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Gauweiler, der ewige Rebell, wollte sich zum stellvertretenden Parteivorsitzenden wählen lassen.

© reuters

Nürnberger Schlachtfeld: Brisante Bewerbung: Der Euro-Skeptiker scheitert

„Die Finanzwalze bedroht uns!“, rief Peter Gauweiler, ewiger Rebell und grollender Euro-Skeptiker. Er wollte sich beim CSU-Parteitag zum Vizevorsitzenden wählen lassen. Ein Erfolg wäre schon in normalen Zeiten eine Sensation gewesen.

Von Robert Birnbaum

Der Spagat kann schmerzhaft sein, wenn man ihn ohne jede Vorbereitung vollführen soll. Die CSU ist an sich eine recht flexible Partei. Aber diesmal tut es weh. Theo Waigel steht auf dem Podium in der Nürnberger Messehalle und fleht seine Parteifreunde regelrecht an. Hinter ihm an der Wand prangt riesengroß der Wahlspruch, den der Generalsekretär Alexander Dobrindt diesem Parteitag verpasst hat: „Auf BAYERN kommt es an!“ Genau so steht der Spruch da, mit Bayern in Großbuchstaben und Rufzeichen hinten dran. In normalen Zeiten würde man ihn einfach übersehen, die normale Funktionärslyrik halt. Diesmal ist es ein Statement.

Theo Waigel redet gegen das Statement an. „Die CSU hat in schwierigster Zeit, gerade was Europa angeht, Verantwortung übernommen“, ruft der Mann, der der Vater des Euro war. „Als alter Europäer bitt' ich Sie ganz herzlich: Verlassen Sie diese Linie nicht!“ Der Parteitag applaudiert, ein starker Beifall, der den besorgten Ton in Waigels Appell ein wenig übertrieben erscheinen lässt. Aber derselbe Parteitag wird etwas später einem anderen mindestens genauso applaudieren, einem im modischen Trachtenjanker, der sich vorstellen wird als „berufsmäßiger Vertreter der Euro-Skeptiker“. Der Beifall ist in diesen zwei Tagen auf dem Nürnberger Messegelände also eher kein zuverlässiger Indikator. Er ist mehr der Versuch, den Schmerz wegzuklatschen, den der Spagat verursacht.

Der Mann im Trachtenjanker trägt den linken Arm in Gips und ansonsten gerne mal das Herz auf der Zunge. Peter Gauweiler ist gleich von Kameras umringt, kaum dass er am Freitag die Halle betritt. Gauweiler, der ewige Rebell, will sich hier – und wäre schon in normalen Zeiten eine kleine Sensation – zum stellvertretenden Parteivorsitzenden wählen lassen. Gauweiler ist die Verkörperung der euroskeptischen Fraktion. Die hat es in der CSU schon immer gegeben, nur war sie, seit Edmund Stoiber in Brüssel zum guten neuen Europäer konvertiert ist, bisher im Wesentlichen auf den General Dobrindt beschränkt. Gauweilers Kandidatur ist eine Drohung. Direkt bedroht ist Peter Ramsauer, Verkehrsminister und bisher einer der vier Stellvertreter des Parteichefs Horst Seehofer. Wenn der Gauweiler einen rauskegelt, dann den Ramsauer, wegen des regionalen Proporzes, der Frauenquote, Ramsauers bisher außerordentlich unauffälliger Handhabung des zeremoniellen Amtes und wegen des Wahlverfahrens, auf das sich der Parteitag einigt: Jeder wird einzeln gewählt, nur Gauweiler und Ramsauer gegeneinander.

Bedroht ist auch, glaubt man besorgten Stimmen aus dem Hintergrund, die Ausrichtung der CSU. Wenn einer wie Gauweiler seine Position künftig nicht mehr von der Seitenlinie verkündet, sondern aus dem Führungszentrum, „dann verschiebt das die Koordinaten“, sagt einer.

Der intellektuelle Prediger einer „Bavarität“ kann der Euro-Skepsis die Stimme geben, die sie bisher nicht hat. Und die Skepsis ist groß, selbst Waigel räumt ja ein, dass die Menschen verunsichert sind im Land von den Rettungspaketen mit ihren Milliardensummen und von diesem Gefühl, dass die da oben die Sache vielleicht doch nicht im Griff haben. Der Kandidat ist sich der Brisanz seiner Bewerbung bestens bewusst. „Auf dem Schlachtfeld gibt es gelegentlich Verlierer“, sagt Gauweiler. Das klingt so mehrdeutig, wie es gemeint sein dürfte.

