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Politik: Nur Mut

Von Jost Müller-Neuhof

Viele klatschen, einer nicht. Otto Schily, der bewegt wie alle Zuhörer die Rede Arno Lustigers vergangene Woche im Bundestag verfolgt, bleibt still, als Lustiger fragt: Ist es nicht an der Zeit, dass die Verfassungsrichter ihre Samthandschuhe ausziehen, wenn es um die Feinde der Demokratie geht? Lustiger hatte einen Nerv getroffen. Heute, wo Neonazis in einem Landtag mit demokratischen Mandaten geadelt werden. Wo sie dort reden dürfen, wie es ihnen passt, wo sie demonstrieren dürfen, wo sie wollen. Otto Schily, der für die Richter viel Kritik, für das Gericht als Institution, aber noch viel mehr Respekt übrig hat, weiß, was die Bundesrepublik der Verfassung und ihren Hütern zu verdanken hat. Er weiß, dass es nicht um Samthandschuhe geht. Deshalb rührte er sich nicht.

Es ist paradox: Jeden Satz, der in der Verfassung die Grundrechte des Menschen beschwört, haben die Lehren aus dem Holocaust und dem Schreckensregime der Nazis diktiert. Ihr bis heute folgenreichstes Urteil, mit dem die Richter die Grundrechte zu einer gemeinsamen Wertordnung für alle Bürger heraufstuften, fiel im Namen der Meinungsfreiheit. Diese Freiheit des Grundgesetzes, sie gibt es so nur, weil Deutschland wie kein anderes Land der Welt in Dunkelheit gefangen war. Die Richter tragen keine Samthandschuhe. Nur werden sie jedesmal, wenn sie das Grundgesetz aufschlagen, an etwas erinnert: Wie ein Staat niemals mit Menschen umgehen darf, die er für seine Feinde hält. Doch heute, da sollen sie das alles ein bisschen vergessen und das verlangt ausgerechnet jemand, der das Höllenfeuer selbst durchlitten hat?

Ist es paradox? Freiheit kann Tatenlosigkeit bedeuten, und Tatenlosigkeit ist eine Katastrophe. Sie hat Millionen Juden das Leben gekostet. Lustiger hat Angst, wir würden beides verwechseln, und er hat Recht: Um Freiheit muss gerungen und geredet werden, jeden Tag neu. Freiheit bedeutet Anstrengung, ist Arbeit. Lustigers Worte richteten sich an die Justiz, derweil sich die Politiker mit Vorschlägen überbieten, wie denn die Freiheit der Unerwünschten mit neuen Gesetzen zu beschneiden sei, welche Demos verhindert, welche Reden bestraft, welche Partei verboten werden muss. Nur: Ist das wirklich die Arbeit, die die Freiheit verlangt?

Das Parteiverbot ist kein juristisches, kein Karlsruher Problem. Die Politik muss sich entscheiden, und die will nicht. Der Innenminister hält es für wichtiger, die Partei von Spitzeln beobachten zu lassen, als sie zu zerschlagen. Beides zusammen ist nicht zu haben. Schily hat den Schwarzen Peter dafür nach Karlsruhe geschoben, aber er ist es in Wahrheit selbst, von dem ein neuer Anlauf für ein Verfahren abhängt. Von Verfassungsrichtern darüber hinaus zu fordern, die Grundrechte – wie bei der Frage von Demonstrationsverboten – mit Politik aufzuladen, sei es auch einer guten, ist hoffnungslos.

Bleibt der Gesetzgeber. Soll er die Redefreiheit von Abgeordneten einschränken? Parlamentarier wegen Volksverhetzung zu belangen gelingt nur, wenn sie das Volk verhetzen. Die Provokation mit dem „Bomben-Holocaust“ für die Angriffe auf Dresden und dergleichen reaktionäre Reden werden dafür kaum reichen. Wenn Politiker wie CSU-Generalsekretär Markus Söder den Eindruck erwecken, so hätte der Eklat in Sachsen vermieden werden können, täuschen sie uns. Die Nazis bringen uns auch ohne Volksverhetzung auf die Palme. Schränken wir also die Versammlungsfreiheit ein? Und bringen uns dann um die sichere Erkenntnis, dass ein Neonazi auch nach geltendem Recht niemals zum Jahrestag der Auschwitz-Befreiung am Holocaust-Mahnmal demonstrieren dürfte?

Nein, die Politik tut der Freiheit keinen Gefallen, wenn sie ihre gesetzliche Einschränkung immer wieder als erstes Mittel empfiehlt. Dann hat sie nicht um sie gekämpft, nicht für sie gearbeitet. Sie hat uns ihre Einschränkung immer nur als letztes Mittel anzubieten. Die NPD ist seit Jahrzehnten ein Ärgernis, das sicher, aber sie sitzt erst seit vier Monaten im Dresdner Landtag, während das Holocaust-Mahnmal nicht einmal eröffnet ist. Für letzte Mittel ist es noch zu früh.

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