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Die neue Zwangsabgabe schürt den Widerstand unter den Gebührenzahlern.

© dpa

Neuer Rundfunkbeitrag: Zwangsmilliarden für den öffentlich-rechtlichen Stillstand

„Eine Wohnung, ein Beitrag“ heißt die neue Gebührenformel. Die öffentlich-rechtlichen Sender geraten mit der lückenlosen Mobilmachung der Bürger unter Druck: Wozu brauchen sie 7,5 Milliarden Euro Einnahmen?

Am 1. Januar 2013 beginnt ein neues Zeitalter der Unfreiheit. Es beginnt das Regime des Rundfunkbeitrages. Der löst die Rundfunkgebühr ab. Sie war an die Existenz eines Empfangsgerätes gekoppelt. Wer damit Radio, Fernsehen und Online nutzte, der wurde monatlich zur Kasse gebeten. Nur Radio und Online kosteten 5,76 Euro, die Fernsehgebühr belief sich auf 12,22 Euro. Der neue Rundfunkbeitrag kennt nur noch eine Summe, nämlich 17,98 Euro im Monat; das vereinfacht die Erhebung, zugleich wird ihre Begründung nivelliert, ja entindividualisiert. Die Zahlungspflicht wird jetzt von der Nutzung abgetrennt: Jeder Haushalt zahlt. Ob ARD, ZDF und Deutschlandradio gehört und/oder gesehen und/oder geklickt werden, spielt keine Rolle mehr. Faktisch ändert sich für die meisten der fast 42 Millionen Teilnehmerkonten, die GEZ spricht von 90 Prozent, gar nichts: Sie zahlen schon heute den Höchstbetrag. Rund 600 000 Radiohörer, die keinen Fernseher haben, müssen deutlich tiefer in die Tasche greifen. Statt der Grundgebühr von 5,76 Euro werden dann 17,98 Euro fällig – die Staffelung nach Geräten wird aufgegeben. Auch bewusste Rundfunkverweigerer haben keine Chance mehr. Durch die Wohnung als gebührenrelevant definiertem Kommunikationsraum ist ein Entkommen unmöglich. Die Gebührenkommission KEF rechnet allein im privaten Bereich mit knapp 850 000 mehr Zahlern.

Es ist ein ungeheurer Vorgang, in mehrfacher Hinsicht. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden die einzigen Medien in der Republik sein, deren Finanzierungsgrundlage sich schlicht aus der Existenz von Menschen in einem Wohnraum ableitet. Das mag für ARD und Co. eine große Beruhigung sein, tatsächlich richtet sich das Faktum gegen die Anstalten. Die Akzeptanz des Systems ist über die Jahre und Jahrzehnte gefallen. Dies drückt sich auch in einer wachsenden Bereitschaft aus, sich der Zahlungspflicht zu entziehen. Meistens ist das schnödes Schwarzsehen und Schwarzhören, zugleich ist es Protest: Warum in aller Welt soll ich für etwas bezahlen, das ich gar nicht nutze, zu dem ich eine Alternative habe? Alle Fernsehprogramme von ARD und ZDF zusammengenommen kamen 2011 auf einen Zuschauermarktanteil von 41,7 Prozent. Für das laufende Jahr darf nur mit einem kleinen Plus gerechnet werden, „nur“ deswegen, weil ARD und ZDF die sportlichen Großereignisse der Fußball-EM und der Olympischen Sommerspiele im Programm hatten. Die vielfach belächelten „News“ von RTL 2 erreichen mehr 14- bis 29-jährige Zuschauer als die „Tagesschau“, immerhin die meistgesehene Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen. „RTL Aktuell“ um 18.45 Uhr hat die „heute“-Hauptnachrichten um 19 Uhr im Gesamtpublikum und bei den 14- bis 49-Jährigen längst überholt.

Diese Zahlen drücken Abwendung bis Ablehnung aus. Es gibt mehr und mehr kommerzielle Medien, die die Bedürfnisse nach Unterhaltung, Information und Kultur besser befriedigen. Wieso wird die Erhebungsgrundlage für den Rundfunkbeitrag ausgerechnet in dem Moment verbreitert und zementiert, da die Zustimmungsraten fallen und die Zahlungsraten ausfallen?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist intransparent

Die neue Zwangsabgabe soll nicht mehr und nicht weniger erreichen, als dass die Gebühreneinnahmen bei 7,5 Milliarden Euro im Jahr stabilisiert werden. Ohne eine Reform des Gebührenmodells, sagt Martin Stadelmeier, führender SPD-Medienpolitiker, würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk bis 2020 wegen der demografischen Entwicklung etwa eine Milliarde Euro an Einnahmen verlieren. Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Der neue Rundfunkbeitrag werde die Einnahmen nicht oder kaum steigern, heißt es aus den Sendern und der GEZ. Zur Beruhigung der Zahler wird bis 2014 an der Beitragsschraube nicht gedreht.

Zu weiteren Merkwürdigkeiten gehört, dass der Finanzier im Unklaren darüber gelassen wird, wie mit seinen Milliarden umgegangen wird. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist kein transparentes System. Was für Moderatoren, was für Sportrechte bezahlt wird, was genau die 146 Beteiligungen und Tochterfirmen leisten und produzieren – alles schwarze Löcher. Es existiert nur eine grobe Aufschlüsselung der Mittelverwendung. Bei der ARD gehen in den nächsten vier Jahren nach Angaben der KEF lediglich 38 Prozent der Mittel ins Programm, 34 Prozent gehen ans Personal, der Rest wird für Sachaufwand und Verbreitungskosten ausgegeben. Ist es da ein Wunder, dass ARD und ZDF bei den Sommerspielen in London mit 480 Mitarbeitern mehr Personal eingesetzt haben als das deutsche Team Sportler, nämlich 392?

