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Nordkorea droht mit einem Atomkrieg. Ob das Land wirklich dazu in der Lage ist, ist unklar. Dieses Bild entstand bei einer Militärparade im Jahr 2011.

© dpa

Droht der Atomkrieg?: Nordkorea auf Konfrontationskurs

Seit Tagen verkündet das Regime in Nordkorea Variationen der gleichen Botschaft: Wir sind bereit für einen Atomkrieg. Nun aber wird es ernst, anscheinend wurde am Freitag die zweite Mittelstreckenrakete in Position gebracht. Während alle Welt die Drohungen zu deuten versucht, winken Südkoreaner entspannt ab.

Lachen. Das ist das Erste, was man an diesem Donnerstag aus Südkorea hört. Lars-André Richter, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul, isst gerade in einem Restaurant zu Abend, als ihn der Anruf der Journalistin aus Deutschland erreicht. „Hören Sie“, sagt er und hält sein iPhone in den Gastraum. Lachen. Gläserklirren. Stimmengewirr. „Hier ist alles normal. Angst hat hier keiner.“ Angst vor einem Atomkrieg, Angst vor einem Angriff Nordkoreas. „Die Menschen denken eher so etwas wie: ,So sind sie halt die Nordkoreaner.’“

Angst haben hingegen Richters Freunde in Deutschland. „Sitzt Ihr schon auf gepackten Koffern?“ schrieb ihm gerade ein Freund per E-Mail. Richter lebt seit einem Jahr in Seoul. Ans Kofferpacken hat er seitdem nicht gedacht. Auch nicht in den vergangenen Tagen.

Seit einer guten Woche schickt das nordkoreanische Regime Variationen derselben Botschaft in die Welt, der Inhalt: „Nordkorea ist bereit für den Atomkrieg.“ Mittwoch klang die kriegerische Rhetorik sogar noch ein wenig schriller: „Der gnadenlose Einsatz unserer revolutionären Streitkräfte ist endgültig untersucht und genehmigt“, verkündete die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA am Abend. Und Nordkorea beließ es nicht bei der Botschaft. Nach Angaben aus Seoul wurde offenbar eine zweite Mittelstreckenrakete an die Ostküste verlegt. Pjöngjang habe am „Anfang der Woche“ insgesamt zwei Raketen per Zug zu seiner Ostküste gebracht und sie auf mobilen Abschussrampen installiert, berichtete die Nachrichtenagentur Yonhap am Freitag unter Berufung auf einen südkoreanischen Regierungsvertreter. Das Verteidigungsministerium in Seoul, das am Donnerstag die Verlegung einer Mittelstreckenrakete bestätigt hatte, äußerte sich zunächst nicht dazu. Den Südkoreanern wurde bereits Stunden vorher auch der Zugang zur Sonderwirtschaftszone Kaesong versperrt, einem Industriepark, der zehn Kilometer hinter der Grenze auf nordkoreanischem Gebiet liegt, und das einzige gemeinsame Projekt zwischen dem Norden und dem Süden ist.

Der Konflikt mit Nordkorea ist weltweit Thema

Während Lars-André Richter ängstliche Nachrichten aus Europa erhält, beantwortet Lee Eun Jeung, Professorin für Koreastudien in Berlin, verwunderte Briefe aus Südkorea. Donnerstag schrieb ihr etwa eine Freundin: „Was ist denn bei euch los?“ Sie verstehe die ganze Aufregung in Europa nicht und wundere sich, wieso die Welt sich plötzlich vor einem Atomkrieg in Korea fürchte.

Lee Eun Jeung telefoniert jeden Tag mit ihrer Familie in Südkorea. Die aktuelle politische Situation war in den vergangenen Wochen kein einziges Mal Thema. „In Südkorea sind wir seit Jahrzehnten an die Drohungen aus dem Norden gewohnt. Keiner wundert sich über die Nachrichten.“

Das bestätigt Lars-André Richter: „In den Mittagspausen und beim Kaffee ist der Konflikt zwar immer wieder Thema – aber so wie bei uns ein wichtiges politisches Ereignis. Mehr nicht.“ Anders sei das unter den Ausländern, die in Südkorea lebten. „Die machen sich mehr Sorgen, weil sie aus ihren Heimatländern ein anderes Bild bekommen.“

Auch die Zeitungen in Südkorea berichteten auf ihren Titelseiten zwar in den vergangenen Tagen über die Drohungen aus Nordkorea. Aber in den sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook spiele der aktuelle Konflikt kaum eine Rolle, sagt Professorin Lee. Auf einer Hitliste der beliebtesten Themen landete er auf Platz neun. An erster Stelle stand in den vergangenen Tagen der neueste Klatsch über einen Fußballstar.

