zum Hauptinhalt
Erste Station. US-Präsident Obama wurde am Samstag zum Auftakt seines Besuches in Brasilien von seiner Amtskollegin Rousseff mit militärischen Ehren empfangen. Foto: Reuters

© REUTERS

Politik: Obama entdeckt Amerika

Der US-Präsident sucht neue Allianzen im Süden – und trifft dort auf selbstbewusste Gesprächspartner

Ungünstiger könnte der Moment gar nicht sein: Atomkatastrophe in Japan und Umstürze in Nordafrika – da hätte US-Präsident Barack Obama eigentlich anderes zu tun, als Lateinamerika zu besuchen, meint man. Zumal von der Aufbruchstimmung des Amerikagipfels in Trinidad und Tobago 2009 nicht mehr viel übrig ist. Damals hatte Obama eine „neue Ära“ in den beiderseitigen Beziehungen versprochen. Gründe für die Ernüchterung gibt es viele: keine Fortschritte bei der Migrationspolitik der USA; der Schmuggel mit US-Waffen, der den Drogenkrieg in Mexiko anheizt; der immer noch nicht ratifizierte Freihandelsvertrag mit Kolumbien und Panama; Kürzungen bei der US-Entwicklungshilfe; Wikileaks-Enthüllungen über die teilweise noch immer krude US-Interventionspolitik, etwa, wenn Argentinien wegen Kritik der Präsidentin am Internationalen Währungsfonds (IWF) mit dem Rauswurf aus der G-20-Gruppe gedroht wird.

Dennoch hält Obama an dem Trip fest, der ihn innerhalb von fünf Tagen nach Brasilien, Chile und El Salvador führen wird. Dabei geht es vor allem um eines: die Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen. Die steigenden US-Exporte ins boomende Lateinamerika schaffen Millionen von Arbeitsplätzen und stabilisieren die gebeutelte US-Wirtschaft. Doch inzwischen laufen die Chinesen den Amerikanern immer mehr den Rang ab, sichern sich Absatzmärkte, Rohstoffquellen, Millionenaufträge bei Bauprojekten, etwa der Metro von Caracas oder am Panama-Kanal. Für Länder wie Brasilien ist der Handel mit China wichtiger als der mit den USA.

Der bei der lateinamerikanischen Bevölkerung immer noch sehr beliebte Obama soll also vor allem als Türöffner für die US-Unternehmen dienen. Die drei Gastgeber sind die wirtschaftlichen Zugpferde ihrer Region. Brasilien im Mercosur, Chile in den Andenländern und El Salvador in Mittelamerika. Und sie sind wirtschaftsliberal und politisch pragmatisch – ungeachtet ihrer ideologischen Couleur. In Chile, das seit langem ein Freihandelsabkommen mit den USA geschlossen hat, regiert der rechte US-freundliche Unternehmer Sebastián Piñera. Mit El Salvador plant Obama eine strategische Partnerschaft, um das von Drogenkartellen (Guatemala, Honduras) und politischer Polarisierung (Nicaragua, Honduras) gebeutelte Mittelamerika zu stabilisieren. In El Salvador regiert erstmals die Ex-Guerilla FMLN, aber Präsident Mauricio Funes gilt als Pragmatiker. Den starken US-Einfluss hat er zuletzt mit einer Annäherung an Brasilien gebremst. Nun braucht sein überschuldetes Land aber wirtschaftliche Hilfe – ein günstiger Moment für Obama, wieder in Mittelamerika zu punkten.

Die schwierigste Station war der Auftaktbesuch in Brasilien. Der südamerikanische Gigant ist in den vergangenen Jahren immer einflussreicher geworden, tritt auf der internationalen Bühne zunehmend selbstbewusst auf und durchkreuzt dabei immer mal wieder auch US-Interessen. Etwa, wenn es um die Reintegration des 1962 aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ausgestoßenen Kuba geht. Oder um die engen Beziehungen Brasiliens zum Iran und zu Venezuela, zwei von den USA als „Schurkenstaaten“ kategorisierte Länder. Und in Haiti ringen die Brasilianer als Anführer der UN-Stabilisierungstruppe Minustah und die US-Amerikaner als traditionelle Schutzmacht um Einfluss. So war die bilaterale Beziehung zuletzt unter dem Fidel-Castro-Freund Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva merklich abgekühlt. Nun hofft Washington nach dem Amtsantritt von Dilma Rousseff auf freundlichere Gefühle – und auf lukrative Verträge im Zuge des milliardenschweren Ausbaus der brasilianischen Infrastruktur vor der Fußball-WM und den Olympischen Spielen. Brasilien könnte, so das Kalkül, mittelfristig außerdem ein wichtiger Lieferant von Erdöl und Ethanol werden. Ob die Rechnung aufgeht, muss sich zeigen.

Rousseff gilt zwar als pragmatischer und berechnender als Lula, doch Brasilien versteht sich als künftige Weltmacht. Daher Brasiliens Forderung nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, ob das Washington nun passt oder nicht. „Brasilien ist kein Entwicklungsland mehr, jetzt müssen die Brasilianer und die Amerikaner lernen, wie man auf Augenhöhe miteinander umgeht“, sagt Paulo Sotero, Direktor des Brasilien-Instituts des Woodrow-Wilson-Centers.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false