Was folgt, ist ein Aufmarsch der bayerischen Europäer. Stundenlang bemühen sich viele Stimmen darum, die eine Stimme zu übertönen, die sich anschickt zur Stimme der Zweifelnden da draußen zu werden. Waigel erzählt von den hunderten Milliarden, die die Bundesbank in einer Zeit als Finanzminister in den 90er Jahren auf den Markt geworfen hat, um britisches Pfund und französischen Franc zu stützen. Macht euch nicht ins Hemd wegen der paar hundert Griechenland-Milliarden, soll das heißen. Die Europaabgeordneten der CSU treten Mann um Frau vor und preisen die Vorteile, die Bayern von Europa habe. Sogar Horst Seehofer weiß die Gemeinschaft gar nicht hoch genug zu loben und die CSU als „die Partei Europas“ zu empfehlen.

Lesen Sie auf Seite zwei, warum Seehofer an den Zauberlehrling erinnert.

Des Widerborstigen Lähmung. Peter Gauweiler wird sich weiter von der Seitenlinie äußern, nicht aus dem Zentrum.
Des Widerborstigen Lähmung. Peter Gauweiler wird sich weiter von der Seitenlinie äußern, nicht aus dem Zentrum.

© REUTERS

Zähne zusammenbeißen und durch: Gauweiler gratuliert Ramsauer zur Wahl.
Zähne zusammenbeißen und durch: Gauweiler gratuliert Ramsauer zur Wahl.

© dapd

Seehofer erinnert dabei stark an den berühmten Zauberlehrling. Er hat die Geister selbst gerufen. Seit Wochen grummelt und poltert er wider die Berliner und Brüsseler Euro-Rettungspolitik. „Bis hierher und nicht weiter“, hat er gerufen, und „rote Linien“ hat er gezogen, zuletzt fast täglich in immer neuen Interviews. Das war der Versuch, sich zum Sachwalter der grassierenden Skepsis gegen die Euro-Rettungspolitik zu machen. Der Versuch hat bisher nicht so richtig funktioniert, weil die gleiche CSU als Koalitionspartei eben diese Rettungspolitik mit trägt. In Berlin sind die Drohungen auf völlige Missachtung gestoßen. In Nürnberg ignoriert Angela Merkel sie auch. Die CDU-Vorsitzende hält der CSU am Freitagabend kurzerhand die gleiche Rede, mit der sie ihrer CDU in der Serie der Regionalkonferenzen ihre Euro-Rettungspolitik gerechtfertigt hat. „Diese Arbeit ist kompliziert, aber es ist unsere Arbeit, die uns auferlegt ist“, sagt Merkel, „es wäre fatal, wenn wir in einer der größten historischen Krisen Europas versagen würden.“ Merkel bekommt mindestens so viel Beifall wie Waigel und Gauweiler, was den Spagat komplett macht.

Kurz vor Merkels Rede haben sie übrigens den Europaleitantrag verabschiedet, einstimmig; wenn schon Spagat, dann alle zusammen. Den Antrag hat Seehofer ursprünglich seinen General Dobrindt entwerfen lassen. Das Ergebnis hat die Europa- und die Bundespolitiker derart auf die Palme gebracht, dass sie ihn mühsam in etwas leidlich Konsensfähiges umformuliert haben. Trotzdem stehen darin immer noch Dinge wie die kaum verdeckte Forderung nach Rauswurf der Griechen aus dem Euro. „Der Antrag als Ganzer ist gut“, hat aber selbst Waigel neulich festgestellt.

Nur nimmt Gauweiler, als er am Freitagnachmittag zu Wort kommt, den Antrag auseinander. Was er als Fazit vorliest, ist nur noch das Widerborstige. Obendrein nimmt er den Vorsitzenden beim Wort. Seehofer hat seine „roten Linien“ nur noch beiläufig erwähnt. Gauweiler zählt jede einzeln auf: Keine „Hebelung“ des Euro-Rettungsschirms durch finanztechnische Tricks – „Massenvernichtungsmittel für den Finanzmarkt“ habe der US-Großinvestor Warren Buffet diese Instrumente genannt. Keine weiteren Schritte über das Beschlossene hinaus: „Man kann sich auf die CSU verlassen!“, ruft Gauweiler.

Seehofer guckt dabei ein ganz kleines bisschen gequält. So ernst war das mit dem Veto ja nun auch nicht gemeint. Außerdem ist der Satz ein verdeckter Frontalangriff auf ihn selbst. Dass der Seehofer heute so und morgen so rede, das eine aber so wenig zu bedeuten habe wie das andere, ist längst resigniertes Gemeingut in der CSU. Sogar Angela Merkel kann es sich straflos leisten, darüber nach ihrer Gastrede als CDU-Chefin zu witzeln: Als Seehofer pathetisch-ironisch festhält, dass CDU und CSU an diesem Freitag um 18 Uhr 23 vollkommen übereinstimmten, murmelt Merkel neben ihm: „Mal sehen, wie’s morgen Mittag ist.“

Vor einem Jahr beim Parteitag hat noch einer im Saal gesessen, der der CSU die Hoffnung wiederzugeben schien, dass Reden und Handeln eins sein könnten. Eigentlich ist er auch diesmal als Delegierter gemeldet. Aber in der Bankreihe für den Kreisverband Kulmbach bleibt ein Stuhl leer. Karl-Theodor zu Guttenberg ist im US-Exil geblieben. Nur zwei Mal kurz wird er erwähnt. Den Hinweis, wem sie es verdanken, wenn demnächst auch in Bayern Kasernen geschlossen werden, kann sich die Kanzlerin nicht verkneifen.

