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Politik: Notruf aus dem Chaos

STUDENTENPROTESTE

Von Anja Kühne

Berlins Studentinnen und Studenten verkaufen gebackene „Studienplätzchen“, lassen öffentlich ihr „letztes Hemd“ fallen oder verbringen die Nacht im Schlafsack an der Uni. „Wir sind viele, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!“ rufen sie. Die Studenten haben Fantasie und Organisationstalent. In kurzer Zeit haben sie ansehnliche Internetseiten auf die Beine gestellt, Pressereferenten bestimmt und ihre Seminare auf die Straße verlegt.

Einen Anführer gibt es nicht. Die Aktionen werden von den vielen ins Leben gerufen, die im Alltag der Massenuni zur Passivität verurteilt sind – als Zuhörer in überfüllten und heruntergekommenen Hörsälen. Ihre Gesichter, geschweige denn ihre Namen, wird sich der Professor bis zum Examen nicht einprägen können. Das ist schon seit Jahren so, auch in anderen Bundesländern, in denen Studenten jetzt gegen Kürzungen protestieren wie in Bayern, Sachsen-Anhalt oder Niedersachsen.

In Berlin jedoch begann das Semester mit besonders deprimierenden Ereignissen: Wegen der Sparvorgaben des Senats verhängten die Unis einen umfassenden Numerus clausus. Viele, die gern hier studiert hätten, durften nicht kommen. Wer es doch geschafft hatte, musste sich unter chaotischen Umständen im Immatrikulationsbüro einschreiben; manchmal verhinderte schnell herbeigerufenes Wachpersonal Handgreiflichkeiten.

Die Proteste in Berlin, die vor drei Wochen begonnen haben, sind nicht ideologisch unterlegt. Es gibt keine extremen politischen Forderungen. Die Studentinnen und Studenten reiben sich auch nicht an „Autoritäten“ aus der Generation ihrer Eltern. Sie sind pragmatisch, es geht ihnen um ihre Studienbedingungen. Die sind schon lange desolat. Die Studenten müssen die Zeche für die schweren Fehler und Versäumnisse der letzten Jahre zahlen. Jetzt streicht der Berliner Senat noch einmal 240 Professorenstellen und zehntausend Studienplätze. Das treibt die Studenten zum Protest – zumal alle die Sonntagsreden im Ohr haben: Die Bildung sei Deutschlands wichtigstes Pfund für die Zukunft. So steht es auch im Berliner Koalitionsvertrag.

Der Protest kommt spät. Als der Senat den Unis im Sommer die Daumenschrauben ansetzte, demonstrierten nur wenige. Erst seit die Sparsumme für das eigene Fach spürbar wird, begreifen alle den Ernst der Lage. Dieses späte Erwachen kann man kritisieren. Und die Studenten müssen sich auch fragen lassen, ob ein Boykott der Lehrveranstaltungen wirklich das richtige Protestmittel ist. Schließlich verhindert er vorerst das, wofür sie streiken: das Studium.

Aber die Studenten haben allen Grund sich aufzuregen. Die Politik hat für ihre Zukunft keine Konzepte. Sie will nur sparen, egal, wie viel die Unis leisten. Damit aber ersticken die Politiker die nötigen Hochschul-Reformen im Keim. Viele Studierende wären bereit, Studiengebühren zu zahlen, erst recht nachgelagerte, wenn sie im Beruf stehen. Aber wenn, dann direkt an ihre Alma Mater, die damit die dringendsten Löcher stopfen oder die personelle Betreuung verbessern könnte. Was aber macht der Senat? Er hat das Geld der Langzeitstudenten schon für das Haushaltsloch des Landes eingeplant. Sinnloser können Gebühren nicht erhoben werden. Viele Uni-Dozenten haben monatelang an der Umstellung auf die kurzen, praxisnahen Bachelor-Studiengänge gearbeitet. Vergebens. Die Professoren, die sie für die Betreuung der Studenten glaubten einplanen zu können, werden jetzt einfach weggespart. Auf diese Weise behalten die Bremser Recht: Engagement lohnt nicht.

Der Senat weiß mit den Universitäten nichts anzufangen. Er hat sich für bankrott erklärt wie die ganze Stadt. Die Studenten funken SOS. Hört die Signale!

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