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Zentrum des Skandals. Schulleiter Becker in den 70er Jahren.

© Odenwaldschule/dpa

Odenwaldschule: Zahlte der Schulleiter seinen Opfern Schweigegeld?

Ein Ex-Schüler der Odenwaldschule belastet den früheren Schulleiter Gerold Becker. Er soll auch Drogenkonsum geduldet haben, um Missbrauch zu verschleiern.

Berlin - Der Schüler K. war 14 Jahre alt, als er plötzlich sehr viel Geld hatte. 200 Mark schenkte ihm sein Schulleiter, es war Anfang der 80er Jahre. „Ohne erkennbaren Anlass“, sagt K.. An seinen Noten jedenfalls konnte es nicht gelegen haben. „Die waren mies.“ Der Schulleiter hieß Gerold Becker, der Schüler K. war noch nicht lange an der berühmten Odenwaldschule (OSO) im hessischen Ober-Hambach. Becker hat jahrelang Schüler sexuell missbraucht, auch seinetwegen hat die OSO heute ein gewaltiges Imageproblem. Und der Fall K. löst die Frage aus: War die unbestrittene Fürsorge von Becker für bestimmte Schüler mehr als eine nette Geste?

Denn K. erhielt weiterhin Geld. Mal 400 Mark, mal 300 Mark, immer ohne große Erklärung. „Ich würde ihm zutrauen, dass er das gemacht hat, um mich ruhigzustellen“, sagt K.. Ein Verdacht, der sich bei ihm festgesetzt hat. Denn auffällig sind für ihn die Umstände, die zu den Geschenken führten. Einmal hatte sich Becker auch an K. vergriffen. Damals hatte der Schüler bei einem Freund übernachtet, der in der „Familie“, der Schüler-Lehrer-Gruppe, von Becker wohnte. „Ich habe in sein Beuteschema gepasst“, sagt K.. „Ich war schön und hatte lange Haare.“

Aber, wenn man es zynisch sagen will, er war nur einmal Opfer. Und deshalb fragt sich K.: Wenn er als einmaliges Opfer so viel Geld erhalten habe, was haben dann andere erhalten, die öfter missbraucht worden sind? K. jedenfalls sagt, er kenne Opfer, die von Becker ebenfalls üppige Geschenke erhalten hätten. Einer habe plötzlich ein Schlagzeug bekommen, einem anderen habe Becker teure Turnschuhe nach London geschickt, als der Schüler dort zu einem Austausch war. Becker war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Die Fürsorge war auf jeden Fall auf bestimmte Schüler begrenzt. Der Augsburger Zahnarzt und Ex-OSO-Schüler S. war Mitglied der Becker-Familie, aber nie Opfer. Als er dem pädophilen Schulleiter räumlich sehr nahe war, da war er bereits 16 Jahre alt. „Ich habe nie etwas bekommen, ich war wohl zu alt“, sagt er. Auch der frühere OSO-Schüler H., kein Opfer, erklärt, nie etwas erhalten zu haben. Andererseits sagt eine Ex-Schülerin, die anonym bleiben möchte, dass Becker generell großzügig gewesen sei.

Großzügig war er wohl auf jeden Fall, nachdem ein Schüler einen VW-Bus, der an der Schule stationiert war, kaputtgefahren hatte. Der Schüler hatte sich den Bus heimlich genommen und war „entweder von Drogen oder von Alkohol benebelt“ (K.). Zu dem Bus habe der Schulleiter „ein fast libidinöses Verhältnis gehabt“, sagt ein Schüler, der ebenfalls nicht genannt werden möchte. „Der Bus war toll ausgebaut, er war fast ein Heiligtum.“ Doch Konsequenzen habe der Vorfall nicht gehabt. „Der Schüler wurde nicht von der Schule verwiesen.“ Das irritiere nicht bloß K.. Er schließt nicht aus, dass Becker den Schüler geschont hat, weil der sonst etwas ausgeplaudert hätte.

Es kursieren auch Geschichten, dass Becker von seinen Opfern unter Druck gesetzt worden sei. „Man hörte sehr oft, dass er erpresst wurde“, sagen K. und ein weiterer Ex-OSO-Schüler. An der OSO wurden, wie damals fast an jeder Schule üblich, Drogen konsumiert. Wer erwischt wurde, löste allerdings große Aufregung auf. K. kennt einen Fall, in dem ein Schüler mit einer geringen Menge erwischt wurde und von der Schule flog. Drogenkonsumenten sollen Becker signalisiert haben, er solle wegsehen, sonst würden sie über seine Übergriffe reden. Bewiesen ist das alles nicht.

Dafür hatte ein Schüler, der 1979 Abitur machte, schulfremde mutmaßliche Pädophile erlebt. Die seien an einem Wochenende auf dem Schulgelände aufgetaucht und hätten ihn nach einem bestimmten Gebäude gefragt. „Die haben aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht“, sagt der Ex-Schüler. „Für mich waren sie wildfremd, aber sie sagten gleich, dass Sex mit Kindern ja nicht schlimm sei, dass sich ein freier Mensch auch sexuell entfalten könne.“ Seine erste Reaktion? „Ich war etwas perplex.“ Es blieb nicht die einzige Begegnung mit den Fremden. Später sah er sie noch mal an einem Wochenende an der OSO.

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