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David Cameron in Brüssel

© Reuters

Niederlage als moralischer Sieg: David Cameron und die Evakuierung von Dünkirchen

David Cameron hat nach der Niederlage im Konflikt um den zukünftigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker gute Presse in der Heimat. Viele glauben aber, eine Abspaltung Englands sei nun wahrscheinlicher geworden.

Für einen, der nach hartem, aber vergeblichem Kampf gegen die Nominierung Jean-Claude Junckers zum EU-Kommissionspräsidenten als Verlierer aus Brüssel zurückkehrte, hatte der britische Premier David Cameron eine erstaunlich gute Presse. Der euroskeptische „Daily Telegraph“ verglich Camerons Niederlage mit der Evakuierung von Dünkirchen im Zweiten Weltkrieg. „Er zeigte so viel Mut und Hartnäckigkeit bei der Niederlage, dass es auf einen moralischen Sieg hinauslief“.

Heute dürfte Cameron im Unterhaus von seiner Partei stürmisch gefeiert werden, wenn er über die Ratssitzungen in Brüssel berichtet. Die Ovationen werden von solchen kommen, die einen britischen EU-Austritt nach einem Referendum 2017 nun für wahrscheinlicher halten, weil sie in Junckers Nominierung eine glatte Ablehnung britischer Reformwünsche durch die anderen EU-Staaten sehen. Auf der anderen Seite aber auch von solchen, die Cameron nun eher zutrauen, hart um echte Reformen zu verhandeln, um Großbritanniens Zukunft in der EU sichern können. Jedenfalls sei "der Plan des britischen Außenministeriums, den Briten beim 2017 geplanten EU-Referendum wie beim Referendum 1975 Scheinreformen zu präsentieren, zu Staub geworden“, freute sich der euroskeptische Tory Europaparlamentarier Daniel Hannan.

Zu den Kritikern gehört allerdings Oppositionschef Ed Miliband. Er unterstützte zwar, wie alle britischen Parteien, Cameron Verhandlungsziele. Mit seiner diplomatischen Inkompetenz und Isolation sei er aber nun „eine echte Gefahr für unsere Wirtschaft“, argumentierte Miliband, weil Cameron zugab, dass Großbritanniens Verbleiben in der EU „schwieriger geworden "sei. Auch Wirtschaftsverbände warnten, „zu einer vollen Mitgliedschaft Großbritanniens in einer reformierten EU gibt es keine Alternative“, so der Präsident des Unternehmerverbands CBI, John Cridland.

Konservative Hinterbänkler loben David Cameron

Ohne Zweifel hat Cameron das Vertrauen seiner Hinterbänkler in seine Person aber gestärkt. Parteifreunde lobten, dass er in Brüssel wieder einmal Prinzipen über die üblichen „Hinterzimmermanöver“ gestellt habe. „Wir machen keine zwielichtigen Deals, um das Gesicht zu wahren, wie die vorherige Regierung“, lobte Gesundheitsminister Jeremy Hunt, einer von Camerons engsten Mitstreitern – und warf der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel „Feigheit“ vor, weil sie in der Öffentlichkeit anderes sagte, als hinter verschlossenen Türen. „Als Resultat muss die EU nun sehr viel härter arbeiten, um das britische Volk zu überzeugen, dass Europa es ehrlich mit Reformen meint“.

Cameron will nun unverzüglich ein konstruktives Arbeitsverhältnis mit Juncker aufbauen. Er wird auch die Suche nach einem kompetenten Kandidaten für ein einflussreiches Kommissionsamt beschleunigen. London wird sich auch für einen den britischen Reformwünschen aufgeschlossenen Präsidenten des europäischen Rat einsetzen. Unter den britischen Favoriten ist die dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt, Schwiegertochter des früheren Labourchefs Neil Kinnock.

Nun wohl keine Forderungen nach EU-Referendum

Cameron kann auf Ergänzungen im Brüssler Protokoll verweisen, in denen britische Reformpositionen explizit wahrgenommen werden, insbesondere Großbritanniens Wunsch, von der Verpflichtung auf eine „immer engere Union“ ausgenommen zu werden. Auch eine Überprüfung des Nominierungsprozesses wurde im Protokoll zugestanden, in der die Briten eine Machtverlagerung weg von den Nationalstaaten im europäischen Rat zum Europäischen Parlament sehen, die durch nichts anderes als Opportunismus abgesegnet war.

„Es ging immer um dieses Prinzip, nie um eine Person“, betonte Außenminister William Hague am Sonntag in der BBC. Lord (David) Owen, ein ehemaliger britischer Außenminister, ist so empört über diesen Griff des Europaparlaments nach der Macht und die "schlappschwänzige" Gegenwehr der Staatschefs, dass er Cameron aufforderte, den sogenannten „Luxemburg-Kompromiss“ einzuklagen, nachdem große Nationen nicht überstimmt werden können, wenn „vitale Interessen“ tangiert sind. Owen fordert nun, dass sich das Parlament durch Änderungen der Wahlgesetze für die Europawahlen ein Veto für die Zukunft sichert.

Einige Torys, die aus Bosheit ein sofortiges Referendum fordern wollten, weil sie in diesem Prozess einen Transfer britischer Souveränität an einen heranwachsenden europäischen Superstaat sehen, der in Großbritannien nun nur per Referendum erfolgen darf, werden sich aber zurückhalten: Nach der mutigen Schlacht von Brüssel darf Cameron seine Partei einig in den kommenden Unterhaus-Wahlkampf führen.

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