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Politik: Nordrhein-Westfalen: Das süße Gift des Kompromisses

Die Delegierten lassen sich nicht beeindrucken. Obwohl Franz Müntefering durch die Saalmitte zum Podium schreitet und die vielen Kameras seinem Auftritt Gewicht verleihen, setzt der Redner seinen Vortrag ungerührt fort.

Die Delegierten lassen sich nicht beeindrucken. Obwohl Franz Müntefering durch die Saalmitte zum Podium schreitet und die vielen Kameras seinem Auftritt Gewicht verleihen, setzt der Redner seinen Vortrag ungerührt fort. Nur einmal hebt er den Kopf, um Müntefering zuzunicken. Nur wenige Delegierte klatschen. Während der Beifall tröpfelt, verstärkt der Redner seine Kritik an der Parteireform, die der Generalsekretär hier bei den früheren Freunden im Westlichen Westfalen zur Abstimmung stellt.

Natürlich hat sich Müntefering schon auf dem Weg nach Hagen informieren lassen, er weiß, dass er in seinem Heimatbezirk einen schweren Stand haben wird. Am frühen Morgen war er bei den Parteifreunden in Ost-Westfalen-Lippe, die haben ihn überwiegend freundlich aufgenommen, während die Genossen in Hagen bis auf wenige Ausnahmen auf die Reform schimpfen. "Die Leitlinie der Partei kann nicht die Zentralisierung von Macht sein", hatte Joachim Poß, Chef des gastgebenden SPD-Parteibezirks Westliches Westfalen, am Morgen die Kritik intoniert und damit die Stimmung der 300 Delegierten getroffen.

"Hier geht es um die Abschaffung einer Parteiorganisation, die in der Vergangenheit Garant für die Erfolge der SPD gewesen ist", spricht einer der Delegierten den Parteifreundinnen und Parteifreunden aus dem Herzen. Der Beifall steigert sich, als er hinzufügt, "unser Franz spielt nicht mit offenen Karten". Der sitzt inzwischen oben auf dem Podium neben seinen früheren Vorstandskollegen, denn vor seiner Zeit als Landeschef war er Vorsitzender des Bezirkes Westliches Westfalen, und oft hat er das Gewicht dieses Bezirkes in die Waagschale geworfen, wenn es darum ging, seine Ideen durchzusetzen. Inzwischen hat sich Müntefering an die Spitze der Reformbewegung in der NRW-SPD gesetzt. Im Kern geht es darum, die bisher mächtigen vier Bezirke im größten Bundesland abzuschaffen und deren Macht auf die Ortsvereine und vor allem auf den Landesverband zu überführen. "Das große Desaster bei der Kommunalwahl, das war nicht nur die Bundespolitik", sagt Müntefering, "wir müssen unsere Struktur verändern". In diesem Punkt hatte ihm Wolfgang Clement immer zugestimmt. Auch der Ministerpräsident befürchtet, dass die Genossen nicht mehr auf der Höhe der Zeit operieren.

In den anderen drei Bezirken - Niederrhein, Mittelrhein und Ost-Westfalen-Lippe - haben die Delegierten den Reformplänen des Landesvorsitzenden Müntefering mit zum Teil überragender Mehrheit zugestimmt. Nur die Westlichen Westfalen sperren sich. Da sie auf dem entscheidenden Landesparteitag am kommenden Wochenende fast die Hälfte der Delegierten stellen, ist ihr Votum nicht unwichtig. Natürlich haben Joachim Poß und seine Mitstreiter inzwischen eingesehen, dass sie die Veränderung nicht mehr stoppen können. Da sie über ähnliche taktische Fähigkeiten wie der Generalsekretär der Bundespartei verfügen, haben sie Kompromissangebote ausgearbeitet. "Wir sind auch für die Stärkung der Ortsvereine und der Landesebene, aber wir glauben weiter an die integrative Kraft der Bezirke in einem Land mit 18 Millionen Einwohnern und über 200 000 SPD-Mitgliedern", sagt er. Er will die Bezirke zwar abspecken, aber eben nicht abschaffen, und für diesen Vorschlag erhält er eine satte Mehrheit. Franz Müntefering hat den Saal zu diesem Zeitpunkt schon verlassen. Vermutlich denkt er darüber nach, mit welchem Zugeständnis er seine Reform noch retten kann.

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