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Politik: Oberschlesische Selbstfindung

Die Bewegung RAS will in Polen autonome Regionen nach „spanischem Modell“ einführen – und bekommt immer mehr Zulauf.

Kattowitz - Wenn man mit Dr. Jerzy Gorzelik, Mitglied des Regionalrates und Vorstandes der Woiwodschaft Schlesien, spricht, würde man nicht auf die Idee kommen, dass er ein „Schlonsok“ ist, also weder Pole noch Deutscher, sondern ein „bekennender“ Oberschlesier: Sein Polnisch ist frei von jedem oberschlesischen Akzent. Das Arbeitszimmer befindet sich in einem vor nahezu 100 Jahren auf der Ligonia Straße in Kattowitz errichteten fünfstöckigen Gebäude, dem Schlesischen Parlament. Hier residierte bereits in der Zweiten Polnischen Republik von 1922 bis 1939 erstmalig in der polnischen Geschichte die Regierung der autonomen Woiwodschaft Oberschlesiens, deren Ostteil – mit den Städten Pless, Kattowitz, Tarnowitz, Lublinitz – nach dem Versailler Vertrag vom Deutschen Reich an Polen abgetreten wurde.

Diese kurze Epoche diente nach der Wende 1990 den Gründern der Autonomiebewegung Schlesiens RAS (Ruch Autonomii Slaska) im oberschlesischen Rybnik als Beleg dafür, auch heute eine Autonomie Schlesiens durchsetzen zu können. Seit acht Jahren führt nun der 40-jährige Kunsthistoriker Jerzy Gorzelik diese Bewegung. Offensichtlich ziemlich erfolgreich. Denn zum ersten Mal ist der RAS vor zwei Jahren bei den Wahlen der Einzug in den Sejmik ( Regionalrat) gelungen: Sie erhielt 8,5 Prozent der Wählerstimmen und damit drei der 48 Ratssitze. Das Ziel der RAS sei zunächst die Umwandlung Polens nach „spanischem Modell“ in autonome Regionen, wie etwa Katalonien. Später könne nach dem Modell der Bundesrepublik Deutschland ein föderaler Staat mit einzelnen Verwaltungsbezirken (Woiwodschaften) gebildet werden, die unabhängig von der Zentralregierung autonom über eigene Angelegenheiten entscheiden könnten.

Für Gorzelik gibt es keinen rationalen Grund, dass sich ein so großes Land wie Polen an ein zentralisiertes Verwaltungssystem anlehnt. „So ein Staat kann nicht effektiv regiert werden, weil alle Probleme in einem Zentrum zusammenlaufen. Als besonders nachteilig für die Woiwodschaften erweisen sich Entscheidungen über Finanzen, die in der Hauptstadt getroffen werden.“ Allein schon was Warschau und Krakau an Mitteln für kulturelle Zwecke zugewiesen wird: „Davon können wir hier in Schlesien nur träumen“, sagt er und fügt hinzu: „Ein regionaler Politiker einer Partei – gleich ob PO oder PiS – ist immer ein Vasall der Partei-Oligarchie in Warschau und vertritt nur selten die regionalen Interessen im Parlament. An den Fingern einer Hand kann man aufzählen, wann ein schlesischer Abgeordneter gegen die Parteidisziplin zum Nutzen Schlesiens abgestimmt hat !“

Vor diesem Hintergrund gehört die Veränderung der Beziehungen zwischen den Regionen und der Zentralregierung in Warschau zu den wichtigsten Programmpunkten der RAS. Voraussetzung für eine Dezentralisierung wäre allerdings, dass auch in anderen Woiwodschaften bedeutende, organisierte politische Initiativen à la RAS existieren – aber das ist bisher nicht der Fall. Im Gegenteil. „Die Nationalisten glauben, dass Polen zentral mit starker Hand regiert werden müsse, weil es von Deutschen und Russen bedroht und dann zu deren Herrschaftsgebiet würde. Und weil Oberschlesien immer eine Gesellschaft mit kulturellen und historischen Bindungen an Deutschland war, wird jede Bewegung hier in Oberschlesien als ,Fünfte deutsche Kolonne‘ diskreditiert“, sagt Gorzelik.

