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Beate Zschäpe beim NSU-Prozess im Oberlandesgericht München.

© dpa/Marc Müller

NSU Prozess – der 181. Tag: Zeuge verstärkt Zweifel an Sicherheitsbehörden

Im NSU-Prozess hat die Aussage eines rechtsextremen Zeugen erneut Fragen zur Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden aufgeworfen. Enrico S. berichtete, dass sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Chemnitz von 1998 bis 2000 "normal in der Szene bewegt" hätten.

Von Frank Jansen

Im NSU-Prozess wird die Frage immer größer, warum die Sicherheitsbehörden die 1998 in Chemnitz untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nicht aufspüren konnten. Am Dienstag bestätigte ein rechtsextremer Zeuge im Oberlandesgericht München eine frühere Aussage beim Bundeskriminalamt, wonach sich die drei in der sächsischen Stadt  „normal in der Szene bewegt“ hätten und bei einem „wöchentlichen rechten Treff“ anwesend gewesen seien. Er selbst habe Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe 1998 in der Wohnung eines Freundes getroffen, sagte Enrico R. Angeblich wusste er damals aber noch nicht, dass die drei gesucht wurden.

Nach dem Ende des NSU im Jahr 2011 habe man sich in der Szene darüber lustig gemacht, „wie lange die in Chemnitz waren, ohne dass es jemand mitbekommen hat“, sagte Enrico R. Schon bei früheren Zeugenaussagen erschien schwer verständlich, warum Polizei und Verfassungsschutz nicht schon früh Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ausfindig gemacht hatten. Die drei hatten sich im Januar 1998 während einer Razzia der Polizei in Jena abgesetzt. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kamen mit Hilfe von Rechtsextremisten in Chemnitz unter und sollen dort laut Anklage bis etwa Juli 2000 in vier Wohnungen gelebt haben.

In der Zeit überfielen Mundlos und Böhnhardt zudem in der Stadt einen Supermarkt und zwei Filialen der Post. Hätte die Polizei die Untergetauchten in Chemnitz erwischt, wäre die Serie von Verbrechen gestoppt und die grausige Eskalation verhindert worden. Mundlos und Böhnhardt ermordeten vom September 2000 bis April 2007 neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin. Außerdem verübten die beiden Terroristen zwei Sprengstoffanschläge in Köln und mutmaßlich einen in Nürnberg. Auch die Raubüberfälle wurden fortgesetzt, die Bundesanwaltschaft listet insgesamt 15 in der Anklage auf.  

Unterbringung durch damaligen Anführer der Skinheadszene

Enrico R. wusste am Dienstag auch zu berichten, wer die Unterbringung von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz organisiert hatte. Thomas S. habe das „eingerührt“ und ein paar „Jungglatzen“ gesagt, „holt die mal ab“. Bei Thomas S. handelt es sich um einen der damaligen Anführer der rechten Skinheadszene und der sächsischen Sektion der Vereinigung „Blood & Honour“. Enrico R. bekam 1998 auch mit, dass die drei „bei der White-Power-Mandy gewohnt haben“. Damit ist Mandy S. gemeint, sie stellte die Wohnung ihres Freundes Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zur Verfügung. Mandy S. gab das im Februar 2014 bei ihrer Aussage im Prozess auch zu.

Der 45 Jahre alte Enrico R., ein kräftiger Typ mit militärischem Kurzhaarschnitt und heiserer Stimme, antwortete nur ungern auf die Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Der Zeuge ist immer noch Rechtsextremist und scheut auch vor perfiden Auftritten nicht zurück. Auf seiner Facebook-Seite posiert er bei einem Campingzelt mit einer Kopie des eisernen Torbogens der Einfahrt zum KZ Auschwitz. Bei Enrico R. lautet die Inschrift "SAUFEN MACHT FREI".

Unklar blieb im Gericht, was Enrico R. mit Waffen zu tun hatte oder auch noch hat. Die Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben hatten in ihrem Antrag zur Ladung von Enrico R. angegeben, dieser habe über eine scharfe Waffe verfügt und gemeinsam mit einem weiteren Zeugen eine Schießübung gemacht  Der Rechtsextremist beteuerte jedoch, er habe nur eine Gas- und eine Luftdruckpistole besessen.

