zum Hauptinhalt
In Familie. Chodorkowski mit Mutter Marina und Vater Boris am Rande der Pressekonferenz am Sonntag im Berliner Mauermuseum.

© dpa

Chodorkowskis Pressekonferenz: Noch keine Zeit für Zukunft

36 Stunden nach seiner Freilassung hat Michail Chodorkowski in Berlin seine erste Pressekonferenz gegeben – nicht auf alle Fragen hatte er Antworten. Wie präsentierte er sich der Öffentlichkeit?

Das Erste, was man von ihm zu sehen bekommt, sind seine Füße. Ein schwarzes Paar Lederschuhe schreitet die Treppe hinab, die aus dem Obergeschoss des Mauermuseums in den Konferenzsaal führt, es folgen dunkelblaue Hosenbeine, ein weißes Hemd, ein blauer Schlips. Ganz zuletzt taucht ein Gesicht auf, durch das ein merkliches Stutzen geht, als Michail Chodorkowski sieht, was seine Anwesenheit hier auslöst. Gut 400 akkreditierte Journalisten umlagern den Treppenabsatz, draußen vor der Saaltür stehen etliche weitere, die aus Platzgründen abgewiesen wurden.

Chodorkowski fängt sich schnell wieder, auf seinem Gesicht taucht das kontrollierte Dauerlächeln auf, das im Zuge zweier geduldig ausgesessener Gerichtsprozesse zu seinem Markenzeichen geworden ist. Drei Saalordner eskortieren ihn durch die Menge zur Rednertribüne, wo in der ersten Reihe bereits Chodorkowskis Eltern Platz genommen haben, auch sie umlagert von Fotografen und Kamerateams. Kurz wird der Tumult unübersichtlich, Alexandra Hildebrandt, die Museumsleiterin, klagt mit entgleisender Stimme ihr „Hausrecht“ ein. Dann aber legt sich das Chaos, Chodorkowski nimmt Platz, und als er zu sprechen beginnt, zwingt seine leise Stimme den Saal zur Ruhe.

Seine einleitenden Dankesworte – gerichtet an Freunde und Unterstützer, an Hans-Dietrich Genscher, an Angela Merkel, auch an die neben ihm sitzende Alexandra Hildebrandt – verliest Chodorkowski so diszipliniert und fast kühl, wie man das von ihm kennt. Erst als er auf erste Fragen antwortet, schleicht sich ein staunendes Zögern in seine Stimme, als glaube er selbst noch nicht ganz, dass er zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder öffentlich spricht. Was er nun vorhabe, will der erste Fragesteller von ihm wissen. „Ich bin erst seit 36 Stunden in Freiheit“, antwortet Chodorkowski. „Es steht mir noch bevor, meine Zukunft zu planen. Geben Sie mir ein bisschen Zeit.“

Nicht auf alle Fragen hat er schon Antworten

Es wird nicht die letzte Frage im Verlauf der einstündigen Konferenz sein, auf die Chodorkowski keine eindeutige Antwort weiß. Seine unmittelbare Sorge, sagt er, gelte den im Gefängnis verbliebenen Mitarbeitern seines ehemaligen Konzerns Jukos, für deren Befreiung er alles unternehmen wolle, was in seiner Macht stehe. Auch ein Engagement für andere politische Häftlinge könne er sich vorstellen. „Ich möchte nicht, dass meine Freilassung als Zeichen dafür gewertet wird, dass es in Russland keine politischen Gefangenen mehr gibt.“

Deutlich entschiedener erklärte Chodorkowski, was er nicht vorhabe: Ins Geschäftsleben werde er definitiv nicht zurückkehren, auch wolle er nicht um die ihm entgangenen Anteile seines zerschlagenen Konzerns kämpfen. „Glücklicherweise muss ich zum Leben kein Geld mehr verdienen.“ Ebenso wenig, erklärt Chodorkowski, strebe er eine politische Betätigung an, und er habe diese Absicht auch gegenüber Wladimir Putin zum Ausdruck gebracht. „Der Kampf um die Macht ist nicht meine Sache. Betätigen will ich mich nur gesellschaftlich.“

