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Politik: Nicht mit aller Macht - Partei-Chef Gerhardt und die Grenzen der Autorität (Leitartikel)

Freiheit, lautet der fast bis zur Bedeutungslosigkeit zitierte Satz von Rosa Luxemburg, sei immer die Freiheit des Andersdenkenden. Im real existierenden Staatssozialismus war er eine Provokation für die Herrschenden.

Freiheit, lautet der fast bis zur Bedeutungslosigkeit zitierte Satz von Rosa Luxemburg, sei immer die Freiheit des Andersdenkenden. Im real existierenden Staatssozialismus war er eine Provokation für die Herrschenden. Ernst genommen, ist er es immer noch. Wolfgang Schäuble sieht auf dieser Strecke die wichtigste Lehre aus der Affäre, die mit dem Namen Helmut Kohl verbunden ist. Innerparteiliche Demokratie habe man unterbewertet, den Zusammenhalt überbewertet, gesteht er ein. Schäuble und Luxemburg beim Wort genommen: Was heißt beider Einsicht für die Bewertung von Ruth Wagner?

Sie ist keine Rosa Luxemburg, eher eine Madame Asterix, die mit ihren Getreuen in Klein-Hessen einer Übermacht trotzt. Ja, sie hat das Recht auf ihre Meinung und ihr Ministeramt. Das heißt auch: Sie muss mit den Folgen leben. Im real existierenden Reich der Freiheit kann Ruth Wagner dies ohne Angst um ihre Existenz. In der Demokratie gibt es keinen Zaubertrank für Unbesiegbarkeit, aber der Unterlegene wird auch nicht zum Märtyrer.

Daher lohnt es, der Frage nach den Lehren aus der Ära Kohl weiter nachzugehen. Auftritt Wolfgang Gerhardt: Der Hesse droht im Kampf mit den Hessen zur Lachnummer zu werden. Der Bundesvorsitzende, das Präsidium hinter sich, ebenso die restlichen Landesverbände der Partei - und doch kann er sich nicht durchsetzen? Ein Parteichef, keine Autorität. Schon vorher stand er in diesem Verdacht, jetzt scheint er bestätigt zu sein. Aber was wäre, wenn an dieser Stelle die innerparteiliche Demokratie unterbewertet würde? Was wäre, wenn das "System Kohl" in den Köpfen seiner Kritiker munter weiterlebte?

Helmut Kohl, das war der starke Mann par excellence. Man hat ihn kritisiert, aber je weniger das nutzte, umso mehr überwog die Bewunderung, nicht bloß für den Staatsmann, auch für den innerparteilichen Herrscher. Er war einfach stärker als seine Gegner. Dass Kohl seine Siege nicht gerade in der, sagen wir: idealen Kommunikationssituation gleichberechtigter Diskurssubjekte erzielte - das war jedem klar. Druck, Einschüchterung, Belohnung, so war es. Die Hauptsache war für alle der Erfolg.

Eine Partei zu beherrschen, so wie esKohl schließlich gelang, setzte sich als Maßstab für politische Qualität durch: Wer Regierungschef werden will, hat sich zunächst seine Partei untertan zu mache. Weil er das nicht schaffte, so hieß es, sei Helmut Schmidt in und an der SPD gescheitert, nicht am Verlust des Koalitionspartners FDP. Später wurde der Brite Tony Blair bejubelt, weil er seine innerparteilichen Gegner nach Kohls Art dominierte. Ihm sollte Gerhard Schröder nacheifern. Und nun Wolfgang Gerhardt.

Aber ist dieser Anspruch nicht maßlos? Warum muss der Parteivorsitzende sich in jeder Frage durchsetzen? In der Demokratie gibt es eben nicht jenen demokratischen Zentralismus, der den Willen der Führung von oben nach unten notfalls mit Zwangsmitteln durchsetzt - es sei denn, die da unten stellten freiwillig den Zusammenhalt über die Diskussion. Man kann den Standpunkt von Ruth Wagner für falsch halten, mit guten Gründen. Man kann ihr und ihren Getreuen vielleicht sogar unterstellen, dass der Dienstwagen ihnen wichtiger sei als die Prinzipien, von denen hier die Rede ist. Und trotzdem: Wagner zeigt ein Stück jener Zivilcourage, die in der Politik nicht abhanden kommen darf. Genau das ist es doch, was sich die Vasallen Helmut Kohls heute vorwerfen müssen.

Deswegen ist Wolfgang Gerhardt noch kein brillanter Parteivorsitzender. Aber es sei daran erinnert, dass der ach so große Hans-Dietrich Genscher es auch nicht ohne Anlauf schaffte, alle Liberalen von der Notwendigkeit seiner "Wende" zu Helmut Kohl zu überzeugen. In einer demokratisch verfassten Partei hat ein Bundesvorsitzender keine Machtmittel, einen Landesverband zur Räson zu bringen; jedenfalls wenn es demokratisch zugeht. Die FDP wird damit leben müssen, dass Ruth Wagner anders denkt als die Mehrheit im Bund. Sie hat dafür in den entscheidenden Gremien ihres Landesverbandes die Mehrheit - zumindest bis zum Parteitag Ende März. Sollte sie dann unterliegen, und sollte sie vorher ihren Parteifreunden bei der Landtagswahl in Kiel geschadet haben - das wäre weniger Wolfgang Gerhardts Versagen als der Preis der Freiheit.

Thomas Kröter

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