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Heinz Buschkowsky (64) ist seit dem 1. Dezember 2001 Bezirksbürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln und seit 1973 Mitglied der SPD. Foto: Mike Wolff

© Mike Wolff

Neuköllns Bürgermeister im Gespräch: Buschkowsky: "Ich habe die Wirklichkeit beschrieben"

Integration ist harte Arbeit, sagt Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Im Interview kritisiert er Klaus Wowereit, wehrt sich gegen Rassismus-Vorwürfe - und macht Barbara John, die ihn aufgefordert hatte, sein Buchhonorar zu spenden, einen Gegenvorschlag.

Von Antje Sirleschtov

Herr Buschkowsky, Ihr Buch „Neukölln ist überall“, das vor drei Wochen erschien, hat zu heftigen Auseinandersetzungen über die Integrationspolitik geführt. Wollten Sie mit dem Buch provozieren?

Das Buch soll durchaus Unruhe auslösen. Mein Ziel ist es, die Diskussion über die Integrationspolitik wieder anzuschieben und Lösungsansätze voranzubringen. Mir ist die rituelle politische Auseinandersetzung über Einwanderung und Integration zu unehrlich und scheinheilig.

Was ist daran unehrlich?

Ich habe in meinem Buch die Wirklichkeit beschrieben, wie sie jeder selbst sehen und erleben kann. Die organisierte Empörung ist wie erwartet sofort über mir zusammengeschlagen - vom Rassismus bis zum Höhepunkt einer Verbindungslinie zum norwegischen Massenmörder Breivik. Es gibt politische Kreise, die mit der Realität nicht umgehen können.

Da schreckt man vor keiner Injurie zurück, um unliebsame Mahner mundtot zu machen. In linken Arbeitskreisen, einschließlich meiner Partei, herrscht Wirklichkeitsverweigerung bis zur Selbstverleugnung. Diese letzten Protagonisten der Multikulti-Romantik sind die eigentlichen Bremser notwendiger Entscheidungen und Veränderungen in der Integrationspolitik. Gipfel und Sonntagsreden anstelle von Handeln, das ist das Problem.

Wie groß ist das Problem?

Wer behauptet, dass Parallelgesellschaften, asymmetrische Entwicklungen, Gewaltbereitschaft, Nicht-Anpassen-Wollen und „das eigene Ding“ machen, Vielehen und eigene Rechtsfindung nur in Neukölln zu finden sind, der verkennt die Realitäten. Die Kehrseite der gelungenen Integrationskarrieren sind die Einwandererschichten, die sich der deutschen Gesellschaft und ihren Regeln entziehen. Sie gibt es von Kiel-Gaarden bis München-Hasenbergl. Wenn wir weiter tatenlos zusehen, werden Stadtviertel wie in London oder am Rande von Paris die Folge sein.

Ihnen ist Rassismus vorgeworfen worden. Trifft Sie das?

Die Wirklichkeit kann nicht rassistisch sein. Nicht jeder, der dieses Wort benutzt, scheint zu wissen, was es wirklich bedeutet. Der gerade erschienene Grundschulvergleich über den Wissenserwerb von Viertklässlern in Deutschland beschäftigt sich an mehreren Stellen mit den sehr schlechten Leistungen türkischstämmiger Kinder und ihrem Familienhintergrund. Sind dieser Bericht und seine Autoren auch rassistisch, weil er sagt, wie die Situation in unseren Schulen ist?

Ich schreibe darüber, wie wir Kinder bildungsferner Einwandererschichten zu mehr Chancengerechtigkeit und einem selbstbestimmten Leben verhelfen, anstatt sie nahtlos von der Schule zum Jobcenter zu begleiten.

Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie die Missstände anprangern, statt Ihrer Verantwortung als Bezirksbürgermeister von Neukölln bei der Abschaffung der Missstände nachzukommen.

Das kann nur jemand sagen, der das politische System in Berlin nicht kennt. Es gibt keinen Bezirk, in dem so viele erfolgreiche Integrationsprojekte entwickelt wurden wie in Neukölln. Deswegen wurden wir auch in den europaweiten Kreis der Intercultural Cities berufen. Das geht von Stadtteilmüttern über Schulstationen und Sprachzentren bis zum Campus Rütli, Berlins erstem Ganztagsgymnasium, den meisten migrantischen Auszubildenden aller Bezirke, ein geschlossenes Integrationskonzept und ein Leitbild.

Da können viele mit der großen Klappe sich etwas abschauen. Ein Bezirksbürgermeister bestimmt noch nicht einmal die Größe von Schulklassen oder Kita-Gruppen, kann keine Lehrer einstellen oder Ganztagsschulen gründen. Wenn ich das alles könnte, würde Neukölln anders aussehen.

Die Fehler des Klaus Wowereit

Der Senat unter Ihrem Parteifreund Klaus Wowereit hätte die Macht. Nimmt er sie nicht wahr?

Zwischen dem laut denkenden Regierenden Bürgermeister in seinen Reden wie in seinem Buch und der praktischen Politik des Senats besteht eine deutliche Divergenz. Nur ein Beispiel: Die Schulen sollen mehr Autonomie erhalten und die besten Lehrer gehören in die sozialen Brennpunkte. Gibt’s in London schon lange.

Die Realität ist aber, dass der Senat den Schulen sogar bis in einzelne Klassen hineinfummelt oder dass Lehrer ohne interkulturelle Kompetenzen in schwierige Gebiete umgesetzt werden. Gerade im Schulbereich klaffen Reden und Handeln weit auseinander.

Welche Forderungen erheben Sie?

Wir sind aus demografischen Gründen auf Einwanderung angewiesen. Aber wir brauchen eine konzeptionelle Einwanderung. Das heißt, wir schauen hin, wer kommt. Sie soll die Gesellschaft stärken und voranbringen und kein Testbetrieb für das Sozialsystem sein. Die Menschen kommen freiwillig zu uns, weil sie ein besseres Leben erwarten als in ihrer Heimat.

Sie müssen die Bereitschaft mitbringen, sich integrieren zu wollen, Teil der deutschen Gesellschaft zu sein und mit uns nach den Lebensregeln zu leben, die für alle gelten. Dafür brauchen sie keine Lederhosen anziehen und auch keine Weißwurst zum Frühstück essen, sondern lediglich die Normen einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft auch für sich akzeptieren.

Integration muss man steuern, das ist harte Arbeit. Der Weg zur Chancengerechtigkeit führt über Kita-Pflicht, Ganztagsschulen und Einhalten der Regeln. Im Konfliktfall muss Staat drin sein, wo Staat dransteht.

Die ehemalige Ausländerbeauftragte Berlins, Barbara John, hat Sie für Ihr Buch kritisiert und gemahnt, Sie mögen die Einnahmen daraus für ein Integrationsprojekt in Berlin spenden. Tun Sie das?

Die Gemeinschaft erhält mit fast der Hälfte einen gerechten Anteil. Man nennt das Steuern. Aber ich bin bereit, auf jeden Euro, den Frau John von ihrem privaten Geld in Neukölln spendet, einen weiteren draufzulegen.

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