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Homosexualität ist menschlich. Sie zu verfolgen dagegen nicht.

© Arne Dedert/dpa

Homosexualität und §175: Nicht der Schwule ist pervers, sondern der Staat, der straft

Die Aufhebung früherer Urteile gegen Homosexuelle ist überfällig - aber sie sollte auch den Blick für das Unrecht der Gegenwart schärfen. Ein Kommentar.

Als die Mauer fiel, haben Ost-Berliner Schwule eine Erfahrung mit der Bundesrepublik als Unrechtsstaat machen dürfen: Drüben bestand die Gefahr, wegen seiner Sexualität bestraft zu werden, zu Hause nicht. Fünf Jahre hat es dann gedauert, ehe der Schandparagraf aus dem Gesetzbuch getilgt war, wo er mehr als 120 Jahre stand. Die DDR, hier war sie mal vorbildhaft in Sachen Recht. Eigentlich unfassbar. Ebenso wie der moralische Konsens, der die Strafvorschrift im Westen durch die Jahrzehnte trug.

Richtig ist es deshalb und überfällig, die als Täter Verurteilten als das zu behandeln, was sie in Wirklichkeit waren, als Opfer. Es hat keinen Staat zu interessieren, was Erwachsene miteinander veranstalten, wenn sie die Hosen runterlassen – solange es sich einvernehmlich, selbstverantwortlich und in privater Abgeschiedenheit vollzieht. Schwule wegen ihres schwulen Lebens zu bestrafen, ist schlicht pervers und war es immer.

Bemerkenswert, wie dieser im Prinzip auch in unseren Kulturzonen etwas älteren Einsicht nun zum legislativen Durchbruch verholfen werden soll. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, sie alle hatten längst ihre Entschlossenheit kundgetan und die Urteile gegen zehntausende Männer als Verstoß gegen die Menschenwürde angeprangert. Geschehen ist nichts. Nun, da die sonst wenig bekannte Bundes-Antidiskriminierungsstelle ein Professorengutachten auf den Tisch legt, will das Justizministerium seine schier ewige Prüfung der Probleme überraschend in einen Gesetzentwurf münden lassen. Die lange Passivität, scheint es, wird mit einer Prise Aktivismus ausgeglichen.

Das wäre ein Fehler, denn der deutsche Rechtsstaat steht vor einer Premiere, die gut vorbereitet sein will. Es wäre das erste Mal, dass der Gesetzgeber Urteile aufgrund von Strafvorschriften beseitigen würde, die unter der Geltung des Grundgesetzes bestanden haben und von den zuständigen Gerichten bestätigt worden sind.

Wo sind die Grenzen staatlichen Unrechts nach 1945?

Hier liegt die Schwierigkeit. Es kamen in der Bundesrepublik auch Menschen wegen Ehebruchs und Kuppelei vor Gericht. Auch ihnen dürfte Unrecht geschehen sein, das mit der bloßen Abschaffung von Paragrafen nicht wiedergutzumachen ist. Man kann nun argumentieren, die Verfolgung Homosexueller sei anderes, besonderes Unrecht gewesen. Aber welche Maßstäbe sind dafür anzulegen, wo die Grenzen zu ziehen? Nur am Rande: Einvernehmlicher Sex Erwachsener ist immer noch strafbar – wenn es Geschwister sind. Auch diese Vorschrift dürfte längst entbehrlich sein, wenn sie nicht sogar dies ist: Unrecht.

Das Projekt sollte also zügig, aber nicht leichtfertig angegangen werden. Schwule Männer sind die größte, doch vermutlich nicht die einzige Opfergruppe staatlichen Unrechts nach 1945. Es wäre deshalb nicht das Schlechteste, die Kassation der Homosexuellen-Urteile durch den Gesetzgeber mit der Möglichkeit zu flankieren, unerträgliche Urteile aus der Vergangenheit durch die Justiz aufheben zu lassen. Dies wäre ein aufwendiges, aber flexibles System, das zudem den Blick auf die Gegenwart schärft. Denn besser als Unrecht zu entschädigen, ist es letztlich, es gar nicht erst entstehen zu lassen.

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