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Politik: Neue Steuern, nicht mehr Steuern

DAS WACHSTUM SINKT

Von Antje Sirleschtov

Schon wieder so eine Übertreibung: Die Regierung strebt nach Vollbeschäftigung. In acht Jahren, sagt der Wirtschaftsminister, soll es keinen Arbeitslosen mehr geben. Wer soll das glauben, wo doch das Land unter bald 4,5 Millionen Arbeitslosen und hohen Abgaben ächzt? Wo die Steuereinnahmen sinken, wo das Geld für die wichtigsten staatlichen Aufgaben fehlt. In einem Land also, dessen Gemeinwesen nicht aufhören kann, sich mit immer neuen MilliardenKrediten zu finanzieren.

Wozu also dienen solche Verheißungen? Sie scheinen mehr zu sein als der Versuch, die Wähler in Niedersachsen und Hessen auf die Seite der Sozialdemokratie zu ziehen. Sie greifen im Kern einen Stimmungswechsel auf, der gleich nach der Bundestagswahl eingesetzt hat. Ungewöhnlich scharf haben die Menschen auf das unpopuläre Sparpaket der wieder gewählten Regierung reagiert. Und verletzt sind sie bis heute, weil man ihnen zu spät offenbarte, wie marode die Staatsfinanzen mit ihren sinkenden Einnahmen und den hohen Kosten sind.

Kein Zweifel, Deutschland ist die sperrigen Unwörter „Konsolidierung“ und „Subventionsabbau“ langsam leid. Die Menschen wollen nicht noch mehr Geld in Verteilungsmaschinerien zahlen und gleichzeitig zum Gürtel-enger-Schnallen aufgefordert sein. Sie wollen selbst Geld ausgeben. Für Konsum. Oder es anlegen fürs Alter. Die Betriebe sollen Aufträge bekommen, auch vom Staat. Sie sollen investieren und Jobs schaffen. Schluss mit den Parolen von der notwendigen Rückführung des staatlichen Defizits. Es muss wieder aufwärts gehen. An die Spitze genau dieser Bewegung will sich die Bundesregierung jetzt stellen. Bevor sie womöglich von ihr überrollt werden wird.

Dass Rot-Grün immer mehr Wohlwollen verliert, daran ist das Bündnis selber schuld. Wie wurde Finanzminister Eichel inszeniert, als er vor fast vier Jahren den finanziell gesunden und leistungsfähigen Staat anpries: „Keine Mark Neuverschuldung schon in sechs Jahren.“ Das war die erste rot-grüne Übertreibung. Die anschließende Politik hat die Menschen nicht überzeugt. Zwar verfing das Bild von der Gesellschaft, die nicht länger auf Kosten ihrer Kinder leben darf. Denn es ist richtig, nicht mehr Geld für den Staat und die Sozialsysteme auszugeben, als die Gesellschaft erwirtschaften kann. Aber man kann nicht den Bürgern jahrelang einreden, dass alles so bleiben kann, wie es ist, und ihnen dann plötzlich die Pulsadern abschnüren. Sparen kann und will nur der Kräftige. Wer schwach ist, das weiß jeder Schuldnerberater, der benötigt Hilfe auf dem langen Weg.

Was also ist zu tun, wenn die deutsche Wirtschaft mit nur einem Prozent Wachstum auch in diesem Jahr aus dem Tal nicht herausfinden wird? Natürlich muss rasch ein Reformpaket her, das die Sozialsysteme aus dem Strudel all der Nachforderungen herausführt, die Beiträge und öffentliche Haushalte immer unkalkulierbarer machen. Und auch auf den ersten Gesetzen zur Veränderung des Arbeitsmarkts darf sich keiner ausruhen. Denn jede Verzögerung kostet viel Geld. Doch genauso dringend muss ein tragfähiges und stabiles Einnahmesystem her. Statt wirrer Debatten um Vermögen- und Mehrwertsteuern und die effektivste Jagd auf Schwarzgelder muss die Steuerreform 2000 nachgebessert werden.

Denn mit ihr hat Eichel zwar die Steuersätze verringert. Doch er hat auch so viele Fehler eingebaut, dass das Leistungsprinzip, das dem Steuersystem zugrunde liegt, aus den Fugen geraten ist. Zu Deutsch: Zur Finanzierung des Staates trägt heute am meisten bei, wer den schlechtesten Steuerberater hat. Mit den geplanten Gewerbesteuern für Freiberufler zur Stärkung der Kommunalfinanzen ist es dabei nicht getan. So wird das Kassenloch nur auf die Bundesebene verschoben. Und auch die zahlreichen Vorschläge in Eichels Steuervergünstigungs-Abbaugesetz stiften vor allem Unruhe und Verdruss. Zu mehr Steuergerechtigkeit und einem soliden Einnahmesystem führen sie nicht. Das jedoch wird Deutschland brauchen. Um wirtschaftlich Fahrt aufzunehmen. Damit trotz höherer Schulden und Defizite, die offenbar gerade beschlossen wurden, die Konsolidierung weitergehen kann. Und damit die Regierung nicht bald wieder eine neue Übertreibung braucht.

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