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Nicht zu führen: Bestandsaufnahme des Verteidigungsministeriums ist vernichtend

Der Bericht zur Struktur des Verteidigungsministeriums offenbart einen bürokratischen Apparat, der ineffizient ist.

Berlin - Die Kommission hatte den Auftrag, nichts zu beschönigen, und sie hat sich daran gehalten. IhreBestandsaufnahme von Bundeswehr und Verteidigungsministerium ist vernichtend ausgefallen. Im Ministerium herrsche „allgemeine Verantwortungsdiffusion“, so der Gutachterbefund. Stringente Steuerung sei dadurch „unmöglich“. Mitarbeiter behinderten sich „gegenseitig in Strukturen, die nicht erfolgsfähig“ seien. Die Gesamtorganisation sei „systematisch überstrapaziert“, der Abstimmungsaufwand immens und unverhältnismäßig, das Controlling „weitgehend wirkungslos“. Helfen kann aus Expertensicht bei alledem nur noch eines: das Ministerium „von Grund auf neu zu konzipieren“. Verantwortlichkeiten müssten gebündelt, Aufgaben ausgelagert und der Mitarbeiterbestand radikal reduziert werden. Von den 3300 Beschäftigten seien mehr als die Hälfte überflüssig.

Seit Anfang April unterzogen die sechs Gutachter unter Leitung des Chefs der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, das Militär und seinen politischen Überbau hinter verschlossenen Türen der Generalrevision. Beleuchteten Entscheidungsstrukturen und Verantwortlichkeiten, befragten Soldaten wie Unternehmensberater. Und brachten ein verheerendes Zeugnis zu Papier, an dem vor allem eines auffällt: dass es keinen Zuständigen wirklich überrascht. Er werde den 114-Seiten-Bericht, der ihm am Dienstag offiziell überreicht wird, bis Ende Januar prüfen lassen, kündigte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) unaufgeregt an. Danach werde er Reformvorschläge machen.

Auch in der SPD gibt man sich gelassen. Er könne die These eines nicht führ- und steuerbaren Ministeriums zwar nicht akzeptieren, weil vieles auch an der Durchsetzungsfähigkeit des jeweiligen Ressortchefs hänge, sagte Fraktionsexperte Rainer Arnold dem Tagesspiegel. Doch die Debatte und das Wissen um die Missstände seien „nicht wirklich neu“. Das Ministerium brauche „Strukturen, bei denen die Verantwortlichkeiten klarer sind“. Dass man sich unter Peter Struck nicht bereits darangemacht habe, liege daran, dass man eben nicht alles gleichzeitig tun könne. Zunächst sei der Umbau zu einer Einsatzarmee vorrangig gewesen.

Die Organisationsstrukturen hielten, so die Gutachter, mit dem Wandel der Bundeswehr nicht Schritt. „Nur ansatzweise“ sei das Ministerium an die „neuen Realitäten angepasst“ worden, schreiben sie in ihrer Expertise, die dem Tagesspiegel teilweise vorliegt. Und zitieren einen Befund der „Weizsäcker-Kommission“ vom Mai 2000, der nach wie vor zutreffe. Die Leitung des Ministeriums werde „bei ihren Steuerungsaufgaben nicht wirksam genug unterstützt“, heißt es in dem zehn Jahre alten Papier. Entscheidungsunterlagen seien „häufig nicht ausreichend quantifiziert, zu wenig durch Fakten untermauert und nicht nach betriebswirtschaftlichen Kriterien überprüft“. Es fehle an Transparenz und kritischer Diskussion, Leistungsentscheidungen kämen „überwiegend im Konsensverfahren durch Abstimmung auf unterer Ebene zustande“.

Alles noch genauso, diagnostizieren die Gutachter. Nach wie vor gebe es in der „derzeitigen Vielfalt von Zuständigkeiten“ weder durchgängige Führung, noch würden „Erfolge und Misserfolge persönlich verantwortet“. Nötig sei deshalb eine konsequente Neuausrichtung, hin zu „schlanken, bruchfreien und nachvollziehbaren, transparenten Strukturen“. Einsätze dürften „nicht nach dem Konsensprinzip der Geschäftsordnung des Ministeriums geführt werden“.

Stattdessen: klare Verantwortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen. Insbesondere der Planungsstab des Ministers müsse aufgewertet und mit der Abteilung „Militärpolitik“ des Generalinspekteurs zu einem straffen Beratergremium verschmolzen werden. Politisch-strategische Vorgaben könnten dann „aus einer Hand“ erarbeitet, verantwortet und nach Ministerweisung auch umgesetzt werden – einschließlich der Bereiche Rüstungszusammenarbeit und Rüstungskontrolle.

Auch die Position des Generalinspekteurs müsse gestärkt werden, fordern die Experten. Nötig sei eine Art Generalstabschef, zuständig für sämtliche Teilstreitkräfte und Einsätze. Ihm wäre ein Generalarzt zugeordnet. Die Inspekteure für Heer, Luftwaffe und Marine dagegen würden zu bloßen Befehlshabern degradiert und nicht mehr dem Ministerium angegliedert. Und der Staatssekretär müsse ein „Justiziariat“ erhalten, das „schnelle und effektive Rechtsberatung“ garantiert.

Die insgesamt 17 Abteilungen des Ministeriums könnten auf sieben zusammenschnurren, meinen die Gutachter. Richtgröße: etwa 100 Dienstposten. Unter- und Stabsabteilungen könnten entfallen. Und für Auslandseinsätze wäre ein stärkeres Einsatzführungskommando vonnöten, dem das Kommando Spezialkräfte (KSK) unterstellt werden sollte. Für besondere Einsätze hätte der Generalinspekteur darauf direkten Zugriff. Zudem müsse das Ministerium „so schnell wie möglich“ am Dienstsitz Berlin konzentriert werden.

Schnitte im Ministerium seien sinnvoll, findet auch der SPD-Politiker Arnold. Ebenso eine effizientere Beschaffungspolitik. Die flotte Konzentration des Ministeriums auf den Standort Berlin jedoch beurteilt er skeptisch. „Das Bonn-Berlin-Gesetz gilt auch für Weise und Guttenberg.“ Und darin seien feste Prozentzahlen an Ministeriumsmitarbeitern für die frühere Bundeshauptstadt nun mal vorgegeben.

Lob zollte Arnold der Forderung nach einer Aussetzung der Wehrpflicht. Die Kommission habe erkannt, dass diese Pflicht der erwünschten Verkleinerung im Wege stehe, und sich „dem sozialdemokratischen Modell einer Stärkung der Freiwilligendienste angenähert“. Die Gutachter empfehlen einen Dienst, der höchstens 23 und mindestens 15 Monate dauern soll.

Ob sich mit der empfohlenen Umstrukturierung im gewünschten Rahmen sparen lässt, ließen die Experten freilich offen. Und Guttenbergs Vorschlag, die Truppenstärke auf bis zu 163 500 Soldaten zu senken, erteilten sie eine Abfuhr. 180 000 seien schon nötig, schreiben sie. Der Minister reagierte prompt: Wenn man mehr Soldaten wolle, werde man das finanziell „unterfüttern“ müssen. Im Klartext: Dafür braucht es schon mal mehr Geld.

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