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© dpa

NRW: Affäre Rüttgers: Was ist passiert?

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) wird Käuflichkeit vorgeworfen. Welche Rolle spielte Wüst in NRW?

Rund zwei Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) ein neues Problem: Er soll käuflich sein. Verantworten muss das der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst, weshalb dieser jetzt zurücktrat. Jetzt hat die CDU nicht nur mit sinkenden Umfragewerten zu kämpfen, sondern auch keinen Generalsekretär mehr – dafür aber einen politischen Skandal kurz vor der Wahl.

Was genau ist in NRW passiert?

Es geht um die Glaubwürdigkeit des Ministerpräsidenten. Wer etwa beim CDU-Landesparteitag im Juni 2008 das „Partnerpaket“ drei buchte, durfte nicht nur darauf hoffen, Rüttgers persönlich die Hand zu schütteln, er hatte gleich auch die Möglichkeit, ein Einzelgespräch mit ihm zu führen. Für dieses Paket mussten Unternehmen damals 12 000 Euro an die CDU zahlen. Im Vergleich zum demnächst stattfindenden Parteitag in Münster ist das vergleichsweise günstig: Wer für den 20. März das gleiche Paket gebucht hat, musste dafür 20 000 Euro zahlen. Entsprechende Briefe liegen dieser Zeitung vor.

Noch teurer wird der Kontakt zum Ministerpräsidenten und Düsseldorfer Kabinettsmitgliedern, wenn sich Unternehmen entscheiden, die CDU-Zukunftskongresse zu besuchen. Dort kann man als „Platinsponsor“ für 22 000 Euro nicht nur die Ausstellungsfläche buchen, man hat auch die Gelegenheit, beim Abendessen am besten VIP-Tisch neben Rüttgers zu sitzen. Auch bekommt man bei der Podiumsdiskussion einen günstigen Platz zugewiesen, so dass einen die Kameras besonders häufig einfangen. Das geht aus Dokumenten hervor, die dem Tagesspiegel vorliegen und zeigen, dass diese Praxis bei allen Zukunftskongressen der nordrhein-westfälischen CDU üblich war.

Rüttgers selbst zeigt sich überrascht. Dass er oder Mitglieder seines Kabinetts käuflich sei, hat er empört zurückgewiesen. „Das ist ein absurder Vorwurf“, sagte er. Er hatte Wüst angewiesen, die aktuellen Briefe für den Parteitag zurückzuziehen, Wüst hatte sich schon bei seinem Parteichef in aller Form entschuldigt, bevor er nun zurücktrat. Dass Rüttgers die Praxis nicht gekannt hat, ist unwahrscheinlich. Schon 2004, also ein Jahr vor seiner Wahl, wurde darüber diskutiert, ob die Finanzierung der CDU-Zukunftskongresse nicht über eine Art verdeckter Parteispende laufe. Damals wurden wortgleiche Briefe wie heute an Unternehmer geschickt, auch damals wurde mit der Nähe zu Rüttgers argumentiert. Die Preise lagen aber niedriger: Das VIP-Paket kostete nur 14 000 Euro.

Welche Rolle spielte Wüst in NRW?

Am Ende ging alles ganz schnell. Erst hatte er versucht, Wüst zu halten, indem er ihn kritisierte. Das Nachwuchstalent der Partei war in den zurückliegenden Monaten wegen ganz unterschiedlicher Affären aufgefallen und hatte ständig politischen Ärger produziert. Erst musste Wüst zugeben, dass er die SPD-Landeschefin Hannelore Kraft mithilfe von privaten Videoteams überwachen ließ. Dann wurde bekannt, dass er im Landtag zu hohe Krankenkassenbeiträge kassiert hatte, und schließlich kündigte er zwei langjährigen Mitarbeiterinnen in der Parteizentrale fristlos – was Jürgen Rüttgers’ Ruf als Arbeiterführer zu beschädigen drohte. Weil Rüttgers aber vertraute Mitarbeiter ungern entlässt, hielt er seinem General die Treue; zumal sich die Frage stellt, wer in der heißen Phase des Wahlkampfes die Verantwortung übernehmen kann. Am Dienstagabend trifft sich der Landesvorstand der NRW-CDU zu einer ohnehin geplanten Sitzung. Dabei könnte die Wüst-Nachfolge bereits entschieden werden.

Was unterscheidet Sponsoring von Spenden?

Der Osnabrücker Verfassungs- und Parteienrechtler Jörn Ipsen hält die Entwicklung des Parteiensponsorings für „sehr problematisch“. Es bestehe die Gefahr, dass die Vorschriften des Parteiengesetzes zunehmend umgangen würden. Vom Sponsoring profitieren beide Seiten: Die Partei bekommt das Geld, das Unternehmen, das einen Parteitag oder eine Veranstaltung unterstützt, den steuerlichen Vorteil. Denn während die Spende eines Unternehmens nicht absetzbar ist (das hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt), gilt das Sponsoring als Betriebsausgabe und kann als Werbungskosten steuermindernd geltend gemacht werden.

