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Politik: Nullrunden-Vorschlag für Arbeitnehmer heizt Debatte über Schröders Sparkurs an

BERLIN (Tsp). Über den haushalts- und arbeitsmarktpolitischen Kurs der Bundesregierung ist eine heftige Debatte entbrannt.

BERLIN (Tsp). Über den haushalts- und arbeitsmarktpolitischen Kurs der Bundesregierung ist eine heftige Debatte entbrannt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kritisierte die rot-grüne Koalition. 1999 sei ein "verlorenes Jahr für die Arbeitslosen". Die Ost-Wirtschaftsminister dagegen befürworteten das Sparpaket der Regierung. Die Forderung des rheinland-pfälzischen Regierungschefs Beck nach zwei Nullrunden für alle Arbeitnehmer wurde am Dienstag vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Clement (beide SPD) unterstützt. Dagegen lehnen die Gewerkschaften und der Arbeitnehmerflügel der Union solche Überlegungen als Angriff auf die Tarifpolitik ab. Bundeskanzler Schröder, der heute in Bonn eine Bilanz seiner bisherigen Regierungsarbeit ziehen will, hatte es abgelehnt, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Experten kündigten unterdessen Änderungen am Gesetz gegen Scheinselbständigkeit an.Der Spar- und Konsolidierungskurs der Bundesregierung führe nicht dazu, daß Arbeitslosigkeit abgebaut werde, betonte DIW-Konjunkturexperte Gustav Horn. Auch die Steuerreform habe bislang nicht zu den konjunkturell wünschenswerten Entlastungen geführt. "Das Sparpaket fügt sich in diesen Kurs ein", kritisierte auch DIW-Finanzexperte Dieter Vesper. Die Wirtschaftspolitik sei in der Vergangenheit "dem vorhersehbaren konjunkturellen Rückschlag nicht energisch genug entgegengetreten".Die Wirtschaftsforscher kritisierten aber auch den jüngsten Vorschlag Becks. Löhne nur um die Inflationsrate zu erhöhen, weise in die falsche Richtung. Extreme Lohnzurückhaltung berge die Gefahr der Deflation. Kräftige Unterstützung erhielt Beck dagegen von seinem Parteifreund Wolfgang Clement. Der Düsseldorfer Regierungschef sagte, der Vorschlag Becks sei "absolut richtig". Er habe nicht etwa Lohnleitlinien gefordert, sondern einen Appell "an die Wirtschaft und die Arbeitnehmer genauso wie an den öffentlichen Dienst" gerichtet. Im übrigen sei es "so naheliegend wie nur etwas", wie von Beck angeregt die Tarifentwicklung zum Gegenstand der Gespräche im "Bündnis für Arbeit" zu machen. Die heftige Kritik der Gewerkschaften an diesen Vorschlägen gehöre "zu den Ritualen in Deutschland".Nach Ansicht der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) erschwert der Vorstoß Becks die laufende Tarifrunde im Einzelhandel. Vorstandsmitglied Franziska Wiethold kritisierte die Prognose, wonach durch Nullrunden 300 000 neue Stellen geschaffen würden, als "Milchmädchenrechnung". Der Vorsitzende der Sozialausschüsse der Union, Rainer Eppelmann, sprach im Zusammenhang mit den Äußerungen des Mainzer Regierungschefs von einem "schrecklichen Sündenfall".Gesamtmetall-Chef Werner Stumpfe bezweifelte zwar, daß der Vorschlag Becks "politisch klug war", unterstützte jedoch den inhaltlichen Ansatz. Zugleich lehnte er es im NDR ab, sich auf eine Zahl im Gegenzug neu zu schaffender Arbeitsplätze festzulegen. Auch der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, begrüßte Becks Idee. Er widersprach der Auffassung, damit werde die Binnenkonjunktur abgewürgt.Die Bundesregierung will das umstrittene Gesetz zur Scheinselbständigkeit Anfang kommenden Jahres ändern. Wie der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Siegmar Mosdorf (SPD), dem Tagesspiegel sagte, soll eine entsprechende Novelle nach der Sommerpause in den Bundestag eingebracht werden. Anfang kommenden Jahres könnte das Gesetz dann in Kraft treten. Dabei soll die Novelle auf den Zwischenergebnissen der Expertenkommission zur Scheinselbständigkeit basieren, die am Dienstag bekannt geworden sind. "Wir haben damit die Verunsicherung bei vielen Selbständigen abgebaut", sagte Mosdorf, der der Kommission angehört. Künftig sollen beispielsweise die Sozialversicherungen nur in Ausnahmefällen betroffene Arbeitnehmer als Scheinselbständige einstufen. Existenzgründer sollen unter bestimmten Umständen von dem Gesetz befreit werden.

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