Nach Enrico R. sagte allerdings ein ehemaliger Freund im Prozess, sie beide hätten in einem Wald in Chemnitz mit einer scharfen Waffe „ein bisschen geschossen“. Robby H. betonte, es sei nicht seine Pistole gewesen. Und der 40-Jährige nannte ein Detail, das kaum Zweifel an der Aussage zulässt, es habe sich um eine scharfe Waffe gehandelt: „Das Ding hatte ’nen ziemlichen Rückstoß, da musste man sich erst dran gewöhnen“. Enrico R., dessen Vernehmung Richter Götzl noch nicht abgeschlossen hatte, muss nun unangenehme Fragen zu Pistole und Schießübung erwarten.

Robby H. präsentierte zudem eine bizarre Biografie als Skinhead und Aussteiger. Schon vor dem Fall der Mauer interessierte er sich für die NSDAP/AO des US-Amerikaners Gary Lauck und den Ku Klux Klan. „Ich war jung und dumm“, sagte Robby H. Im wiedervereinigten Deutschland fuhr er kreuz und quer zu Skinhead-Konzerten, er suchte Kontakt zu NPD und DVU – und er trank heftig. „Ich hab’ damals gesoffen wie ein Loch.“ Beinahe zwangsläufig wurde er kriminell.

Eine Kalschnikow, Handgranaten und "eine Wanne voll Munition"

Robby H. kaufte einem der aus Ostdeutschland abziehenden russischen Soldaten eine Kalaschnikow, Handgranaten „und eine Wanne voll Munition“ ab. „Der Russki hat zu mir gesagt, kriegst alles für 100 Mark, da hab’ ich alles mitgenommen.“ Das Arsenal habe er zum Schutz vor  Ausländern haben wollen. Auf die Frage von Richter Götzl, ob er überhaupt Ausländer kannte, antwortete Robby H. „nein“. Und er berichtete, mit anderen Rechtsextremisten zu einem Flüchtlingsheim gefahren zu sein, um es anzugreifen. Die Polizei konnte die Horde gerade noch stoppen. Ein weiterer Vorfall wurde dann zum Wendepunkt im Leben des jungen Skinheads.

Nach der Geburtstagsfeier eines Freundes und dem Genuss größerer Mengen Alkohol beteiligte sich Robby H. 1993 an einer Schlägerei mit Bundeswehrsoldaten. Im Strafverfahren sagte er sich von der Szene los und belastete den Skinhead-Häuptling  Thomas S., der Rädelsführer gewesen zu sein. Robby H. kam dann im Prozess mit einer Bewährungsstrafe davon. Aber er fürchtete die Rache von Thomas S. und beging die nächste Dummheit.

Da er die von dem russischen Soldaten erworbenen Waffen in einem Steinbruch „versenkt“ hatte, besorgte sich Robby H. 1997 oder 1998 in Dänemark eine Schrotflinte. Er sei zu einem „Typ“ gefahren und habe gesagt, „ich brauch ’ne Wumme“. Und Robby H. wurde offenbar schnell bedient. In diesem Fall habe er die Waffen „zu meinem Schutz vor den Rechten“ gebraucht. Die deutsche Polizei bekam den illegalen Waffenbesitz allerdings bald mit, wieder war eine Strafe fällig. Und Robby H. blieb noch lange alkoholabhängig. Erst 2012 hörte er nach einem Krankenhausaufenthalt mit Operation das Trinken auf.

Mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe will Robby H. nicht in Kontakt gestanden haben, ebenso wenig mit dem  Angeklagten Wohlleben. Dessen Verteidiger hatten wie bei Enrico R. auch die Ladung von Robby H. zum NSU-Prozess beantragt. Die Anwälte wollen nachweisen, dass der Vorwurf der Bundesanwaltschaft nicht stimmt, Wohlleben habe „die Rolle einer steuernden Zentralfigur der gesamten Unterstützerszene“ des NSU eingenommen. Das hat am Dienstag aber nur zum Teil funktioniert. Bei den Aussagen von Enrico R. und Robby H. war nicht zu erkennen, dass Wohlleben geholfen hat, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz zu verstecken. Doch der viel härtere Punkt der Anklage, Wohlleben habe Beihilfe zu neunfachem Mord geleistet, wurde keinesfalls widerlegt. Laut Bundesanwaltschaft hat Wohlleben gemeinsam mit dem Angeklagten Carsten S. die Pistole Ceska 83 beschafft, mit der Mundlos und Böhnhardt die neun Migranten erschossen. Auch wenn bei Enrico R. und Robby H. nun viel von Waffen die Rede war, gab es keinen Hinweis, die beiden hätten irgendeine Verbindung zur Ceska 83 gehabt oder zu weiteren Waffen des NSU.

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