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Politik: Nirgendwo ein Godesberg

Von Ursula Weidenfeld

Sozialdemokraten des linken und des rechten Flügels haben gestern beteuert, wie sehr ihnen doch an der sozialen Marktwirtschaft gelegen ist. Sie haben sich bei ihrem Kapitalismuskongress zugerufen, dass Markt und Sozialdemokratie kein Widerspruch sein müssen. Sie haben Treue zum Reformprogramm versprochen und einen starken Staat herbeigesehnt. Dennoch, nach dem Treffen kann es keinen Zweifel geben: Es ist das ungeklärte Verhältnis der Sozialdemokraten zur Wirtschaft, zum Markt, zum globalen Wettbewerb, das die Partei vor ihrem eigenen Wahlvolk spaltet, das sie auseinander treibt, das neue und alte Feindschaften eskalieren lässt.

Früher hieß die Chiffre Godesberg. Die Hinwendung zur Marktwirtschaft auf dem Godesberger Parteitag – für die SPD war es die letzte Gesinnungsprüfung ökonomischer Art, die sie sich kollektiv auferlegte. Keine wirtschafts und sozialpolitische Neubesinnung und Neubestimmung hat die Partei danach noch durchdrungen. Nicht die heiße Zuversicht der 70er Jahre, das Wachstum steuern zu können, nicht die Vernunft eines Helmut Schmidt. Nicht die auffahrende Weltwirtschaftspolemik des Oskar Lafontaine, nicht das falsche Pathos eines modernistischen Schröder-Blair-Papiers. Sie alle erreichten Teile der Partei, mal die Linken, mal die Mitte, mal die Konservativen, mal die Hedonisten, mal die Asketen. Und so war die Wirtschaftspolitik: ein atemberaubendes Mal-so-mal-so.

Bis zur Agenda 2010, bis zur Reform des Arbeitsmarktes, die vor drei Jahren begann. Gerhard Schröder, damals Kanzler und Parteivorsitzender, schuf die neue Chiffre, mit einer parteiübergreifenden Reformkommission und den anschließenden Reformgesetzen: Hartz. Es sind nicht einmal deren fundamentale Inhalte, die die aktuelle Dekonstruktion der Regierungspartei bedingen. Es sind handwerkliche Fehler und Unschärfen, an denen die SPD nun irre wird.

Die gröbste Unschärfe: Die Hartz-Reformen sind zum allergrößten Teil Regelungen, die nur im Aufschwung wirken können. Die bessere Vermittlung von Arbeitslosen, Ich-AGs, weniger Kündigungsschutz für Ältere, Personal-Service-Agenturen: Das alles greift nur, wenn neue Arbeit da ist. Den Aufschwung aber können sie nicht schaffen. Das haben wenige begriffen bei den Sozialdemokraten. Und die, die es begriffen haben, haben es verschwiegen. Fünf Millionen Arbeitslose im Januar – das traf mitten ins Herz der Sozialdemokratie, zerstörte die Glaubwürdigkeit der Reformpolitik. Das ist die Schuld derer, die es gewusst – und verschwiegen haben.

Dazu kommen die handwerklichen Fehler des Reformwerks. Die Arbeitsgemeinschaften, in denen sich Kommunen und Arbeitsämter zusammen um die schwierigsten Fälle kümmern – eine Missgeburt. Dass die Arbeitsagentur den größten Teil ihrer Ausgaben nicht kontrollieren kann, weil es die Hoheit von Städten und Gemeinden verletzen würde – absurd. Daran haben nicht allein die Sozialdemokraten Schuld. Sondern die, die die Vorhaben im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat so zugerichtet haben, dass sie nicht mehr funktionieren können.

Die Erwartungen eines verunsicherten Landes an einen eigenen sozialen und marktwirtschaftlichen Grundlagen wird jede Regierung neu klären müssen. Nur: Die SPD verzweifelt daran. Die Agenda 2010 ist nicht gescheitert, weil Rot-Grün daran scheitert. Eine neue Regierung wird kaum dahinter zurückregieren können. Wenn sie klug ist, wird sie es auch nicht wollen.

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