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Politik: NS-Zwangsarbeiterentschädigung: Die Kirchen im Nationalsozialismus - jetzt wollen sie alles aufarbeiten

Mit Überraschung haben am Mittwoch Mitarbeiter der Evangelischen Kirche darauf reagiert, dass Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen beschäftigt waren. Die EKD und ihr Diakonisches Werk hatten, wie berichtet, bereits zugesagt, sich mit zehn Millionen Mark am Entschädigungsfonds zu beteiligen.

Mit Überraschung haben am Mittwoch Mitarbeiter der Evangelischen Kirche darauf reagiert, dass Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen beschäftigt waren. Die EKD und ihr Diakonisches Werk hatten, wie berichtet, bereits zugesagt, sich mit zehn Millionen Mark am Entschädigungsfonds zu beteiligen. Zwar ist bekannt, dass die deutsche Landwirtschaft und Industrie ebenso wie Städte und Gemeinden etwa zehn Millionen Zwangsarbeiter beschäftigt haben. Die Kirchen aber stehen noch am Anfang der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte im Hinblick auf die Ausnutzung von Fremdarbeitern (zu einer Studie des Heimatmuseums Berlin-Neukölln Artikel rechts).

Der Historiker Lorenz Wilkens, Mitarbeiter der Arbeitsgruppe zum Kirchenkampf am Evangelischen Zentrum der EKD, sagte, er habe von einem neuen Forschungsauftrag durch Bischof Wolfgang Huber erst aus der Zeitung erfahren. Offiziell beauftragt worden sei seine Arbeitsgruppe, die seit Jahren die deutsche Kirchengeschichte im Nationalsozialismus erforscht, noch nicht. "Das Thema Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen ist uns vollkommen neu", sagte er. Erich Schuppan, ehemaliger Superintendent in Berlin-Brandenburg und Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenkampf, sieht indes Ansätze für die kirchliche Zwangsarbeiterforschung. Im Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten des Bundesarchivs sei er auf Namenslisten und andere Materialien gestoßen. Es handele sich um Akten, die die sowjetischen Besatzer 1945 in Berliner Archiven beschlagnahmt und in letzter Zeit zurückgegeben hätten. Für Gisela Wenzel von der Berliner Geschichtswerkstatt, die zahlreiche Regionalstudien zu Zwangsarbeit in Berlin vorgelegt hat, ist der kirchliche Bereich Neuland. Alarmierend sei für sie nicht die Nachricht, dass Kirchengemeinden überhaupt Zwangsarbeiter beschäftigten, sondern die Frage, ob die Menschen dort womöglich ebenso schlecht wie etwa in städtischen Lagern behandelt wurden.

Der Archivar des Diakonischen Werkes der EKD, Michael Häusler, kündigte gestern ein "umfassendes Forschungsprojekt in ganz Deutschland" an. Grundlage dazu sei eine Pilotstudie des Hamburger Historikers Harald Jenner über die Diakonie der Nordelbischen Kirche (Hamburg und Schleswig-Holstein). Diese Studie erhielt Häusler gestern in Berlin. Man wolle die Ergebnisse zunächst intern auswerten und sie Ende dieses Monats in Berlin der Öffentlichkeit vorstellen. Für das Gebiet der Nordelbischen Kirche habe Jenner die Beschäftigung von so genannten Fremd- und Ostarbeitern in Diakonissenanstalten und -ausbildungsstätten, Krankenhäusern und Behindertenheimen untersucht und auch erste Zahlen vorgelegt. Für die weitere Forschung sei es bedeutsam, dass nicht in den Diakonischen Einrichtungen selber Dokumente über die Schicksale der zwangsweise Beschäftigten gefunden wurden, sondern in staatlichen Stellen wie der Arbeitsvermittlung, der Krankenversicherung und der Kreisgesundheitsämter. Als erstes Diakonisches Werk hatte kürzlich Württemberg Erkenntnisse zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern öffentlich gemacht. Auch die Bodelschwingschen Anstalten in Bielefeld-Bethel haben Untersuchungen zum Thema Zwangsarbeiter eingeleitet.

Auch die katholische Kirche steht noch am Anfang der Auseinandersetzung mit der Beschäftigung von Zwangsarbeitern. Bis auf den Fall in Berlin - drei katholische Gemeinden sollen Zwangsarbeiter aus dem Neuköllner Kirchen-Lager beschäftigt haben - gebe es zurzeit keine Anhaltspunkte, sagte Rudolf Hammerschmidt, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz. Wenn neue Erkenntnisse zu Tage kämen, werde auf der Herbstvollversammlung der Bischöfe sicher über eine Beteiligung am Entschädigungsfonds neu beraten.

Die Kommission für Zeitgeschichte der katholischen Kirche in Deutschland hat nach Aussage eines wissenschaftlichen Mitarbeiters nur eine Quelle im Zusammenhang mit der Seelsorge an polnischen Zwangsarbeitern gefunden. Auch dem Caritas-Verband liegen keine genauen Erkenntnisse vor. Deren Sprecher Thomas Broch sagte, dass schon vor Jahren die Geschichte des Verbandes in der NS-Zeit im Blick auf eine Beteiligung an der Euthanasie der Nazis erforscht worden sei. "Damals haben sich keine Hinweise auf die Beschäftigung von Zwangsarbeitern gefunden", sagte Broch. Der Verband habe seine Einrichtungen gebeten, erneut Nachforschungen anzustellen.

An den Baukosten der beiden Zwangsarbeiterbaracken auf dem Friedhof V in Neukölln sollen auch die katholischen Pfarreien Sankt Hedwig (Mitte), Sankt Michael (Mitte) und Sankt Matthias (Schöneberg) beteiligt gewesen sein. Bistumssprecher Andreas Herzig berief sich dabei auf Informationen aus der evangelischen Jerusalems-Gemeinde. Generalvikar Roland Steinke werde am heutigen Donnerstag eine Arbeitsgruppe einberufen, die die Fakten zu dem Thema sichten solle. Herzig sagte, dass es schwer werde, den Zwangsarbeitereinsatz mit Dokumenten aus den Archiven der Erzdiözese zu klären. Die Unterlagen seien bei Bombenangriffen weitgehend zerstört worden.

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