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Lisa Paus steht mit ihren Plänen in der Kritik.

© dpa/Kay Nietfeld

Neue Kritik an der Kindergrundsicherung: „Die Auswirkungen werden verheerend sein“

Mehr Bürokratie, und für die Familien wird alles komplizierter: Die Personalräte der Jobcenter kritisieren die Pläne von Familienministerin Paus für die Kindergrundsicherung massiv.

Für Eltern und Kinder, die bisher von Bürgergeld leben, werde sich „ein bürokratischer Aufwuchs ergeben und keine Vereinfachung“. Leistungen müssten künftig bei bis zu fünf Behörden beantragt werden statt wie bisher gebündelt. Alles werde „sehr viel komplizierter als jetzt“.

So heißt es in einem Protestschreiben der Personalräte der deutschen Jobcenter zum Thema Kindergrundsicherung, unterzeichnet von Moritz Duncker als Vorsitzendem und adressiert an Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und die weiteren Zuständigen im Kabinett. Der Brief liegt dem Tagesspiegel vor.

Daten, die bereits jetzt in den Jobcentern vorliegen, müssen in den anderen Behörden aufwändig erhoben werden.

Aus dem Protestschreiben der Jobcenter-Personalräte

Ähnliche Kritik bringen die Kommunen seit langem massiv vor. Auch die Personalräte hatten schon in früheren Schreiben große Bedenken angemeldet. Nun legen sie nach. Die Familien, die von Bürgergeld leben, werden bisher aus einer Hand von den Jobcentern betreut. Künftig soll für die Kinder grundsätzlich der Familienservice zuständig sein, eine Behörde, die für viel Geld erst noch aufgebaut werden muss. Je nach Konstellation kommen aber weitere Ämter ins Spiel. Denn tatsächlich alle Leistungen beim Familienservice zu bündeln, hat sich im Laufe des Gesetzgebungsprozesses als unrealistisch erwiesen.

Wenn es klemmt, müssen die Jobcenter einspringen

Ein weiteres Problem, auf das in dem Brief hingewiesen wird: Für die Kindergrundsicherung ist ein Bewilligungszeitraum von sechs Monaten vorgesehen. Sinkt aber in dieser Zeit das Einkommen der Eltern, sind sie auf zusätzliche Hilfe angewiesen. Dann sollen laut Gesetzentwurf die Jobcenter einspringen, die Aktenlage prüfen und Hilfen auszahlen. Dort ist der Ärger groß, dass man doch wieder bereitstehen soll, wenn es klemmt.

„Selbstentlarvend“ nennen die Personalräte die Idee – war doch Ministerin Paus einst mit dem Versprechen angetreten, der Familienservice werde künftig alle Belange aus einer Hand regeln. Das Fazit im Protestschreiben: Für Familien, die bisher Bürgergeld beziehen, „werden die Auswirkungen der Kindergrundsicherung in der jetzigen Konzeption (...) verheerend sein“.

Auch bei den Leistungen für Bildung und Teilhabe, also zum Beispiel Zuschüsse für Schulausflüge und -material, befürchten die Personalräte eine Verschlechterung. Nur zwei davon sollen über den Familienservice abgewickelt werden, drei weitere über Kommunen und/oder Jobcenter.

Paus will die Kinder aus den Jobcentern holen

Die Personalräte kritisieren auch, durch die Pläne würde die Zahl der Schnittstellen zwischen den Behörden nicht reduziert, sondern erhöht: „Daten, die bereits jetzt in den Jobcentern vorliegen, müssen in den anderen Behörden aufwändig erhoben werden.“ In der Lebenswirklichkeiten der Bürgergeld-Familien sei aber „eine zeitliche Dringlichkeit gegeben und eine rasche, teilweise taggleiche Bewilligung von Leistungen zuweilen lebensnotwendig“.

Die Personalräte regen an, die bisherigen Pläne aufzugeben und über eine Bündelung der Zuständigkeit in den Jobcentern nachzudenken. Das liefe aber dem erklärten Ziel von Ministerin Paus zuwider. Sie vertritt die Auffassung, es sei eine Verbesserung für Kinder, Leistungen nicht mehr von den Jobcentern ausgezahlt zu bekommen. Vertreterinnen und Vertreter der Ampelkoalition verweisen immer wieder darauf, es sei ein Stigma, dort betreut zu werden. Raus mit den Kindern aus dem Bürgergeld, raus aus dem Jobcenter – das ist die zentrale Losung der Ministerin.

Es fehlt an Perspektiven: Viele Kinder in Deutschland wachsen in Armut auf.
Es fehlt an Perspektiven: Viele Kinder in Deutschland wachsen in Armut auf.

© dpa/Britta Pedersen

Auch wird in Reihen der Koalition immer wieder darauf hingewiesen, es gehe nun einmal nicht nur um Bürgergeld-Empfänger, sondern um alle Familien. Zum Beispiel für jene, die selbst Arbeitseinkommen haben und dazu bisher Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen, solle das neue System Vereinfachungen bringen. Der Familienservice solle Leistungen aus einer Hand auszahlen.

Die Kritik am Vorhaben ist aber groß und kommt von vielen Seiten. Mitte November fand eine Anhörung im Familienausschuss des Bundestags statt. Dort waren sich die geladenen Expertinnen und Experten – aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlicher Stoßrichtung – weitgehend einig, der vorliegende Gesetzentwurf sei eine sehr schlechte Lösung.

Mittlerweile liegt auch die Stellungnahme des Bundesrats vor. Auch dort gibt es sehr grundsätzliche Kritik, und auch dabei geht es um die drohenden Doppel- und Parallelstrukturen. Die Ampel wird darauf angewiesen sein, mit der Union, die diese Punkte immer wieder pointiert vorträgt, einen Kompromiss zu finden. Denn ohne Zustimmung auch aus der Union wird im Bundesrat die notwendige Mehrheit nicht zu erreichen sein.

Als wäre das nicht genug: Ganz aktuell bringt auch noch Ulrich Kelber, Bundesdatenschutzbeauftragter, Bedenken vor. Er hat für den Familienausschuss des Bundestags eine unaufgeforderte Stellungnahme eingereicht, die dem Tagesspiegel ebenfalls vorliegt.

Darin heißt es, Kelber halte den im Gesetzentwurf vorgesehenen Rahmen des digitalen Datenaustauschs „für datenschutzrechtlich vertretbar“. Bedenken habe er aber zum Beispiel gegen die regelmäßige Erhebung von Einkommensdaten bei Arbeitgebern, nämlich im Antragsverfahren zum Kinderzusatzbetrag. Dies betrifft also nur Bürgerinnen und Bürger, die mehr als das bisherige Kindergeld beziehen wollen. Kelber fürchtet auch, künftig könnten Arbeitgeber gegen den Willen der Betroffenen erfahren, dass eine Familie bedürftig ist. Es müsse sichergestellt werden, dass dies nicht der einzige Weg sei, an die Leistungen zu gelangen.

Die Kritik des Datenschutzbeauftragten ist überschaubar im Vergleich zum massiven Protest, der Ministerin Paus von vielen anderen Seiten entgegenschlägt. Doch auch die Union ist in strategisch schwieriger Lage: Blockiert sie das Projekt im Bundesrat komplett, könnte die Koalition das gegen sie wenden und den Vorwurf erheben, die Opposition wolle nichts gegen Kinderarmut tun.

Die Aufmerksamkeit verlagert sich derzeit in Richtung der Länderkammer. Mit einem Vermittlungsausschuss rechnen alle Beteiligten.

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