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Politik: Oma auf Bestellung

Was tun, wenn Großeltern fehlen? In Berlin hilft eine Agentur, Senioren für gelegentliche Hilfe zu finden

Christopher hat sofort Oma zu ihr gesagt. Er war acht Jahre alt, als er Ingrid Strangalies kennenlernte. Sie ist die Wunschoma, die seine Mutter für ihn über den Großelterndienst Berlin gefunden hat. Sie suchte jemanden, der ab und an mal auf ihren Sohn aufpasst, ihm zuhört, Ratschläge gibt – eine Oma eben. Christopher besuchte Ingrid Strangalies und ihrem Mann Kurt, er bekam Geschenke und fuhr mit ihnen in den Urlaub – wie ein richtiger Enkel.

Immer mehr ältere Menschen gibt es in Deutschland, immer weniger Kinder. Viele Alleinerziehende suchen jemanden, der einspringen kann, wenn die Kinder mal krank sind. Und viele Großeltern wohnen einfach zu weit weg. Der Großelterndienst in Berlin praktiziert ein Modell, das sich diesen Umständen anpasst: Er vermittelt ältere Menschen mit Zeit an Familien ohne Großeltern. 430 Wunschomas und 20 Wunschopas betreuen 600 Berliner Familien. Dafür bekommen sie eine Aufwandsentschädigung von vier Euro pro Stunde. Die Wunschgroßeltern sollen keine Kita ersetzen, sondern einfach für die Enkel da sein und sie ab und an betreuen.

Ob es nun die eigenen Großeltern sind oder eine Wunschoma: Noch immer bildet die Rentnergeneration eine wichtige Säule der Kinderbetreuung. Nach einer Studie des Deutschen Jugendinstituts werden ein Drittel der deutschen Kinder regelmäßig von ihren Großeltern betreut. Nach Eltern und institutioneller Betreuung stehen sie damit an dritter Stelle der Betreuungspersonen für Kinder im Vorschulalter. Der Unterschied zwischen alten (36 Prozent) und neuen Bundesländern (32 Prozent) ist gering. 95 Prozent der Großeltern, die ihre Enkel betreuen, wohnen höchstens eine Fahrstunde von ihrer Familie entfernt. Sie passen meistens dann auf die Kinder auf, wenn eine Betreuung in der Kita oder durch die Eltern nicht möglich ist. Besonders häufig springen sie ein, wenn die Tochter alleinerziehend oder berufstätig ist und Kinder unter drei Jahren hat.

Diese Art der großelterlichen Betreuung halten auch Wissenschaftler für sinnvoll. Wassilios Fthenakis, Professor für Entwicklungspsychologie an der Freien Universität Bozen, weist aber darauf hin, dass die Großeltern kein Ersatz für elterliche und institutionelle Betreuung sind: „Die Normen und Werte der Großeltern, die in einer ganz anderen Zeit aufgewachsen sind, sind für die Kinder nicht immer förderlich“, sagt er. Als gelegentliche Betreuer seien Oma und Opa aber erwünscht, auch ökonomisch, denn sie verlangen in der Regel kein Geld für ihren Babysitter-Job.

Eine gute Beziehung zu den Großeltern wirkt sich zudem positiv auf die Entwicklung der Kinder aus. „Omas und Opas sind verlässliche Bezugspersonen für die Kinder“, sagt Fthenakis. „Sie fördern die intergenerative Beziehung in einer vertrauten Umgebung.“ Außerdem erlaubten Oma und Opa auch mal Dinge, die die Eltern sofort bestrafen würden.

Großeltern sind gesellschaftlich erwünscht und werden gebraucht. Nur fehlen in vielen Familien die Strukturen, damit Kinder mit ihren Großeltern aufwachsen können. Damit die Kinder nicht auf den Kontakt zu Älteren verzichten müssen, gibt es mehrere Lösungsansätze. Das Bundesfamilienministerium richtet gerade 500 Mehrgenerationenhäuser in Deutschland ein, in denen sich Jung und Alt begegnen sollen. Der Großelterndienst hat lange Wartelisten: Rund 800 Berliner Familien hoffen auf ihren Wunschopa oder ihre Wunschoma. Sie zu finden, ist nicht einfach: „Wir haben Schwierigkeiten, die Älteren zu motivieren“, berichtet Helga Krull, Leiterin des Großelterndienstes. „Aber unser Modell funktioniert nur, wenn alle Beteiligten Spaß daran haben.“ Wassilios Fthenakis bestätigt, dass das Modell Wunschoma nur auf freiwilliger Basis gelingt: „Die Projekte sind nur dann sinnvoll, wenn eine konstante, qualitätsvolle Beziehung entsteht.“

So wie bei Christopher und seiner Wunschoma. Er ist mittlerweile 23, Ingrid Strangalies 66 Jahre alt. Auch nach 15 Jahren haben die beiden noch Kontakt. Als Kurt Strangalis kürzlich seinen 70. Geburtstag feierte, hat Christopher die Gäste nach Hause gefahren. „Man bekommt viel von der Liebe zurück“, sagt Ingrid Strangalies. Ein Leben ohne Kinder kann sie sich nicht vorstellen: „Ich war Erzieherin und hatte immer Kinder um mich herum“, sagt sie. Auf die vier Euro Aufwandsentschädigung für den Oma-Dienst hat sie immer verzichtet. Als Christopher älter wurde, hat sie Nina als Wunschenkel aufgenommen, als Nina älter wurde, Hermine. Und die versteht sich nun prächtig mit Strangalies’ leiblichem Enkel.

Weitere Informationen zum Großelterndienst unter www.grosselterndienst.de oder 030/2135514.

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