zum Hauptinhalt
Abwehr durch Abwesenheit. Der SPD-Spitzenkandidat Steinbrück mag „die Hütchenspielerin“ Merkel noch so sehr attackieren. Die geht gar nicht darauf ein. Foto: Fabrizio Bensch/Reuters

© REUTERS

Politik: Nicht von ihrer Welt

„Wenn ich Bundeskanzler bin“: Offenbar ermutigt vom TV-Duell greift Steinbrück die Amtsinhaberin an. Merkel würdigt ihn mit Nichtbeachtung. Doch dann kommt es zum Streit über die Europapolitik.

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Am Sonntag Fernsehduell der Kanzlerin mit ihrem Herausforderer, am Montag das Duell von FDP, Linken und Grünen und nun schon wieder Redeschlachten. An diesem Dienstag wissen im Plenarsaal des Bundestages alle schon, was sie erwartet: Gleich wird sich die Koalition loben und die Opposition ganz anderer Meinung sein. Wahlkampf eben.

Doch dann tritt Jörg van Essen, ein älterer Herr mit etwas lichterem Haar, ans Rednerpult. Van Essen ist seit Jahren parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, quasi ihr Organisator und politischer Strippenzieher. Ein Urgestein im Parlament. Man kennt ihn als Haudegen, wenn es um die Interessen seiner Fraktion geht. Aber van Essen wird auch menschlich geschätzt. Immer ist er höflich, immer ein korrekter Typ. „Auf Wiedersehen“, sagt er nun leise ins Mikrofon, und dass er allen Danke sagen möchte, die mit ihm zusammen gearbeitet haben, „in allen Fraktionen“. Plötzlich wird es für einen Augenblick ruhig im Bundestag. Richtig, heute kommen alle ein letztes Mal in dieser Runde zusammen. Bald ist Wahl, manche treten, wie van Essen, nicht mehr an, manche werden nicht genug Stimmen erhalten, um im Herbst wiederkommen zu dürfen. Ein Augenblick Stille, dann stehen die Fraktionschefs auf. Erst Volker Kauder von der Union, dann  der Linke Gregor Gysi, zum Schluss Jürgen Trittin von den Grünen. Sie geben van Essen die Hand zum Abschied. Auch für andere ist es der letzte Tag im Plenum – Parlamentsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) darf am Präsidiumstisch sitzen. Abschied nehmen auch Franz Müntefering und Michael Glos.

Dann geht’s los mit dem politischen Tagesgeschäft. Die Regierung bringt ihren letzten Haushaltsentwurf in den Bundestag ein. Lautstark und zum Teil auch sehr schrill wird man den ganzen Vormittag lang seine politischen Gegner beschimpfen. „Konsenssoße“, „Lobby-Regierung“ und allerlei schlimmere Titulierungen schwirren durch den Raum.

Doch zuvor noch ein Duell der Kanzlerin und ihre Herausforderers. Angela Merkel fährt noch einmal alles auf, was die Wähler davon abhalten soll, etwas anderes als die CDU zu wählen. Geringe Arbeitslosigkeit, Kita-Garantie, sprudelnde Steuereinnahmen und gesunde Sozialversicherungen. Das alles ist für sie nicht nur das Ergebnis „vieler fleißiger Menschen“, sondern auch „das Werk kluger Politik“. Ihrer natürlich. 30 Minuten lang zeichnet die Kanzlerin das Bild eines erfolgreichen Landes, in dem es beinahe allen Menschen gut geht und niemand Zukunftsängste haben muss. Und wenn einer doch Zweifel haben sollte, dann, so rät die Kanzlerin, sollte er am 22. September dafür sorgen, dass „diese erfolgreiche Koalition“ weiterregieren kann – oder besser gesagt „auf diesem Weg weitermachen“ kann. Weil, so Merkel, noch nicht alles gut sei, aber „der eingeschlagene Weg richtig“ ist und daher nicht verlassen werden sollte.

Peer Steinbrück sieht das natürlich ganz anders. Noch einmal schlägt der SPD-Kanzlerkandidat den Bogen von der Hotelsteuer, die Schwarz-Gelb kurz nach Amtsantritt beschloss, und dem Betreuungsgeld. Dazwischen sei vier Jahre lang „beobachtet und angekündigt“ worden. Nur nicht gehandelt. „Politische Unterzuckerung“ nennt das Steinbrück und wirft Merkel vor, weder eine Vision von der Zukunft Deutschlands zu besitzen noch die notwendigen Entscheidungen getroffen zu haben. Eine „Hütchenspielerin“ sei sie. Merkel sieht regungslos in den Saal, als verstehe sie nicht, von welcher Welt der Mann am Podium spricht. Gerade mal 90 Minuten lang hatte die Regierungschefin sich am Sonntagabend beim Fernsehduell ihrem Herausforderer zugewandt. Nun würdigt sie ihn wieder mit konsequenter Nichtbeachtung.

Steinbrück dagegen zeigte sich im Bundestag empört über eine Äußerung Merkels in einem Interview, in dem sie der SPD Unzuverlässigkeit in der Europapolitik attestierte. Er warf der Kanzlerin vor, damit „Brücken zu zerstören“. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach gar von einer „Sauerei“. Merkel ihrerseits bezichtigte die SPD, mit ihrer Haltung zum Euro-Krisenmanagement scheinheilig zu sein. Steinbrück erinnerte nun daran, dass der Rettungsschirm ESM wegen der Abweichler in den Reihen der Koalition nicht die erforderliche Mehrheit bekommen hätte. „In manchen Fällen mussten wir Ihnen erst die Kanzlermehrheit besorgen.“ Am Dienstagabend lässt Merkel mitteilen, sie habe den Vorwurf keineswegs auf das Abstimmungsverhalten der SPD bezogen, sondern auf die „gegensätzlichen Auffassungen von Bundesregierung und SPD über Eurobonds, Schuldentilgungsfonds und gemeinschaftliche Haftung in der Euro-Zone“. Dennoch hält der Kanzlerkandidat den Streit damit nicht für ausgeräumt. wie er später betont.

Im Bundestag wirkt Steinbrück am Dienstag ansonsten ermutigt vom Lob, das er für seinen Fernsehauftritt bekommen hat. „Wenn ich Bundeskanzler bin“, so leitet er selbstbewusst mehrere Sätze ein. „Vier verlorene Jahre“ attestiert er der Kanzlerin. Das Land brauche einen „Neustart“. Und für den will Peer Steinbrück „arbeiten und wirken“. Falls er Bundeskanzler wird. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false