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Politik: Offene Bühnen, wachende Richter

Präsidentenwahl in Ägypten: Mubarak genehmigt demokratische Normalität

Das hätten sich die meisten Zuhörer vor wenigen Monaten nicht träumen lassen. Auf dem Tahrir-Platz, dem zentralen Knotenpunkt der ägyptischen Hauptstadt, warten sie unbehelligt von der Polizei auf den Auftritt von Ayman Nour. Dem härtesten Kritiker von Langzeitpräsident Hosni Mubarak. Die etwa 2000 Ägypter sitzen und stehen vor der Mugama’a, dem großen Verwaltungsgebäude Kairos, wo jeder Ägypter sich durch ein Labyrinth von Gängen und Bestechungen kämpfen muss, um einen Führerschein, einen Ausweis oder eine andere Urkunde zu erhalten.

Hier wollen sie den regimefeindlichen Tiraden des Kandidaten der Ghad-Partei (Morgen) lauschen. Es ist Wahlkampf für die ersten Präsidentschaftswahlen, bei denen die Ägypter am Mittwoch zwischen mehreren Kandidaten auswählen können. Ayman Nour, auf drei Großleinwänden bis an das andere Ende des Platzes sichtbar, enttäuscht die Zuhörer nicht: „Wir wollen Freiheit“, ruft der etwas rundliche Anwalt und Ex-Abgeordnete ins Mikrofon. „Schluss mit 24 Jahren Ausnahmezustand und Unterdrückung, die uns nur Terrorismus bescheren.“

Nour nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um den verhassten Präsidenten Mubarak geht: Der habe sich in der Verfassung die Vorrechte eines „Gottes“ gesichert, wettert Nour. Bis vor wenigen Monaten war die direkte Kritik am allmächtigen Präsidenten eine rote Linie, welche die Regimegegner im Lande nicht überschritten haben. Nour verspricht: Verfassungsänderung, um ein parlamentarisches demokratisches System zu schaffen, und Neuwahlen in zwei Jahren. Das Publikum klatscht begeistert. Viele junge Männer, aber auch Familien sitzen auf den Stuhlreihen oder lagern auf den Rasenflächen, die Stimmung ist fröhlich. Ganz aus der Ferne schauen Polizei und Armeeoffiziere dem Treiben zu.

Wenn das Regime will, geht es also doch. Präsident Hosni Mubarak hat dem Land einen Sommer Demokratie verordnet: Präsidentschaftswahlen mit mehreren Kandidaten, drei Wochen Wahlkampf für die zehn Kandidaten und eine Anordnung an die staatliche Presse, die Oppositionskandidaten in dieser Zeit auch zu Wort kommen zu lassen. Damit will Mubarak, der seit 24 Jahren das Land im Ausnahmezustand regiert, wohl in erster Linie den USA beweisen, dass auch Ägypten den Weg politischer Reformen betreten hat. Um dies zu unterstreichen, führt erstmals auch der mächtige „Rais“ einen Wahlkampf. Er tourt im Hubschrauber durch das Land, plaudert locker im offenen Hemd mit den Leuten, setzt sich für die Belange des kleinen Mannes ein und verspricht die Schaffung von 4,5 Millionen Arbeitsplätzen in den kommenden sechs Jahren. Die Parteijugend jubelt ihm in weißen T-Shirts mit der Aufschrift „Mubarak 2005“ zu. Für die Inszenierung ist Mubaraks Sohn Gamal, schon lange als Nachfolger gehandelt, zuständig.

In der unabhängigen Presse, wie den Tageszeitungen „El Masri Al-Jaum“ oder „Nahdet Masr“, wird freie und kritische Berichterstattung zugelassen. Selbst die staatlichen Fernsehsender berichten über politische Gegner des Präsidenten, auch wenn Mubarak weit mehr Raum eingeräumt wird. Und auch wenn Ayman Nours Wahlspot nicht gesendet wird, weil das Regime einen unbekannten Komponisten gefunden hat, der behauptet, der Soundtrack des Wahlspots sei von ihm abgekupfert. Und auf andere Institutionen, wie den koptischen Papst Baba Shnouda oder die höchsten muslimischen Geistlichen, ist auch Verlass: Sie fordern ihre Gläubigen zur fünften Wiederwahl Mubaraks auf.

Aus Skepsis boykottieren einige Parteien und die oppositionelle „Kifaya“-Bewegung die Wahlen. Die mächtige Muslimbruderschaft hat ihre Anhänger dagegen aufgerufen, an die Urnen zu gehen, ihnen jedoch indirekt davon abgeraten, Mubarak zu wählen. Doch es spricht auch einiges gegen die Annahme, dass nach drei Wochen Demokratie der Spuk wieder vorbei ist. Denn der Druck auf das Regime kam nicht nur von außen, sondern auch von innen. In der vordersten Front stehen dabei die Richter des Landes. Sie sollen die Wahlen überwachen und ihre Korrektheit absegnen. Im Kampf um seine Glaubwürdigkeit ist das Regime darauf angewiesen. Doch die Richter haben am Freitag ihre Zähne gezeigt. „Wir werden nicht noch einmal eine gefälschte Wahl abnicken“, sagte der Vorsitzende des Berufsverbandes Zakariya Abdel Aziz in seiner Rede. Nach einer kämpferischen Debatte beschlossen die etwa 2500 anwesenden der 8000 Mitglieder, die Wahlen unter Vorbehalt zu überwachen. Da ihre Zahl nicht ausreicht, um die über 10000 Wahlurnen zu kontrollieren, forderten sie die Zulassung der Wahlbeobachter der ägyptischen Nichtregierungsorganisationen. Die oberste Wahlkommission, in der das Regime das Sagen hat, hatte dies zuvor abgelehnt.

Aber, oh Wunder, im behäbigen Ägypten bewegt sich etwas: Das Verwaltungsgericht wischte die Entscheidung der Wahlkommission nur einen Tag später überraschend vom Tisch. Unabhängige Wahlbeobachter müssten nun eigentlich neben den Richtern anwesend sein, wenn sich das Regime nicht noch eine Finte ausdenkt. „Das Fälschen der Ergebnisse wird damit deutlich schwieriger für das Regime“, meint Dia’ al Din Abdel Latif von Nours Al-Ghad-Partei, ein ehemaliger Major der Armee.

Und so hat Ägypten trotz aller Einschränkungen bei diesen Wahlen konkurrierende Kandidaten, die mit ihren Bussen durchs Land touren, unabhängige Medien, welche die Einseitigkeit der staatlichen Medien kontern und nun womöglich unabhängige Wahlbeobachter – doch was fehlt, sind die Wähler. Ein Großteil der 32 Millionen registrierten Wahlberechtigten wirkt nach wie vor apathisch und resigniert nach 24 Jahren Ausnahmezustand und politischer Entmündigung.

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