Auffällige Zurückhaltung bei Äußerungen über Putin

Für viele in Russland, die auf eine politische Rolle Chodorkowskis gehofft hatten, dürften diese Worte eine herbe Enttäuschung sein. Ähnlich dürfte eine junge russische Journalistin empfinden, die in ihrer Wortmeldung erklärt, aktiv an den Straßenprotesten gegen Putins Wiederwahl teilgenommen zu haben. Welchen Rat er den jungen Demonstranten geben könne, will sie von Chodorkowski wissen. „Sie sind Helden für mich“, ist die Antwort, „aber ich maße mir nicht an, ihnen etwas raten zu können.“ Fast identisch fällt die Antwort auf die Frage aus, wie der Westen mit Putin umgehen solle. „Es wäre vermessen, erfahrenen deutschen Politikern Ratschläge für den Umgang mit einem derart schwierigen Menschen zu geben.“ Ansonsten äußert sich Chodorkowski über Putin mit auffälliger Zurückhaltung. „Für Hass oder Rachegefühle gibt es keinen Platz“, antwortet er auf eine entsprechende Frage. Zugleich betont Chodorkowski, dass mit seinem Gnadengesuch kein Schuldeingeständnis verbunden gewesen sei. „Damit hätte ich alle Jukos-Mitarbeiter zu Verbrechern erklärt.“ Erst als ihm vor rund einem Monat durch Vermittlung Hans-Dietrich Genschers die Möglichkeit eines Gnadengesuchs ohne Schuldeingeständnis eröffnet wurde, habe er unterschrieben.

Fluchtartige Ausreise

Eher rätselhaft klingen Chodorkowskis Erklärungen zu den Umständen seiner fluchtartigen Ausreise nach Deutschland. Um zwei Uhr nachts, erzählt Chodorkowski, sei er am vergangenen Freitag vom Lagerdirektor geweckt worden, mit der Mitteilung, dass er frei sei. Es folgte der eilige Transport im Helikopter zum Flughafen Sankt Petersburg, wo Chodorkowski in das deutsche Privatflugzeug umstieg, das ihn nach Berlin flog. Dass die Reise nach Deutschland führte, habe er selbst allerdings erst begriffen, als sich die Türen des Flugzeugs hinter ihm schlossen. Ähnlich hatte sich Chodorkowski bereits vor der Pressekonferenz in einem Exklusivinterview mit dem russischen Oppositionsfernsehsender „Doschd“ geäußert. Dort erklärte er auch, ihm sei bewusst gewesen, dass sich seine kranke Mutter zum Zeitpunkt seiner Freilassung nicht in Berlin befand, sondern in Russland. Offen bleibt damit, aus welchem Grund und auf wessen Veranlassung Chodorkowski nach Deutschland gebracht wurde. Wollte Putin ihn außer Landes haben? Bestand Genscher auf seiner Ausreise, über Chodorkowskis Kopf hinweg? Nicht in alle Details der Abmachung sei er eingeweiht gewesen, versichert Chodorkowski bei der Pressekonferenz mehrfach, und es klingt glaubhaft.

Auch über seinen zukünftigen Aufenthaltsort scheint er sich bisher nicht im Klaren zu sein. Sein deutsches Visum sei ein Jahr lang gültig, antwortet er lächelnd auf eine entsprechende Frage, alles weitere werde sich zeigen. Vorab kursierende Gerüchte, dass sein eigentliches Reiseziel die Schweiz sei, bestätigt er nicht, auch zu einer möglichen Rückkehr nach Russland äußert er sich nur vage. Zwar habe ein Sprecher des Präsidenten versichert, dass seinem Aufenthalt in Russland nichts im Wege stehe. „Aber Garantien, dass man mich nach einer eventuellen Rückkehr wieder ins Ausland reisen lassen würde, habe ich nicht“, sagt Chodorkowski.

Nach fast genau einer Stunde beendet Alexandra Hildebrandt die Konferenz. Vereinzelt wird applaudiert, unter den russischen Journalisten deutlich leidenschaftlicher als unter den deutschen. Chodorkowski kämpft sich zurück durch die Menge, gibt lächelnd ein paar Autogramme, dann verschwindet er, wie er gekommen ist, über die Treppe. Die Füße sind das Letzte, was man von ihm sieht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false