wesentlichen auf vier Punkte. Vorgesehen sind nun auch auch unangekündigte Kontrollen bei den Herstellern. Für Hochrisikoprodukte wie Herzschrittmacher, Insulinpumpen oder HIV-Tests gibt es ein zusätzliches Sicherungsverfahren. Patienten erhalten einen Implantatpass, über den sich für sie und ihre Ärzte das verwendete Produkt identifizieren lässt. Und für Medizinprodukte müssen die Hersteller künftig auch klinische Studien vorweisen. Die EU-Kommission muss den Plänen im Juni noch zustimmen.

Kontrolleure bleiben mit der Wirtschaft verbandelt

Mit der Auskunftspflicht der Hersteller allerdings sind die Krankenversicherer auch nicht zufrieden. Die verpflichtende Einführung von Identifizierungsnummern werde Jahre dauern, monierte Litsch. Zudem wüssten die Kassen im Schadensfall dennoch nicht, welche ihrer Versicherten betroffen seien. Dadurch gingen Geschädigte womöglich leer aus und die Versichertengemeinschaft werde mit den medizinischen Folgekosten belastet.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Prüfung der Hochrisikoprodukte. Zuständig dafür bleiben auch nach der neuen Verordnung benannte Prüfstellen, ein international besetztes Expertengremium soll nun lediglich von Fall zu Fall hinzugezogen werden. Aus Kritikersicht arbeiten allerdings diese Prüfstellen jedoch nicht in jedem EU-Land so sorgfältig wie TÜV oder Dekra in Deutschland. So berichtete das britische Fachmagazin "British Medical Journal", dass bestimmte Produkte zugelassen wurden, obwohl sie offensichtlich fehlerhaft waren.

Die Verordnung ändere nichts daran, dass diese „Benannten Stellen“ von Wirtschaftsinteressen abhingen, sagte Litsch. Deshalb sei die AOK nach wie vor für eine zentrale Zulassungsstelle. „Was für Arzneimittel gilt, muss auch für Hochrisikomedizinprodukte gelten.“

Bei Medizinprodukten handelt es sich um einen Riesenmarkt mit europaweit mehr als 5000 Innovationen im Jahr. Seit fast vier Jahren ringt die Politik dafür um bessere Sicherheitsstandards.

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