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In Maiduguri, der Hauptstadt von Borno im Nordosten Nigerias, ist nach Angaben der Ärzte ohne Grenzen jedes fünfte Kind unterernährt. Dieses Kind gehört allerdings zu den Opfern eines versehentlichen Luftangriffs der nigerianischen Armee auf ein Flüchtlingslager nicht weit von Maduguri entfernt. 150 Menschen wurden dabei getötet.

© Stefan Heunis/AFP

Nigeria: Wirtschaftskrise verschärft Konflikte in Nigeria

Im bevölkerungsreichsten Land Afrikas führt der sinkende Ölpreis zu immer mehr Konflikten. Die Terrormiliz Boko Haram ist längst nicht besiegt – und Bauern liefern sich mit Hirten tödliche Kämpfe.

Es ist mit rund 180 Millionen Einwohnern das mit Abstand bevölkerungsreichste Land Afrikas – und befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise. Nigeria kämpft mit den niedrigen Ölpreisen und tut sich schwer damit, seine Ölabhängigkeit zu überwinden. Knapp zwei Jahre nach dem Amtsantritt des Präsidenten Muhammadu Buhari, der aus dem Norden kommt, stellen seine Anhänger zudem langsam fest, dass auch er keine magische Formel findet, um die Vielzahl der Probleme im Land mit immer weniger Staatseinnahmen zu lösen. Seine Gegner wiederum fühlen sich bestätigt. Die wirtschaftlich-politische Krise setzt Fliehkräfte im gesamten Land frei.

Die größte Not herrscht weiterhin im Nordosten des Landes, vor allem im Bundesstaat Borno, dem Zentrum der Auseinandersetzung mit der islamistischen Terrormiliz Boko Haram. Dort sind nach Angaben des Nothilfe-Koordinators der Vereinten Nationen, Stephen O’Brian, rund 8,5 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen, 7,1 Millionen von ihnen stehen an der Schwelle zum Hunger. Das sagte O’Brian unlängst im UN-Sicherheitsrat, wo er dringend um mehr Geld zur Bewältigung der Krise bat. In der Region rund um den Tschadsee sind demnach rund 10,7 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen. Die militärische Auseinandersetzung mit Boko Haram und die Anschläge der Terrortruppe haben rund 2,4 Millionen Menschen in die Flucht geschlagen. Seit dem Beginn des Krieges 2009 sind mindestens 20 000 Menschen getötet worden.

Vom Wahlsieg des Präsidenten Muhammadu Buhari haben sich die Nigerianer mehr erhofft, als er tatsächlich erreichen kann. Die Enttäuschung ist groß.
Vom Wahlsieg des Präsidenten Muhammadu Buhari haben sich die Nigerianer mehr erhofft, als er tatsächlich erreichen kann. Die Enttäuschung ist groß.

© Sunday Alamba/dpa

Zwar hat Präsident Buhari Boko Haram als „militärisch besiegt“ erklärt, als die Armee nach eigenen Angaben den Sambisa-Wald, das wichtigste Rückzugsgebiet für die Terroristen, erobert hatte. Doch zwei Wochen nach dieser Erfolgsmeldung – pünktlich zu Weihnachten – meldete sich der Anführer von Boko Haram, Abubakar Shekau, per Video zurück und kündigte an, der Krieg sei noch lange nicht vorbei. Die Zahl der Selbstmordanschläge ist weiter hoch. Seit Sommer 2014 hat Boko Haram damit begonnen, Frauen und junge Mädchen als Selbstmordattentäterinnen loszuschicken. Ob sie sich dem Aufstand mehr oder weniger freiwillig anschließen oder dazu gezwungen werden, ist nicht immer klar. Die International Crisis Group schreibt in einem aktuellen Bericht über Frauen und Boko Haram, dass die Grenze zwischen „Sympathisantinnen der Militanten und erzwungenen Komplizinnen fließend verläuft“. Das ist auch das Hauptproblem der Frauen und Mädchen, die Boko Haram entkommen konnten oder von der Armee befreit wurden. Selbst die wenigen zurückgekehrten Chibok-Girls – 276 junge Mädchen, die im April 2014 aus einer Schule in Borno entführt worden sind und von denen knapp 70 inzwischen wieder bei ihren Familien sind – spüren dieses Misstrauen. Rund 7000 Frauen und Mädchen sind den Islamisten von Boko Haram in die Hände gefallen. Sie wurden missbraucht, versklavt und zwangsverheiratet. Wenn sie zurückkehren, gelten sie ihren Angehörigen meist als Boko-Haram-Unterstützerinnen und können dem Stigma kaum entgehen.

Klimawandel, Bevökerungswachstum,Wassermangel

Noch schlimmer als der Konflikt mit Boko Haram sind die Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Hirten im ganzen Land. Bei Angriffen von Fulani-Hirten auf Dörfer sowie von Bauern auf Hirtenlager und ihre Herden sind 2016 nach Angaben des Risiko-Beratungsunternehmens SBM Intelligence in Lagos 1895 Menschen getötet worden. Die steigenden Bevölkerungszahlen, die Abholzung der Wälder, das Schrumpfen des Tschadsees und dazu der Klimawandel haben diese Art von Konflikten massiv verschärft. Es geht um Wasser, Weideflächen und Ackerland, also um die Existenz der Bauern und Hirten.

Angriffe auf Ölförderanlagen nehmen wieder zu

Doch auch im Süden des Landes steigt die Unruhe. Seit 2015 sind wieder verstärkt Anhänger eines unabhängigen Staates Biafra im Südosten Nigerias aktiv. Zur Amtseinführung des US-Präsidenten Donald Trump gingen sie zu Tausenden auf die Straße, um seinen Sieg über das Establishment zu feiern. Bei den Demonstrationen wurden elf Menschen von Polizisten erschossen und mindestens 65 Menschen verhaftet, berichteten nigerianische Medien. Und auch im notorisch unruhigen Nigerdelta, dem Zentrum der Ölproduktion, haben die Angriffe auf Ölförderanlagen wieder zugenommen.

Die vorhergehende Revolte im Niger-Delta, als die Milizen der MEND gegen die Zentralregierung opponierten, ist mit Geld gelöst worden. Die ehemaligen Milizionäre holen sich jeden Monat einen Scheck ab - und verzichten dafür auf Gewalttaten. Damit will sich die neueste Miliz, die Niger-Delta-Avengers, nicht zufrieden geben. Zumal sie zu jung sind für das Arrangement, das 2009 zu einer vorrübergehenden Befriedung geführt hatte. 2016 sank die Ölförderung in Nigeria jedenfalls auf den niedrigsten Stand seit 1994.

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