Und in den Supermärkten, am Flughafen und am Bahnhof ist es laut und hektisch – wie immer. Die Menschen hamstern nicht und sie wollen nicht das Land verlassen. Bei früheren koreanischen Konflikten war das schon anders.

Auch Seouls Büroangestellte arbeiten gerade wie jeden Tag: von früh morgens bis spät in die Nacht; südkoreanische Kinder gehen in die Schule, Studenten besuchen tagsüber ihre Vorlesungen und ziehen abends durch Clubs und Bars. Alles ist also ganz normal in Südkoreas Hauptstadt.

Obama ist an Südkoreas Seite, aber besonders engagiert ist er nicht

„Theoretisch ist natürlich alles möglich, aber wir hatten solche Situationen einfach schon viel zu oft, deshalb macht sich kaum jemand ernsthaft Sorgen. Schließlich haben Nord- und Südkorea nie einen Friedensvertrag geschlossen. Genau genommen war der Krieg also nie ganz zu Ende“, sagt Bang Sung Jo, der in Seoul für einen multinationalen Pharmakonzern arbeitet und der vor seinem Eintritt ins Berufsleben wie alle jungen Südkoreaner rund zwei Jahre als Wehrdienstleistender in der Armee verbracht hat. „Dieses Mal sind die Drohungen massiver“, sagt er. Aber da weder China noch Russland Nordkorea unterstützten, halte er es für unwahrscheinlich, dass sie wahr gemacht werden.

Und in Südkorea gilt es als Gewissheit, dass Nordkorea technisch gar nicht in der Lage wäre, einen Krieg zu gewinnen und ohne die Unterstützung Chinas und Russlands ohnehin eine schwache Position hat.

Dass die Menschen in der übrigen Welt das nicht unbedingt so sehen, merkte Bang, als er diese Woche einen Anruf von amerikanischen Kollegen aus der Firmenzentrale in New York bekam, die fragten, ob sie ihre bevorstehende Geschäftsreise nach Seoul nicht besser absagen sollten. Bang beruhigte seine amerikanischen Kollegen und sagte: „Die Situation in Seoul ist nicht vergleichbar etwa mit Israel, wo Selbstmordattentäter eine ständige Gefahr darstellen. Auf den Straßen von Seoul ist jeder sicher.“

Die USA schickt eine Warnung nach Nordkorea - mehr nicht

Der amerikanische Präsident Barack Obama flog dann am Donnerstag nicht etwa nach Kalifornien, um nervöse Bürger zu beruhigen, denen Nordkoreas Drohungen mit einem Atomangriff auf Amerikas Westküste Angst machen könnten. Vielmehr treibt er mit öffentlichen Reden die Reform des Waffenrechts und andere innenpolitische Projekte voran und wirbt nebenbei um Wahlkampfspenden für seine Partei mit Blick auf die Kongresswahl 2014. Die Geschehnisse in Korea haben keinen sichtbaren Einfluss auf seine Tagesabläufe.

Der Konflikt erreicht die Amerikaner hauptsächlich über den täglichen Austausch des Obama-Sprechers Jay Carney mit dem White House Press Corps. Seine Worte lassen darauf schließen, dass die US-Regierung die Kriegsrhetorik für leere Drohungen hält. Es heißt, der junge Diktator Kim Jong Un möchte sich mit den Drohgebärden Respekt unter den Militärs und Volksvertretern verschaffen. Wenn es ihm gelänge, den USA neue Gespräche aufzuzwingen, wäre das ein Triumph.

Dazu ist Obama allem Anschein nach nicht bereit. Er spürt auch keinen öffentlichen Druck zu handeln. Die Bevölkerung nimmt die Drohungen des militärischen Zwergs gegen die Supermacht bisher nicht sonderlich ernst. Nordkorea ist gar nicht in der Lage, sie alle wahr zu machen. Es verfügt über keine Trägerraketen, die mit Atomwaffen das US-Festland erreichen können. Und die permanente Satellitenbeobachtung, sagt Sprecher Carney, lässt auch keine Vorbereitungen auf Attacken gegen US-Stützpunkte in Südkorea oder im Pazifik erkennen.

