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Politik: „Ohne Einwanderer wird der Reformdruck steigen“

Deutsche gehen, Ausländer bleiben weg – Migrationsforscher Bade warnt vor Risiken fürs Sozialsystem

Berlin - Der Mann vom Fach wusste es schon länger: „Wir haben im Augenblick kaum Zuwanderung, jedenfalls keine, die in irgendeiner Form Anlass zur Sorge gäbe“, sagte der Innenminister im Mai während einer Tagung über globale Migration. Wolfgang Schäuble hatte als Chef der Unionsfraktion im Bundestag 1993 mit der SPD den hart umkämpften Kompromiss über die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl ausgehandelt. Damals sah seine Regierung durch die befürchteten Massen zuwandernder Ausländer noch den „Staatsnotstand“ (Helmut Kohl) heraufziehen. 13 Jahre später befand Schäuble nun knapp, die Einwanderung nach Deutschland sei inzwischen „mehr eine gefühlte als eine reale“.

Jetzt nämlich ist exakt das Gegenteil zu fühlen: Auswanderung. Letztes Jahr, so sagen es die Zahlen des Statistischen Bundesamts, kamen so wenige Ausländer wie nie seit der Einheit ins Land, nämlich 579 000. Und erstmals seit Ende der 60er Jahre zogen mehr Deutsche ins Ausland (145 000) als Landsleute von dort nach Deutschland kamen (128 000).

„Der Statistik nach kehrt Deutschland ein Stück weit in seine Wanderungsgeschichte zurück, denn es war oft Ein- und Auswanderungsland zugleich“, sagt dazu Klaus J. Bade, einer der führenden deutschen Migrationsforscher. Der Osnabrücker Historiker hält die Zahlen, die hinter den aktuellen Daten der Statistiker stehen, für die dramatischeren: „Bei den deutschen Staatsangehörigen schreibt die Statistik schon rote Zahlen: minus 17 000 Wanderungsverlust im Jahr 2005. Ohne die im vergangenen Jahr zugewanderten 31 000 Spätaussiedler hätten wir einen Wanderungsverlust von bereits fast 50 000 deutschen Staatsangehörigen. Das ist schon eine deutliche Zäsur im Wanderungsgeschehen seit den 50er Jahren.“

Nach Bades Ansicht wird der Zuzug etwa von Spätaussiedlern die Statistik nicht mehr lange aufhübschen: Seit Anfang 2005 das Zuwanderungsgesetzes in Kraft getreten ist, geht deren Zahl noch stärker zurück als zuvor. Seither sind nämlich auch für mitreisende nichtdeutsche Familienangehörige Sprachprüfungen zwingend vorgeschrieben. Nun hat die Einwanderung von Ausländern 2005 den deutschen Wanderungssaldo noch einmal leicht ins Plus gedreht – alles in allem kamen 79 000 Menschen mehr ins Land, als ihm den Rücken kehrten. Doch Bade warnt: „Es bedarf keiner prophetischen Gaben anzunehmen, dass die Abwanderung auch in den nächsten Jahren hoch bleiben und die Zuwanderung weiter schrumpfen wird.“ Denn neben der kleiner werdenden Zahl von Spätaussiedlern sei für viele Deutsche Auswanderung zum „Befreiungsschlag gegen Unbill im deutschen Erwerbsleben“ geworden. Migranten – die, die gehen, und die, die kommen – „sind aber meist Menschen im besten Erwerbsalter“, sagt Bade. „Eine negative Wanderungsbilanz würde also die Wirkungen des demographischen Wandels im Blick auf die Altersstruktur der Bevölkerung und deren Folgen für die Sozialsysteme noch verstärken – anders gesagt: Bei schrumpfenden Wanderungsgewinnen oder sogar negativen Wanderungsbilanzen wird der Reformdruck noch schärfer, als er es ohnehin schon ist.“

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