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Politik: Nur nicht bewegen

Von Gerd Appenzeller

Der Wähler hat gesprochen, aber die Sache ist nicht überall nach seinem Wunsch gelaufen. In Schwerin beginnen morgen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU, und eine rot-schwarze Koalition ist auch das politische Bündnis, das sich, nach Meinungsumfragen, die meisten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern wünschen. In Berlin wird bereits heute über die Bildung der neuen Landesregierung diskutiert, Sozialdemokraten und Linkspartei schicken ihre Unterhändler. Die Bevölkerung aber hätte sich mit klarem Vorsprung die Grünen als kleinen Partner der SPD gewünscht. Klaus Wowereit hat anders entschieden, das ist legitim, schließlich haben die Wähler keine Koalitionen angekreuzt.

Was seit dem Wahltag an der Küste und was in der Hauptstadt politisch geschah, führt dennoch zu einer überraschenden ersten Bilanz. Im als rückständig verschrienen Mecklenburg-Vorpommern riskiert der Ministerpräsident einen Neuanfang, im angeblich so progressiven Berlin setzt der Regierungschef auf eine Politik der Trippelschritte, betreibt politische Risiko-Minimierung und administratives „weiter so“. Man kann das vertreten. SPD und PDS haben in den letzten fünf Jahren gewaltige Aufräumarbeit geleistet, die Sozialisten haben sich als berechenbar und zuverlässig erwiesen. Aber das Bestehende wegen seiner Verdienste loben heißt auch, einen Blick in die Zukunft tun. Und die ist zwar, politisch, rot-rot, perspektivisch aber alles andere als rosig.

Koalitionen aus SPD und PDS sind nur in den jungen Ländern möglich, weil es nur dort die gesellschaftspolitischen Strukturen für diesen Pakt gibt. De facto ist es eine Armutskoalition. Gewagt und, sobald es möglich war, ad acta gelegt, wurde sie in Sachsen-Anhalt, dem Rücklicht der innerdeutschen Wirtschaftsentwicklung. Jetzt beendet wird sie in Mecklenburg-Vorpommern, wo sich der ökonomische Fortschritt ebenfalls als Schnecke erweist. Harald Ringstorff mag, lediglich mit einer Ein-Stimmen-Mehrheit, Angst vor Kieler Verhältnissen und einem Schicksal à la Heide Simonis umgetrieben haben. Aber die CDU bot sich eben als zuverlässiger Mitgestalter an. Ringstorff ist Praktiker und Taktiker genug, sich auszurechnen, dass die gleiche Farbenlehre wie im Bundesbündnis sich für sein armes Land durchaus als vorteilhaft erweisen dürfte.

Wo immer sich in den letzten Jahren in der Landespolitik andere Partnerschaften denn rot-rot als möglich erwiesen, beschritten die Politiker diesen Weg. Nicht in Berlin, dem dritten Fußkranken der Wiedervereinigung. Hier wäre Rot-Grün zahlenmäßig gegangen. Der Regierende Bürgermeister hat es nicht so gewollt. Was wird in den kommenden fünf Jahren unter einer solchen Regierung geschehen? Weiter sparen, dass „es“ quietscht, um einen der plakativen Sätze von Klaus Wowereit zu zitieren? Gespart werden muss, klar, aber das „es“, das da quietscht, sind wir, die Bürger.

Sparen wozu? Zwei Drittel der Berliner, sagen uns die Demoskopen, beklagen den Zustand des Schulsystems. Rot-Rot will mit der Einheitsschule experimentieren. Das ist eindeutig nicht die Art von Fortschritt, die der Bürger erwartet. Die Stadt bräuchte mehr Steuereinnahmen. Das heißt, mehr Arbeitsplätze, bedeutet, neue Firmen, unternehmerischer Wagemut. Das alles aber gedeiht nur in einer Atmosphäre bürgerlicher, gerne auch: kleinbürgerlicher, Freiheit.

Die Berliner Realität aber ist diese: Parteien wie die CDU, die Grünen und die Liberalen, und die Menschen, die ihnen politisch nahe stehen, große und kleine Unternehmer, selbst aus dem klassischen sozialdemokratischen Lager, können sich ausrechnen, dass es aus strukturellen Gründen in den nächsten zehn Jahren vermutlich immer nur rot-rote Regierungen geben wird. Diese Erkenntnis ist bestenfalls ernüchternd, aber eben auch deprimierend. Selbst wenn es sich Klaus Wowereit nicht vorstellen kann: Es gibt viele SPD-Wähler, die zumindest die Möglichkeit einer anderen Koalition behalten wollen. Wer das, wie der Regierende Bürgermeister, anders sieht, macht keine Politik für Berlin, sondern eine für die eigene Bequemlichkeit.

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