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Politik: Nur für arme Opfer

Die geplante Pension für inhaftierte Gegner des SED-Regimes geht den Betroffenen nicht weit genug

Von Matthias Schlegel

Berlin - „Ich selbst verbrachte acht Jahre und zwei Monate (in Haft), zuerst vier Jahre im sowjetischen Internierungslager, dann mehr als vier Jahre in DDR-Haft“, schreibt ein Betroffener in einem Internet-Kommentar. „Bei meiner Verhaftung war ich 16 Jahre alt. Mein Verschulden: ,Kleben von Plakaten der SPD gegen den Zusammenschluss mit der KPD‘. Zwei mit mir verhaftete junge Menschen starben in dieser Haft.“ Sein Fazit zu der Nachricht, dass sich die schwarz- rote Koalition dieser Tage auf eine Pension für SED-Opfer geeinigt hat, lautet: „Wenn man die Pension jetzt nicht von der Haftdauer, sondern von der Bedürftigkeit abhängig macht, ist das ein Witz.“

Andere greifen zu noch drastischeren Worten. Neben Enttäuschung sind Wut, Resignation und Verdrossenheit die häufigsten emotionalen Reaktionen von Betroffenen auf die Einigung der Koalition über das 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Es sieht vor, dass jedem Verfolgten, der mindestens sechs Monate inhaftiert war und in seiner wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt ist, eine Opferpension von monatlich 250 Euro gewährt wird. Die Bedürftigkeit als Voraussetzung für die Zahlung ergibt sich aus dem Einkommen der Betroffenen: Überschreitet es bei Alleinstehenden den dreifachen Regelsatz bei der Grundsicherung (drei Mal 345 Euro, also insgesamt 1035 Euro) und bei Verheirateten den vierfachen (1380 Euro), gehen sie leer aus. Die Pension soll ohne Anrechnung auf andere Ansprüche – zum Beispiel Haftentschädigungen – gezahlt werden, unpfändbar und unbefristet sein. Union und SPD rechnen damit, dass mit der Regelung rund 16 000 bedürftige Opfer des SED-Regimes erreicht werden.

Unionsvizefraktionschef Arnold Vaatz und Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen hatten die Vereinbarung verteidigt: Damit würden „endlich die materiellen Folgen der Unterdrückung durch das SED-Regime gelindert und der Einsatz und das Handeln für eine rechtsstaatliche und freiheitliche Ordnung angemessen gewürdigt“. Ziel sei es gewesen, so viele Opfer wie möglich zu erreichen.

Der Einigung war ein jahrelanges Zerren um eine Lösung vorausgegangen. Das führte dazu, dass die fiskalischen Rahmenbedingungen immer ungünstiger wurden. In ursprünglichen Überlegungen war es noch um eine gestaffelte Ehrenpension je nach Haftzeit zwischen 150 und 500 Euro gegangen. Und immer wieder waren auch Befürchtungen laut geworden, dass eine neue Ungleichbehandlung heraufbeschworen werden könnte – nämlich gegenüber Opfern des NS-Regimes, die für erlittene Haftzeiten bisher nur in der DDR eine Rente bekommen hatten. Im Westen erhielten sie nur eine einmalige Entschädigung.

Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen sind unzufrieden mit der jetzigen Regelung. Die Union der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft (UOKG) ist „über die niedrigen Opferrenten enttäuscht“. Damit komme es „nicht zum versprochenen Nachteilsausgleich“, sondern es werde „nur die größte Not gelindert“. Die UOKG will in die konkrete Ausarbeitung des Gesetzes einbezogen werden. Auch Anne Kaminsky, Geschäftsführerin der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, sieht „Nachbesserungsbedarf“: Jene, die „von der Stasi zersetzt und – zum Teil bereits als Schüler – in der beruflichen und persönlichen Entwicklung massiv behindert wurden, sollten ebenfalls in die Opfergruppen-Definition aufgenommen werden“.

Mecklenburg-Vorpommerns Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, Jörn Mothes, bezeichnet die angekündigte Opferpension gar als „beschämendes Feigenblatt“. Die Koalition bleibe mit dem geplanten Gesetz „weit hinter dem unbedingt Notwendigen und Machbaren zurück“. Der Erfurter Staatskanzleichef Gerold Wucherpfennig (CDU) sagte, Thüringen bleibe bei seiner Forderung: Alle Haftopfer, die sich gegen den SED-Staat aufgelehnt haben, sollten eine Pension für erlittenes Unrecht erhalten.

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