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Auch in Deutschland spielte in dieser Woche der Kurdenkonflikt eine Rolle: In Köln besetzten PKK-Sympathisanten am Mittwoch Räume von RTL. Sie wollten, dass der Sender einen Beitrag über den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan ausstrahlt. Foto: Marius Becker/dpa

© dpa

Politik: Neue Welle der Gewalt

In der Türkei töten Kämpfer der PKK mehrere Zivilisten – die Chancen für Gespräche über mehr Rechte für die Kurden stehen schlecht

Talat Dogru war mit seiner Familie auf dem Rückweg von einem Besuch bei seinen Eltern, als sein Wagen unter Beschuss geriet. Dogru, ein Familienvater aus Batman im Südosten der Türkei, wurde bei der Schießerei am Montagabend verletzt und konnte das Auto mit Mühe zum nächsten Krankenhaus lenken. Doch es war zu spät. Seine hochschwangere Frau Mizgin und seine vierjährige Tochter Sultan waren tot. Die Ärzte versuchten, das ungeborene Kind mit einer Notoperation zu retten, doch auch das Baby starb. Drei weitere Töchter überlebten die Schüsse.

Die Familie Dogru war in ein Feuergefecht zwischen drei PKK-Kämpfern und der türkischen Polizei geraten. Nach Behördenangaben hatten die PKK-Mitglieder ein Auto gestohlen und um sich geschossen, als die Polizei die Verfolgung aufnahm. Die drei Kurdenrebellen wurden später von den Beamten getötet. Kurdenpolitiker geben zwar der Polizei die Schuld am Tod von Mizgin Dogru und deren Tochter, doch die PKK hatte sich zuvor bereits zur Tötung von vier anderen Frauen bekannt, die „irrtümlich“ erschossen worden seien. Die Frauen wurden von insgesamt 200 Kugeln getroffen.

Nach den tödlichen Schüssen von Batman wächst die Empörung weiter. „Mir blutet das Herz“, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan über das Schicksal der Familie Dogru. „Was hat all das denn mit dem Kampf für mehr kulturelle Rechte zu tun?“ Mit dem Tod von drei Unbeteiligten bei dem von einer PKK-Untereinheit verübten Bombenanschlag in Ankara vergangene Woche hat eine neue, besonders brutale Eskalationsrunde im Kurdenkonflikt begonnen. Fast täglich gibt es seitdem Tote und Verletzte. Mal sind Polizisten die Opfer, mal Zivilisten.

Im Schatten der Gewaltwelle beschloss die legale Kurdenpartei BDP am Mittwoch ein Ende ihres seit Juni andauernden Parlamentsboykotts. Viele nicht-staatliche Gruppen wie Anwaltskammern und andere Organisationen in der Kurdenregion hatten die Partei in den vergangenen Tagen aufgerufen, ins Parlament zurückzukehren und so zu einer friedlichen Beilegung des Kurdenkonfliktes beizutragen, der seit 1984 mehreren zehntausend Menschen das Leben gekostet hat. Die BDP, der enge Verbindungen zur PKK nachgesagt werden, hatte bei der Wahl am 12. Juni rund 30 Mandate gewonnen, wollte die Plätze aus Protest gegen die Inhaftierung eines Kollegen bisher aber nicht einnehmen. Nun entschloss sie sich zur Rückkehr ins Parlament. Die neue Legislaturperiode beginnt an diesem Samstag.

Sollten die BDP-Abgeordneten dann ihren Amtseid ablegen, erlebt die Türkei gleich mehrere denkwürdige Momente. So kehrt die Kurdenpolitikerin Leyla Zana ins Parlament zurück – 20 Jahre, nachdem sie bei ihrer ersten Vereidigung als Abgeordnete ein paar Sätze in kurdischer Sprache sagte und dafür ins Gefängnis gesteckt wurde. Erst seit 2004 ist sie wieder frei. Zudem bringt die BDP den ersten christlichen Abgeordneten der Türkei seit den 60er Jahren mit ins Parlament: den Anwalt Erol Dora, ein Mitglied der syrisch-orthodoxen Minderheit.

Doch selbst mit der BDP im Parlament stehen die Chancen für Konsensgespräche über eine neue Verfassung schlecht. Im Zuge der Verfassungsberatungen sollte über Themen wie die Forderung der Kurden nach Anerkennung ihrer kulturellen Identität gesprochen werden. Doch unter dem Eindruck der neuen PKK-Gewalt werden die Vertreter der türkischen Mehrheitsgesellschaft kaum in der Stimmung sein, solche Projekte zu diskutieren. Vertrauliche Gespräche zwischen der Regierung und dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan sowie Abgesandten der aktiven PKK-Führung sind unterbrochen.

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