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Politik: Nicht jeder muss fasten

REFORMEN

Von Ursula Weidenfeld

Wer sie gehört hat, die Sozialdemokraten, gestern an ihrem Aschermittwoch, der hatte nicht den Eindruck, dass die Fastenzeit begonnen hat. Es war vielmehr so, als würde das baldige Ende der Fastenzeit versprochen. Von neuen Reformen, von politischen Entscheidungen, die in diesem Jahr noch vor der Tür stehen, wurde vorsichtig geschwiegen.

Es stimmt. Sie sind schwer zu ertragen, die Reformen, die die Bundesregierung im vergangenen Jahr unter ziemlich großen Schmerzen geboren hat. Der politische Weg sei noch vergleichsweise leicht zu gehen gewesen, hat der Kanzler gesagt. Leicht im Vergleich zu dem, was er neuerdings Implementierungsprobleme nennt. Implementierung ist so etwas wie der Punkt, an dem es wehtut. Es ist die Zeit, in der die Reformkur schmerzt – ohne dass auf der anderen Seite ein Heilungsprozess sichtbar würde.

Das macht dem Kanzler Sorgen. Und der SPD macht es noch mehr Sorgen. Denn es gibt auch ohne neue Reformen eine Menge Implementierungs-Stellen in diesem Jahr. Den ersten April zum Beispiel. Dann werden Rentner die vollen Pflegeversicherungsbeiträge bezahlen müssen. Oder den ersten Juli. Dann werden Teile der Arbeitslosenreformen angewendet. Und den ersten Januar des kommenden Jahres. Dann werden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt, dann wird Zahnersatz versicherungspflichtig, dann wird die Zumutbarkeitsgrenze für Arbeitslose niedriger.

Kein Wunder, dass die Regierung findet, bei all der Implementierung und den daraus resultierenden Schmerzen sei es für die Bürger kaum zumutbar, auf dem politischen Reformweg voranzuschreiten. Bei den Reformen bleibt alles wie beschlossen, haben der Kanzler und sein künftiger Parteivorsitzender auch gestern wieder versichert. Sie sagen es so, als werde nicht mehr von ihnen verlangt.

So ist es aber nicht.

Denn die Bundesregierung wird sich in diesem Jahr wohl oder übel zu einer grundsätzlichen Position zu künftigen Rentenreformen durchringen müssen. Die erste Lesung im Bundestag für eine neue Rentenformel, den Nachhaltigkeitsfaktor und die Anerkennung von Ausbildungszeiten hat sie schon hinter sich gebracht. Auf diesem Weg muss sie weitergehen – es sei denn, sie will die Debatte ausgerechnet im Wahljahr 2006 weiterführen. Zumal sie bei der Rente auch noch einige Vorgaben des Verfassungsgerichts zur Rentenbesteuerung abarbeiten muss. Dasselbe gilt für die Pflegeversicherung. Hier muss die Politik das Karlsruher Urteil umsetzen und Erziehende besser stellen als Alleinstehende und Kinderlose. Und auch bei der Krankenversicherung ist allen klar: Je geringer die Einschnitte ausfallen, desto höher wird das Risiko, dass in ein, zwei Jahren schon wieder die ersten Beitragserhöhungen bei den Krankenkassen anstehen.

Das aber scheint die Sozialdemokraten im Augenblick nicht besonders zu beeindrucken. Der Bundeskanzler und der neue Parteivorsitzende wollen ganz offensichtlich erst einmal warten, bis die schlimmsten Reformschmerzen abgeklungen sind. Und hören geduldig zu, wie die Ausbildungsplatzabgabe vereinbart wird, über Zumutbarkeitsregeln oder Mindestlöhne diskutiert wird. Das alles hat nur einen Zweck: Allen klar zu machen, dass nun erst einmal das Ende der Reformen gekommen ist. Nicht der Reformen, die schon vereinbart sind. Da wird höchstens ein bisschen nachgebessert, geändert, gemildert. Gekommen ist aber das Ende der Reformen, die noch nötig wären, damit die wirtschafts- und wachstumspolitische Fastenzeit in Deutschland ein fröhliches Ende findet.

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