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Das Unglück passierte im Schwarzen Meer, unweit der berühmten Meerenge am Bosporus. Mindestens 24 Menschen starben.

© dpa

Update

Neue Route durch Bosporus: Mindestens 24 Tote bei Flüchtlingsunglück vor Istanbul

Weit abseits von Lampedusa, wo bei der Überfahrt aus Afrika immer wieder Flüchtlinge ertrinken, ist eine neue Flüchtlingsroute entstanden. Im Bosporus unweit von Istanbul sind am Montagmorgen mindestens 24 Menschen gestorben. Zwölf Menschen werden noch vermisst.

Der türkische Fischer Adem Kan war am Montagmorgen mit seinem Boot auf dem Schwarzen Meer bei Istanbul unterwegs, als ihn über Funk eine Hilfsaufforderung der Küstenwache erreichte: Alle Fischerboote in der Gegend sollten sich an der Rettung von Passagieren eines Bootes beteiligen, das etwa vier Kilometer vor der Küste gekentert war. Am Unglücksort bot sich Kan und anderen Fischern ein schreckliches Bild: „Wir sammeln viele Leichen ein“, sagte Kan von seinem Boot aus dem Fernsehsender CNN-Türk. Kans Kollege Ali Saruhan berichtete geschockt von toten Kindern im Wasser. 

Das gekenterte Boot war mit 40 Flüchtlingen aus Afghanistan und drei Besatzungsmitgliedern hoffnungslos überladen. Warum es sank, war zunächst unklar. Einige Fischer machten den Wellengang verantwortlich, andere sprachen von der Möglichkeit, dass ein Schiff das Boot gerammt haben könnte. Mindestens 24 Flüchtlinge ertranken, darunter mehrere Kinder. Sechs Menschen konnten bis zum Abend gerettet werden, nach 13 Vermissten wurde weiter gesucht, wie die Küstenwache mitteilte.

Noch bevor die Gesamtzahl des Unglücks fest stand, wurde eine Tatsache deutlich: Im Südosten Europas ist eine neue Flüchtlingsroute entstanden.

Laut Medienberichten war das Flüchtlingsboot im Istanbuler Stadtteil Bakirköy gestartet und durch die Bosporus-Meerenge gefahren, mit Kurs auf das Schwarze Meer im Norden. Ziel war die Küste des EU-Landes Bulgarien oder des Nachbarn Rumäniens. Das Flüchtlingsboot wurde demnach von einem Türken gesteuert, doch über sein Schicksal war nichts bekannt.

Seit Jahren ist die Türkei wichtiges Transitland für Flüchtlinge

Schon seit Jahren ist die Türkei ein wichtiges Transitland für Menschen aus Asien, dem Nahen Osten und Afrika, die vor Krieg und Elend in ihren Heimatländern fliehen und nach Europa wollen. Dabei spielt nicht nur die geographische Nähe der Türkei zur EU eine Rolle, sondern auch die stark verbesserten Flugverbindungen aus vielen Ländern in die Türkei sowie die gelockerten Visabestimmungen zwischen der Türkei und Herkunftsländern von Flüchtlingen.

Auch der Bürgerkrieg in Syrien macht die Türkei zu einem Durchgangsland für Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben: Rund 1,5 Millionen Syrer haben in der Türkei Zuflucht gefunden – etliche von ihnen wollen weiter Richtung Westen.

Bisher gingen die Behörden von drei Hauptrouten aus, die von den Menschenschmugglern und den Flüchtlingen benutzt werden: über die Ägäis zu einer der nahen griechischen Inseln, durch den Grenzfluss Meric (griechisch: Evros) nach Griechenland, oder in Lastwagen versteckt nach Bulgarien. Ab sofort muss wohl der Seeweg über das Schwarze Meer als vierte Route gelten.

Der weite Weg über das Schwarze Meer zeigt, wie verzweifelt viele Flüchtlinge sind. Er zeigt aber auch, dass die bisher benutzten Routen für die Flüchtlinge immer stärker blockiert werden. Nach Angaben der europäischen Grenzschutzagentur Frontex wurden im Jahr 2011 noch 57.000 Flüchtlinge gezählt, die über die so genannte Ost-Mittelmeer-Route in die EU kamen. Im vergangenen Jahr waren es noch 24.800. Laut Frontex zählt Istanbul zu den Zentren der illegalen Netzwerke des Menschenschmuggels.

Durch starke Überwachung der Grenzen wurde der Druck erhöht

Eine stärkere Überwachung der Grenzen sowohl durch die EU als auch durch die Türkei hat den Druck auf die Schmuggler erhöht. Im Jahr 2011 griff die türkische Küstenwache in der Ägäis noch 546 Flüchtlinge auf – allein in den ersten zehn Monaten dieses Jahres waren es 11.400 Menschen. Syrien, Afghanistan und Myanmar waren die wichtigsten Herkunftsländer der Flüchtlinge.

In den nächsten Jahren kommen auf die Türkei noch mehr Anstrengungen der Flüchtlingspolitik zu. Im Gegenzug für verbesserte Bedingungen für Türken bei Reisen in die EU hat sich Ankara zur Rückübernahme von Flüchtlingen verpflichtet, die über türkisches Territorium nach Europa gelangen.

Die Aufmerksamkeit der Behörden an der Ägäis-Küste könnte einer der Gründe sein, warum die Menschenschmuggler jetzt das größere Risiko der Schwarzmeer-Route eingehen. Das Boot vom Montag dürfte nicht das letzte gewesen sein. (mit AFP)

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