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Roland Wöller

© picture-alliance/ dpa

Sachsens Kultusminister Roland Wöller: „Noch immer entscheidet Herkunft über Chancen“

Sachsens Kultusminister Roland Wöller über die Versäumnisse seiner Partei bei der Bildung, die Pisa-Sieger und die Rolle des Bundes.

Nach der jüngsten Pisa-Studie erneuern SPD und Grüne ihre Forderung, das Kooperationsverbot zu kippen, das dem Bund weitgehend Finanzhilfen in der Bildungspolitik der Länder untersagt. Zu Recht?

Ich halte schon das Wort für einen Fehlgriff – wer wäre schließlich gegen Kooperation? Das Engagement des Bundes hat viel Positives bewirkt; wir haben zum Beispiel durch das Ganztagsschulprogramm gute Fortschritte gemacht. Andererseits frage ich mich, wo Sachsen heute stünde, wenn es eine bundesweite Einheitsschulpolitik gegeben hätte: sicher nicht auf Platz drei des internationalen Pisa-Vergleichs in Mathematik und Naturwissenschaften. Das haben wir geschafft mit einem hohen Anteil der Mint-Fächer an der Stundentafel insgesamt, an Gymnasien sind Physik, Biologie und Chemie bis zum Abitur Pflichtfächer. Bildungsföderalismus ist kein Selbstzweck, er ist ein Wettbewerb um die besten Lösungen. Auch da, wo er wehtut. In Sachsen haben wir schmerzhaft gezeigt bekommen, dass der Englischunterricht im Land noch besser werden muss. Aber so entsteht heilsamer Druck. Der Bildungsföderalismus hat sich im Grundsatz bewährt.

Im Grundsatz – mit welchen Defiziten?
Wir müssen stärker als bisher zusammenarbeiten und uns gemeinsam auf Bildungsqualität und verbindliche Prüfungsaufgaben verpflichten. Die Länder dürfen keinen Flickenteppich unterschiedlichster pädagogischer Ansätze und Qualitätsstandards ausbreiten; es darf nicht länger sein, dass Eltern Angst vor einem berufsbedingten Umzug haben müssen, weil ihre Kinder sich in einem völlig anderen Schulsystem zurechtfinden müssen. Sachsen und Sachsen-Anhalt haben jetzt einen Anfang gemacht. Wir wollen 2013 in Deutsch und Mathematik gemeinsame Aufgaben in der Abiturprüfung stellen.

Wo bleibt da die Rolle des Bundes?
Der Bund muss im Spiel bleiben. Es gibt eine gesamtstaatliche Verantwortung von Bund und Ländern in der Bildungspolitik, und ich bekenne mich dazu. Der Bund wäre aber falsch beraten, sich in vielen kleinen Einzelprogrammen zu verzetteln. Eine große Aufgabe kann ich mir in der Lehrerausbildung vorstellen. Da brauchen wir Exzellenz, eine viel größere Rolle der pädagogischen Ausbildung schon an der Universität und auch eine frühe kritische Prüfung der Lehramtskandidaten darauf, ob sie für den Beruf wirklich geeignet sind.

Unionsregierte Länder sind in der Regel Pisa-Sieger, in der Bildungsdebatte aber ist die Union eher defensiv. Gibt es so etwas wie christdemokratische Bildungspolitik?
Es stimmt zumindest eines: Wer nach unserem bildungspolitischen Markenkern fragt, bekommt nicht eine, sondern sehr viele Antworten. Da muss die Union noch ein paar Hausaufgaben machen. Der Bildungsbundesparteitag, zu dem die Kanzlerin nach Leipzig eingeladen hat, wird sicher spannend.

Was ist der Markenkern aus Ihrer Sicht?
Die Kultusminister von Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen haben ihn kürzlich in einem gemeinsamen Papier umrissen. Wir setzen auf Differenz im Schulsystem, auf Leistungsorientierung und Berufsbildung. Das steht alles überhaupt nicht im Gegensatz zu sozialer Gerechtigkeit. Sachsen schneidet zum Beispiel im deutschen Vergleich am besten ab, was die Entkopplung von sozialer Herkunft und Schulerfolg angeht. Auch wenn uns das keineswegs befriedigen kann. Es ist schließlich nach wie vor eine traurige Tatsache, dass die Herkunft in Deutschland stärker als anderswo über Lebenschancen entscheidet.

— Das Gespräch führte Andrea Dernbach.

Roland Wöller (40) ist seit 2008 Kultusminister in Sachsen. Mitglied im Landeskabinett ist der Christdemokrat und Professor für Volkswirtschaft seit 2007, zunächst als Umweltminister.

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