Die Partei hat neben dem finanziellen noch einen weiteren Vorteil. „Da Sponsoring nicht als Spende verbucht wird, tauchen diese Gelder im jährlichen Rechenschaftsbericht der Partei nicht unter den Spenden, sondern unter den sonstigen Einnahmen auf“, erklärt Ipsen. Und während Spenden über 10 000 Euro mit dem Namen des Gebers veröffentlicht werden müssen (bei Summen über 50 000 Euro sogar unverzüglich), gilt das für Einnahmen aus Sponsoring eben nicht. Durch ein solches Vorgehen ist es also Parteien und Geldgebern möglich, „die im Allgemeinen funktionierenden Regelungen des Parteiengesetzes und auch des Steuerrechts zu umgehen“, wie Ipsen sagt. Insofern dürfte es kein Zufall sein, dass das Vergeben von Ständen gegen Sponsorleistungen in den vergangenen Jahren nach dem Eindruck von Parteitagsbeobachtern zugenommen hat. Sollten die Parteien ihre Praxis nicht zurücknehmen, kann sich Ipsen auch eine Verschärfung des Parteiengesetzes vorstellen, etwa durch ein Verbot von Umgehungsgeschäften. Allerdings gibt er zu bedenken, dass Sponsoring ein recht weiter Begriff sei. Der Fall in NRW sei aber nicht primär ein Problem des Sponsorings. Er hat über das Parteien- und Steuerrecht hinaus eine weitere Dimension. „Wenn es zutreffen sollte, dass direkte Gespräche mit dem Ministerpräsidenten gegen einen bestimmten Betrag an die Partei organisiert werden, dann ist das in hohem Maße bedenklich – und berührt auch die Verfassung“, sagt Ipsen. Denn als Gesprächspartner trete hier nicht der Parteivorsitzende auf, sondern der Ministerpräsident, und das müsse in diesem Zusammenhang schon voneinander getrennt werden. Solche Gespräche habe schließlich nicht die Parteizentrale, sondern die Staatskanzlei zu vermitteln. Für Ipsen ist es irritierend, dass ein staatlicher Amtsträger „über die Partei vermarktet wird, fast schon wie ein Showstar“.

Wie ist die Praxis der Parteien?

Im Unterschied zu dem Angebot der NRW-CDU an Unternehmen, für einen Gesprächstermin mit dem Landesvater zu bezahlen, ist der Verkauf von Werbe- und Ausstellungsflächen bei Bundes- und Landesparteitagen seit Jahren gängige Praxis in allen Parteien. Allerdings gehören Politikerkontakte nicht immer zum Angebot. Ein Sprecher der CSU etwa teilte mit, auf ihren Parteitagen könnten Ausstellungsflächen zu Repräsentationszwecken angemietet werden, Rundgänge von Politikern würden dagegen nicht angeboten. Ziel der Parteien ist, die Kosten einer solchen mehrtägigen Veranstaltung, die mit Saalmiete, technischer Infrastruktur und Veranstaltungspersonal leicht sechs- bis siebenstellige Summen erreichen kann, zu minimieren. Wie es aus einer Parteizentrale hieß, deckt das Sponsoring diese Kosten nicht.

In den Vorräumen der Parteitage finden regelrechte Info- und Eventmärkte statt. Unternehmen, aber auch Verbände und Vereine präsentieren ihre Produkte, bieten Infomaterial an und laden die Parteitagsdelegierten häufig zu Kaffee und Gesprächen ein. Selten machen die Parteien ein Geheimnis daraus, welche Firmen im Vorhof ihrer Parteitage Infostände aufgebaut haben. Werbepartner-Hinweise im Internet sind eigentlich die Regel.

Glaubt man Unternehmen, die an diesen Veranstaltungen teilnehmen, dann liegen die Quadratmeterpreise für solche Parteitagsstände durchaus im Rahmen der Kosten, die ihnen auch bei Fachkongressen entstehen. Eine Chance für politische Einflussnahme erkennen die Unternehmen darin nicht. Dennoch sah bereits im Frühjahr 2001 die vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau eingesetzte Kommission unabhängiger Sachverständiger in ihrem Gutachten zur Parteienfinanzierung auch in der Vermietung von Standflächen bei Parteitagen an Unternehmen eine „moderne Form des Sponsorings“. Dem Bundestag empfahl die Kommission seinerzeit daher, die Entwicklung kritisch im Auge zu behalten.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) kann sich nicht erinnern, vorher von ähnlich gelagerten Fällen gehört zu haben. Dass Parteien bei ihren Parteitagen Stände anbieten und sich das großzügig bezahlen lassen, sei hingegen bekannt. Im konkreten Fall irritieren ihn jedoch die Werbebriefe mit dem Angebot eines Gespräches. „Da erwartet doch jemand eine Einflussnahme“, sagte Thierse dem Tagesspiegel. „Hier wird für etwas bezahlt, was die normale Arbeit eines Politikers ist, nämlich den Bürgern für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen.“

Für Christian Wulff, Ministerpräsident von Niedersachsen und stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, ist die Sponsoring-Affäre von Jürgen Rüttgers „ein kleiner Fehler, der zu einer Affäre aufgebauscht wird“, wie er dem Fernsehsender N24 sagte. Wenn man diese Maßstäbe durchhalte, werde man noch viele Rücktritte erleben.

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