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Politik: Nobel ist anders

Von Lorenz Maroldt

Seit fast 50 Jahren haben die beiden großen Berliner Hochschulen, HumboldtUniversität und Freie Universität, keinen eigenen neuen Nobelpreisträger mehr feiern können. Stattdessen streiten die Präsidenten über die alten. Wem sollen sie zugerechnet werden, die 29 Einsteins, Mommsens, Plancks? Beide Unis sind nach dem Krieg gegründet worden, oder, wie sie es selber sehen: wiedereröffnet worden, in der Tradition der alten Berliner Universität von 1810. In der Selbstdarstellung trennt sie je nur ein Komma von der Vorgängerin. Als „Mutter aller modernen Universitäten“ bezeichnen sich die Humboldtianer, und in Dahlem zitieren sie den letzten Kaiser, der „ihren“ Campus, die bereits damals im Westen Berlins liegenden Institute der Berliner Universität, das „Oxford Deutschlands“ nannte.

Der Streit um die Nobelpreisträger mutet kurios an, zumal die Präsidenten auch solche Wissenschaftler auf ihre Liste nehmen, die, wie Einstein, zwar Vorlesungen an der Berliner Universität hielten, aber anderswo forschten; Einstein zum Beispiel am damaligen Kaiser-Wilhelm-Institut. Aber Tradition und damit Image ist wichtig in der weltweiten Wissenschaftskonkurrenz. Wer die Geschichte hat, dem gehört die Zukunft. Deshalb wird jetzt auch an der FU erwogen, in fünf Jahren Geburtstag zu feiern: nicht den zweiundsechzigsten, sondern – den zweihundertsten. Unter den Linden, an der HU, hat man dieses Datum schon lange im Blick. Dass es den Hochschulen ernst ist mit ihrer Geschichte, zeigt sich auch daran, dass beide die Verantwortung für den Universitätsbetrieb im Dritten Reich anerkennen. Das macht, nebenbei, fünf Nobelpreisträger mehr.

Man könnte die Präsidenten ihren Konkurrenzkampf ungerührt, amüsiert ausfechten lassen, würde nicht die hiesige Politik behaupten, die Zukunft der Stadt liege in Wissenschaft und Forschung. Die Uneinigkeit schwächt den Universitätsstandort Berlin. Aber auch die Politik trägt wenig dazu bei, aus der Vision eine Version zu machen. So legte gerade die Kommission „Eine Zukunft für Berlin“ ein Papier voll vager Man-müsste-mals vor. Immerhin regte sie eine „University of Berlin“ an, quasi ein Dachorganisation. Dieser nicht ganz neue Gedanke ist allerdings zu interessant, um ihn einer Kommission zu überlassen. Doch zur weiteren Entwicklung bräuchte man einen Wissenschaftssenator. Der derzeitige hat zu viel mit seinem Hauptberuf, der Kultur, zu tun. Ein eigenständiger Hochschulsenator wiederum kann nicht ernannt werden, weil die alte große Koalition in kurzsichtigem Aktionismus die Zahl der Senatoren verfassungsfest verknappt hat. Also müsste der Regierende Bürgermeister ran, auch bei der Suche nach einem herausragenden Kandidaten für den bald vakanten Posten des HU-Präsidenten. Macht er was?

Klaus Wowereit hat es gerade auf die Titelseite des amerikanischen Magazins „Time“ geschafft, begleitet von einem netten Artikel. Das ist schön für die Stadt. Berlin ist eine Attraktion, Wowereit auch. Aber wie nachhaltig, wie substanziell ist das? Wenn die Zukunft der Stadt in Wissenschaft und Forschung liegt, dann muss die Kraft hier konzentriert werden. Nicht die Konkurrenz untereinander darf dann im Mittelpunkt stehen, sondern die Konkurrenz zu anderen Städten, auch in anderen Ländern. Gemeinsam sind die Hochschulen Berlins stark und stärker – national, international. Vielleicht schafft es eine von ihnen ja sogar mal auf den Titel von „Time“. Das wäre dann richtig gut – für Berlin.

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