Die kleinen Machtdemonstrationen der US-Militärs – der Direktflug von zwei strategischen Bombern von den USA nach Korea und zurück sowie die Verlegung von zwei für den Radar unsichtbaren Stealth-Jägern von Japan nach Südkorea – dienten der Warnung. Und auch sie gingen weniger von den USA selbst aus. Die Verbündeten Südkorea und Japan hätten klare Zeichen verlangt, dass sie sich im Fall eines Angriffs auf das Bündnis verlassen können.

Das Volk ist gelassen: Reines Kräftemessen. Aber die Regierung muss mitmachen

Das Volk mag gelassen sein, die Führung in Südkorea hat längst reagiert. In den vergangenen Tagen wurde in Seoul die Polizeipräsenz massiv verstärkt, das Militär ist in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Die Südkoreaner erfahren von den neuesten Drohungen aus Nordkorea wie der Rest der Welt aus den Nachrichten. Nach 60 Jahren Trennung gibt es kaum noch persönliche Beziehungen zwischen Süd- und Nordkoreanern. Das Rote Kreuz organisiert manchmal zum Erntedankfest Chuseok Familientreffen für Südkoreaner, die noch Verwandte im Norden haben – immer dann, wenn die Lage zwischen den beiden Koreas entspannt ist. Noch vor wenigen Wochen veröffentlichte das südkoreanische Wiedervereinigungsministerium Pläne für erneute Familienzusammenführungen in diesem Jahr. Seit den jüngsten Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel liegen diese Pläne allerdings auf Eis.

Professorin Lee warnt davor, Nachrichten über die Stimmung in der nordkoreanischen Bevölkerung ernstzunehmen. „Das ist alles Spekulation. Niemand, der mit Nordkoreanern Kontakt hat, würde die Informationen an die Presse weitergeben. Damit bringt man die Menschen in Lebensgefahr“, sagt sie.

Viele vermuten, Kim Jong Un wolle sich profilieren

Viele Südkoreaner vermuten, dass Nordkoreas junger Machthaber versucht, die massiven Drohungen gegen Südkorea und die USA zu nutzen, um sich innerhalb des kommunistischen Staates zu positionieren und Führungsstärke zu zeigen. Und sie glauben, dass die Drohgebärden auch dazu dienen sollen, das Verhältnis zu Südkoreas neuer Präsidentin Park Geun Hye auszutarieren. Schließlich ist sowohl Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un als auch Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye relativ neu im Amt. Ein Kräftemessen also.

Für die konservative Politikerin Park Geun Hye stellt die Konfrontation mit Nordkorea eine Feuerprobe dar. Bislang führt Park die harte Linie ihres Vorgängers Lee Myung Bak weiter. Sie wählte allerdings deutlichere Worte und drohte Nordkorea mit einer massiven militärischen Reaktion, falls Nordkorea einen Angriff auf südkoreanisches Territorium wagen sollte. Park muss jetzt also einen Balanceakt vollziehen. Sie darf ihre bisherige Position nicht aufgeben und sie muss verhindern, dass ihr nordkoreanischer Kontrahent das Gesicht verliert. Denn wenn das passiert, sind Verhandlungen unmöglich. Von dem Ausgang des Konflikts hängt also auch Park Geun Hyes politische Zukunft ab.

Auf die verwunderte Mail der Freundin in Seoul antwortete die Professorin Lee Eun Jeung in Berlin übrigens: „Die Menschen in Europa können die Zwischenzeilen der Drohungen aus Nordkorea nicht lesen.“ Sie erklärt die rätselhafte Taktik so: Die Machthaber in Nordkorea sprechen in Wenn-dann-Formeln. Und die Menschen in Europa lesen nur das „Dann“ und nicht das „Wenn“. Aber Nordkorea gehe es um das „Wenn“. Das Regime wolle vor allem eine Reaktion hervorrufen. Und weil die in der Vergangenheit ausblieb, werde die Kriegsrhetorik jetzt eben schärfer. „Das ist wie bei Kindern: Wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, schreien sie lauter.“

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