Lesen Sie auf Seite drei, warum die CSU eine vernünftige Partei ist.

Guttenberg, der Erlöser, ist in die Wüste geschickt. Seehofer ist noch da. Sie werden ihn später wiederwählen, nach einer Rede, die man auf den Satz „Auf BAYERN kommt es an“ hätte beschränken können und in deren Verlauf er jeden bekannten sowie ein paar unbekannte Funktionäre namentlich lobt. Seehofer bekommt gut 90 Prozent. Die CSU ist eine vernünftige Partei. Sie wird mit Horst Seehofer als Spitzenkandidaten in zwei Jahren in die Landtagswahl ziehen. Aber sie wird kein gutes Gefühl dabei haben. Die SPD hat Christian Ude zu ihrem Spitzenkandidaten ernannt. Der Münchner Oberbürgermeister ist die erste ernsthafte Herausforderung seit Menschengedenken; der erste, der es schaffen könnte, die gesamte Opposition gegen die CSU zu einen. So viel Angst haben sie, dass Seehofer neulich den Verdrängungskrieg gegen den Koalitionspartner für beendet erklärt und die FDP plötzlich lieb hat.

Gauweiler kommt da immerhin ein bisschen als Ersatzerlöser. Der Mann steht auf Außenseiterpositionen, aber da steht er wenigstens. Die Literaturmuse Gertrude Stein, erzählt er den Delegierten, habe auf die Frage, wie man ein guter Romanautor werde, den Rat erteilt: „Schreibe wahre Sätze.“ Es gebe, sagt ein Zuhörer, in der CSU eine große Sehnsucht nach wahren Sätzen, ernsten, ernst zu nehmenden, ernst gemeinten.

Am Samstagmittag ruft der Sitzungspräsident Joachim Hermann die Kandidaten für den stellvertretenden Parteivorsitz zur kurzen Selbstvorstellung. Gauweiler sagt, er glaube einen Beitrag leisten zu können, dass die CSU in Bayern wieder hervorragende Ergebnisse bekomme. Den Seehofer unterstützen, „von Außenseiter zu Einzelgänger“, das wolle er und gar nichts anderes. Gauweiler, Ihrer Majestät untertänigster Rebell? „Bayern ist ein buntes Land“, ruft er, „das Mausgraue überlassen wir den anderen!“ Er trägt ein graues Jackett. Ramsauer sagt, dass er der Partei schon in vielen Ämtern gedient habe und dass jede Unterstützung für ihn „auch eine Unterstützung unserer bayerischen Belange in Berlin“ sei.

Als eine gute halbe Stunde später das Ergebnis verkündet wird, steht Gauweiler sofort auf und strebt vor zum Präsidiumstisch. Ramsauer, der Mann des Apparats, hat ihn geschlagen. Denkbar knapp, 440 gegen 419 Stimmen, das kommt immer noch einem Ritterschlag für den Unterlegenen gleich. Aber unterlegen ist er.

„Ich vertraue auf die Schwarmintelligenz“, hatte tags zuvor einer aus der Parteiführung gesagt. Die Schwarmintelligenz hat sich auch zu rebellieren nicht getraut. Vielleicht liegt es daran, dass in diesen Tagen selbst einfache CSU-Delegierte in den Zeitungen nicht nur den Bayern- und Lokalteil lesen, sondern einen Blick in den Wirtschaftsteil werfen. Die Ratingagentur Moody’s, konnte man da am Samstag lesen, hat ein paar britische Banken herabgestuft. Spanien, Italien verlieren weiter Reputation an den Märkten. Jeden Monat, hatte Gauweiler dem Parteitag vorgerechnet, jagten die Finanzmärkte 960 Billionen Dollar um die Welt, mehr als das Zehnfache des Jahresbruttosozialprodukts der ganzen Welt. Ein Irrsinn sei das, hat Gauweiler gerufen: „Diese Finanzwalze bedroht uns!“ Viele haben geklatscht. Aber der Gauweiler kann die Walze nicht aufhalten. Die „roten Linien“ des Horst Seehofer können es auch nicht. Sie sind nur im Schaufenster in den Sand gemalt. Schwärme spüren so etwas. Sie überleben in Gefahren nur, wenn sie illusionslos reagieren.

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