Die Gebührenreform bedeutet eine Generalmobilmachung der deutschen Bevölkerung für die Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Für den Medienwissenschaftler Joachim Trebbe (FU Berlin) werden damit die Angebote von ARD und ZDF stärker in die Diskussion geraten. Die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen sei zwar in einem halben Dutzend Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zementiert. „Aber dadurch, dass die neue Bereitstellungsgebühr in die Nähe einer steuerähnlichen Finanzierung rückt, die sehr umstritten ist, werden sich Zuhörer und Zuschauer fragen, was sie tatsächlich aus dem Angebot nutzen.“

Das Angebot ist über die Jahre gewachsen. 22 Fernsehsender, 67 ARD-Radios über UKW, zehn digitale Hörfunkkanäle, zahlreiche Webradios wie Bremen 4, MDR Jump Rock Channel, SR 1 Lounge, Mediatheken, Onlineportale à la tagesschau.de oder heute.de, die Tagesschau-App – Expansion hieß und heißt das Programm. Hinter jeder technischen Weiterung stand eine programmliche Erweiterung. Der neueste Plan besteht darin, dass ARD und ZDF jeweils einen Digitalkanal nehmen und zu einem neuen Jugendfernsehen verschmelzen. Das eigene Versagen, dass die Hauptprogramme von ARD und ZDF eine jugendfreie Programm- und Publikumszone wurden und die Zuschauer von Erstem und Zweitem im Schnitt jeweils 60 Jahre alt sind, soll mit einem Jugendkanal konterkariert werden, der ZDFkultur und Einsplus zusammenführen soll. „Reich, aber ratlos“, hat die „Süddeutsche“ diese Strategie des Lückenstopfens via Programmgründung genannt.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erreicht in einer sich immer stärker fragmentierenden Angebots- und Nachfragewelt nur mehr Zuschauerfragmente. Warum trotzdem alle zahlen müssen, erklärt sich nur aus einer im Kreisverkehr befindlichen Medienpolitik, die stets Partei nimmt für den Gebührenfunk und dafür mit parteipolitischen Auftrittsbühnen belohnt wird. Scherzhaft: Mögen die Renten auch nicht mehr sicher sein, die Milliarden für ARD und ZDF sind es.

Werden die Öffentlich-Rechtlichen ihrem Auftrag noch gerecht?

Mit dem neuen Rundfunkbeitrag 2013, spätestens mit der Diskussion um dessen Erhöhung ab 2015 wird sich die Generalfrage verschärfen: Wird der öffentlich- rechtliche Rundfunk seinem Informations-, Kultur- und Bildungsauftrag noch gerecht? Ist diese superbe und milliardenschwer ausgepolsterte Bestandsgarantie mit den hehren Werten eines Rundfunks, den die Demokratie braucht, den der Einzelne zu Information und Teilhabe benötigt, der für gesellschaftliche Integration sorgt, der versöhnt statt spaltet, sind die 7,5 Milliarden Euro so wertvoll und so notwendig wie Krankenversicherung, Hartz IV, Bundeswehr und fließend Kalt- und-Heißwasser aus der Leitung?

So absurd es klingen mag, doch erst die Gesamtheit der 22 Fernsehprogramme ergibt ein öffentlich-rechtliches Bild. Erst die Mischung aus Zellteilung und Segregation sichert der Kultur ihren Platz bei 3sat und Arte, macht die Bildung bei BR alpha pädagogisch wertvoll, gibt der Politik bei Phoenix Sitz und Stimme, fesselt die jüngsten Zuschauer beim Kika. Alles wunderbar, doch alles Randgeschehen. Die Erwartung richtet sich auf die televisionäre Conditio sine qua non, auf die Kernprogramme von ARD und ZDF. Die sind im Kern längst nicht mehr öffentlich-rechtlich getunt (Information, Bildung, Unterhaltung), das sind Kampfprogramme gegen die private Konkurrenz. Quotenfernsehen, Attraktionen um größtmögliche Aufmerksamkeit: „Tatort“ und „Rosamunde Pilcher“, Talks und Quizshows, „Tagesschau“ und „heute journal“. Von wenigen Formaten der Information und der Dokumentation abgesehen, sind die Kanäle der öffentlich-rechtlichen Machart und die Angebote der kommerziellen Bauart mehr konvergent als komplementär. Dass das ZDF seit dieser Saison die Fußball-Champions-League überträgt und damit Sat.1 für eine Jahresrechnung von 52 Millionen Euro abgelöst hat, hat nichts mit Bessermachen und Besserkönnen zu schaffen, sondern schlicht mit der Tatsache, dass das ZDF genug Geld hat, um die privaten Nachfrager zu überbieten. Geld schießt Tore, Gebühr kauft Quote.

Ein verwechselbares Angebot – „Perlentaucher“-Chef Thierry Chervel spricht von einer „grauenhaften konzeptionellen Leere“ – , Programme, die junges Publikum ausschließen, die Inflation der Kopien (Talks!), die Redundanz der Wiederholung („Tatort“!), der Stillstand des öffentlich-rechtlichen Mediums, all dies und anderes hat die Opposition unter den Gebührenzahlern wachsen lassen. Opposition, die sich auch gegen das neue Modell der Zwangsabgabe wendet. Die erste Klage gegen den Rundfunkbeitrag ist eingereicht.

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