Eugeniusz Knapik, geboren Anfang der 50er, Professor an der Musikakademie in Kattowitz, bezeichnet sich als „polnischer Oberschlesier“. Ein Teil seiner Familie besuchte die deutsche und der andere die polnische Schule. Doch zu Hause sprach man „po schlonsku“ – also oberschlesisch. „Trotz der politischen Spannungen damals lebten die Deutschen mit den Polen in friedlicher Eintracht miteinander.“ Er gibt zu, nicht alles über die RAS zu wissen; doch die Autonomie-Idee hält er für richtig. „Die Woiwodschaft könnte dann selbst über die Steuereinnahmen verfügen. Natürlich würden aber weiterhin Abgaben für die Auswärtige Politik und militärische Einsätze nach Warschau geleistet.“

Auch eine Kattowitzer Ärztin, die sich als Oberschlesierin bezeichnet, ihren Namen aber nicht in der Zeitung lesen will, findet die Vorstellungen der RAS besonders unter wirtschaftlichen Aspekten gut. „Denn dann würde weniger Geld nach Warschau fließen – so wie schon in der Zeit der ersten Autonomie Oberschlesiens.“ Von ihren Eltern, die in den 30er Jahren aus Posen und Riga nach Kattowitz „eingewandert“ sind, weiß sie, dass die Region damals mit ihren Bergwerken und Hütten florierte. Doch der Gedanke, dass ihre Warschauer Freunde sie als „Abtrünnige“ bezeichnen würden und ihr vorwerfen, sich „separieren“ zu wollen, ist ihr unangenehm.

Eines der wichtigsten Ziele der RAS ist die Anerkennung der oberschlesischen Sprache als Regionalsprache, so dass sie auch in den Schulen unterrichtet werden kann. Für Robert Starosta ist dies ganz entscheidend: Geboren 1970 in dem Dorf Chroscice (Chrosczuetz/Rutenau) nahe Oppeln kam er als Achtjähriger nach Würzburg. Zu Hause – sowohl in Polen als auch später in Deutschland – wurde nur „po schlonsku“ gesprochen. Vor fünf Jahren hat er den Verein „Initiative der kulturellen Autonomie Schlesiens“ in Würzburg gegründet und hofft, in Zusammenarbeit mit dem RAS die Kultur Oberschlesiens lebendig zu erhalten. Wichtig scheint ihm immer wieder zu sagen, dass er kein deutscher oder polnischer Oberschlesier sei, sondern Oberschlesier! Mit diesem „Bekenntnis“ liegt er als deutscher Staatsbürger voll im polnischen Trend. Denn bei der letzten Volkszählung in Polen (2011) haben sich 809 000 polnische Bürger als Schlesier bekannt und sind damit die größte Minderheit in Polen, gefolgt von den Kaschuben und den Deutschen. Zehn Jahre davor waren es nur 173 000. Überraschend ist, dass 415 000 sich neben der polnischen auch zur schlesischen Nationalität bekennen. Und geradezu sensationell, dass sich 362 000 ausschließlich als Schlesier bezeichnen.

Diese Veränderungen schreibt man dem Wirken der Autonomiebewegung RAS zu, der es offensichtlich gelungen ist, die schlesische Identität zu erwecken. Die Märsche der Autonomie, die seit sechs Jahren am Jahrestag der Gesetzgebung der Autonomie für die Woiwodschaft Schlesien am 15. Juli 1920 stattfinden, sind auch eine gekonnte PR-Aktion. Waren es beim ersten Marsch im Jahre 2007 nur 300 Teilnehmer, sind letztes Mal um die 3000 Mitglieder und Sympathisanten – überwiegend junge Leute – vom Plac Wolnosci bis zum Plac Sejmu Slaskiego (Regierungsgebäude) marschiert. Barbara Bönnemann

Barbara Bönnemann

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