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Politik: Offensiv in die Opposition

Von Matthias Meisner

Gregor Gysi hat Bammel, und er gesteht das unumwunden ein. Er wisse um die Diskussionen an der Basis, „und es wird uns ja jetzt schon Etikettenschwindel vorgeworfen“. Doch er will, dass seine Partei Farbe bekennt: Zu einem wirklichen Neuanfang gehöre auch ein neuer Name, meint er. So argumentiert Gysi – am Abend des 16. Dezember 1989 in der DynamoSporthalle im Berliner Bezirk Weißensee. Das Protokoll verzeichnet Beifall. Kurz darauf beschließen die Delegierten eines außerordentlichen SED-Parteitages, ihrem Parteinamen das Kürzel PDS hinzuzufügen.

Beinahe ist alles wie damals: Von Neuanfang ist die Rede, als sich die PDS am Sonntag den Namen „Die Linkspartei“ gibt. Und wieder werden halbe Sachen gemacht – das Kürzel PDS bleibt für den Osten gerettet, damit die Traditionspflege nicht zu kurz kommt. Doch auch wenn nicht alles neu ist, was einen neuen Namen trägt, steht doch fest: Die oft und zu früh totgesagte PDS alias Linkspartei wird ihre Rolle als Störfaktor in der Parteienlandschaft ausbauen können.

Die Sozialdemokraten haben sich selbst zuzuschreiben, dass sie die PDS nicht losgeworden sind. Da lohnt wieder ein Rückblick auf die Wendezeit: Anders als CDU und FDP hat es die SPD nicht vermocht, sich am Erbe der Blockparteien zu bedienen. Die SED-PDS (das Kürzel SED fiel bald weg) sollte links liegen bleiben, die SPD wünschte ihr das rasche Ende in der Ost-Nische. Der PDS-Vorsitzende Gysi gab damals zu, seine Partei wäre nicht zusammenzuhalten gewesen, wenn die SPD das reformwillige und sozialdemokratisch angehauchte Potenzial der SED integriert hätte.

Die Geschichte über das Verhältnis von SPD und PDS ist eine Geschichte von verpassten Chancen und verletzten Eitelkeiten. Hätte, könnte, wäre. In 15 Jahren haben die Sozialdemokraten kein Rezept gegen ihre Konkurrenz aus dem Osten gefunden, die sich nun anschickt, den Westen zu erobern. Dass mit Oskar Lafontaine der ehemalige Vorsitzende der SPD verpflichtet wurde, kränkt dessen alte Partei besonders. Aber reicht es nun, Lafontaine als „Hassprediger“ zu beschimpfen, Demagogen mit Demagogie zu bekämpfen? Ist es glaubhaft, „keine Zusammenarbeit“ zu rufen wie weiland Rudolf Scharping in der „Dresdner Erklärung“ von 1993, während zwei Länder weiterhin von Rot-Rot regiert werden? Das reicht nicht, und glaubwürdig ist es schon gar nicht. Schon 1994 hat sich erstmals eine rot-grüne Landesregierung von der PDS tolerieren lassen.

„Wir dürfen da nichts kaputtmachen“, hatte Gysi 1989 auf dem Sonderparteitag der SED gesagt, als es um ein mögliches Bündnis mit den Sozialdemokraten ging. Es ist der Spruch von einem, der gern in der Offensive ist. Nun ist die Linkspartei sein Coup, Lafontaine sein Kompagnon. Eine Mogelpackung wie damals: Außer dem ehemaligen SPD-Chef sind kaum bekannte Namen dazu gekommen. Die sozialen Bewegungen wie Attac stehen am Rand und die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit ist ein trauriger Haufen. Sie tritt gar nicht selbst an und darf nur ein paar Leute auf den offenen Listen der umbenannten PDS platzieren. Aber die Gewerkschaften zerreißt es fast: Ihre Spitzenfunktionäre hängen überwiegend an der SPD, während das Linksbündnis auf der mittleren Gewerkschaftsebene und bei Betriebsräten Hoffnungen weckt. Für sie ist Sozialromantik aus den 70er Jahren ins Wahlprogramm aufgenommen worden.

Déjà-vu. Die Linkspartei fügt nicht nur der SPD Schaden zu. Auch Protestwähler, die ihre Sorgen mal bei der Union abgeladen hatten, suchen nun links eine neue Adresse. Doch inhaltlich Paroli bieten muss der Linkspartei vor allem die SPD – und beweisen, dass sie doch die besseren Rezepte für soziale Gerechtigkeit hat. Der CDU ist zu dem Thema wenig eingefallen, ihre Rote-Socken-Kampagne 1994 hat der PDS jedenfalls nicht geschadet. Wenn in zwei Monaten gewählt werden sollte, wird eine starke Linkspartei eine große Koalition wahrscheinlicher machen. Gysi und Lafontaine freuen sich schon auf ihre Rolle – als Oppositionsführer.

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